Rio Reiser: Der König von Deutschland

Am 9. Januar wäre Rio Reiser 75 Jahre alt geworden – der Reclam-Verlag veröffentlicht aus diesem Anlass zwei Bücher für größten deutschen Singer/Songwriter. Von Wolfgang Scheidt

„Er ist der einzige deutsche Sänger, den ich je bewundert habe“, lobt Herbert Grönemeyer auf dem Klappentext von „Rio Reiser. 100 Seiten“ (Reclam, 2024) den meist barfuß auftretenden Pionier deutscher Rockmusik. „Sie alle haben von meinem Wein getrunken“, glaubte der „König von Deutschland“ im Hinblick auf Grönemeyer, Lindenberg oder Westernhagen. Und lag richtig: Seine Kampflieder und Liebesballaden ebneten den Großen des Deutschrock den Weg. Am 9. Januar 2025 wäre Ralph „Rio I“ Möbius‘ 75. Geburtstag – es lebe der König!

Rios Weggefährten Hannes Eyber, Produzent von „Ton Steine Scherben“, und Jens Johler, Mitautor einer Scherben-Biographie, zeichnen in zehn Kapiteln ein liebevolles Bild von Leben und Werk des Vollblutmusikers. Kindergarten und Schule waren nix für Rio, der lieber musiziert. Als Knirps komponierte er Volks- und Theatermucke, sang wild drauflos. Mit 16 Jahren lernte Rio Ralph Peter Steitz aka R.P.S. Lanrue kennen, dessen Gitarre Rios Zauber komplettierte. Beide spielten und sangen, woran sie glaubten. Die Gründung der Agit-Rock-Band „Ton Steine Scherben“ galt als Urknall des Deutschrock, klassenkämpferische Gassenhauer à la „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ formten Musik zur Waffe. Trotz ihrer Strahlkraft blieben die Scherben Underdogs, als „politische Musikbox“ beuteten sie sich selbst aus und ließen sich ausbeuten.

Der Umzug von Berlin-Tempelhof in die „Freie Republik Fresenhagen“ konnte die Scherben nicht retten – nach dem fünften Album „Scherben“ war Schluss, Rio löste die Band 1985 auf, um sich als Solokünstler „an die Industrie zu verkaufen“. Mit Annette Humpe und Udo Arndt als Produzenten gelang ihm mit dem ersten Soloalbum „Rio I.“ ein Coup – endlich als Rockstar in den Charts und dabei ehrlich, ironisch, rebellisch und poetisch bis in die Zehenspitzen geblieben. Rio ist auf dem Zenit, in der ausverkauften Werner-Seelenbinder-Halle in Ostberlin intonierte er im Oktober 1988, allein am Klavier, „Der Traum ist aus“, begleitet von 6.000 Kehlen.

Für die Autoren das Momentum, das die Mauer einstürzen ließ. Rios Niedergang wird in Zeitraffer beschrieben, weil es so schmerzt: Eintritt in die PDS, Alkoholsucht, musikalischer Cut von Lanrue, gemeinsam mit Eyber verfasste Rio seine Memoiren, schon der Titel „König von Deutschland“ klang nach Vermächtnis. Am 20.8.1996 gegen 16 Uhr starb Rio, seine Songs leben weiter: Die von seinem Bruder Gert C. Möbius ausgewählten Songtexte in „Für immer und dich“ (Reclam, 2024) lassen den königlichen Klangkosmos Rio Reisers aufleben: „Halt dich an deiner Liebe fest.“