Seit 40 Jahren macht sich der Verein Filmstadt München für Film-Freude stark. Wie Monika Haas und Co-Geschäftsführerin Franzi Viehbacher die Szene vernetzen.
Hallo Frau Haas, hallo Frau Viehbacher, im Koordinierungsbüro der Filmstadt München auf dem Kreativgelände an der Dachauerstraße, laufen ja ganz viele Fäden zusammen, die das Kino-Leben in der Stadt so spannend machen. Ihre tollen Reihen kennen viele Fans, den Namen der Initiative nicht ganz so viele. Wie oft kam es schon mal vor, dass jemand vor Ihre Tür stand und eigentlich die Bavaria Filmtour erwartet hatte?
Haas: Also nicht vor der Tür. Aber Anrufe kriege ich oft. Doch das klärt sich dann ziemlich schnell. Bei uns gibt es keinen Glücksdrachen Fuchur.
München ist eine Stadt ist mit viel Film-Historie, aber auch sehr lebendiger Liebe zum Kino. Unter dem Namen Filmstadt München treten Sie aber nicht ganz so stark in Erscheinung, sondern lassen eher die Veranstaltungen und jeweiligen Reihen sprechen, oder?
Haas: Ja, wobei sich das tatsächlich auch in den letzten Jahren verändert hat. Wir sind schon darum bemüht, dass wir das, was der Dachverband ist, noch stärker in den Vordergrund stellen und klar herausstreichen, was unter dem übergeordneten Label Filmstadt München e.V. veranstaltet wird. Dass jede der Gruppen in unserem Verein etwas Eigenes macht, ist total richtig – und das soll auch so sein. Wir wollen nur den Gruppenzusammenhalt noch intensiver stärken.
Wie genau?
Haas: Wir haben einen gemeinsamen Trailer, den alle Gruppen nutzen. Es gibt einen gemeinsamen Auftritt und einen Veranstaltungskalender. In einer Mischung aus Freiheit und Heterogenität mit Zusammengehörigkeit wollen wir zeigen, was diese gesamte Filmstadt überhaupt ausmacht – gemäß dem Motto: Alle unter einem Dach!
Kräfte bündeln!
Haas: Das ist uns wichtig. Eigene Veranstaltungen gab es aber auch schon immer. Ula Weßler, die langjährige Geschäftsführerin, die auch stark beim Dok.fest engagiert war, hat in den 90er und 2000er Jahren eine Israel-Palästina-Filmreihe gemacht, zu der auch andere Filmstadt-Mitglieder beigetragen haben. Und es gibt schon seit vielen Jahren die Mittelmeer-Filmtage, die im Moment ruhen, an denen sich mehr oder weniger alle Mitglieder oder Mitglieder-Festivals und Gruppen mit Programm beteiligt haben. Außerdem haben wir erst vor zwei Jahren ein Symposium veranstaltet. Unter dem Titel „Mehr Filmkultur für alle“ zeigten wir uns da alle gemeinsam und diskutierten genau die Themen, die für alle wichtig sind.
Um was geht es denn da konkret?
Haas: Nach der Pandemie haben wir etwa ein neues Projekt angestoßen – zur Stadtteilkultur. Dabei probieren wir laufend neue Formate aus. Wir wollen versuchen, noch mal mehr nach außen zu gehen – in die Stadtteile. Kürzlich erst waren für ein Filmwochenende in Neuperlach oder in Riem und in der Pasinger Fabrik.
Mehr Abwechslung abseits der Innenstadt-Kinos.
Haas: Wir gehen in die Stadtteile – und zwar genau dorthin, wo es keine Kinos mehr gibt und wo die Leute gar nicht mehr so viel Berührung mit Filmkultur haben. In Riem haben wir deswegen unter anderem auch partizipative Angebote gemacht – und etwa mit Jugendgruppen zusammengearbeitet, die auch Filme mit ausgesucht haben. Mal sehen, ob wir demnächst mal nach Freiham gehen, wo ja auch gerade ein neuer Stadtteil entsteht. Oder nach Hasenbergl. Eben überall dorthin, wo wirklich gar keine Kino-Infrastruktur ist.
Solche Programme liefen ja schon mal unter „Bollerwagen-Kino“, was sich ja ganz romantisch anhört und etwas nach einer fahrenden Künstlertruppe klingt.
Das ist ja das Schöne beim Bollerwagen-Kino. Die Gruppe zieht jedes Jahr woanders hin, zuletzt nach Pasing.
Wie sehr betrübt das, wenn Sie die Planungen für ganze Stadtteilprojekt wie Freiham verfolgen und schon ahnen, dass dort erstmal kein Kino zu finden sein wird?
Haas: Das Gute ist, es gibt in all diesen Stadtteilen auch nutzbare Räumlichkeiten. Auch in Freiham findet sich ein Stadtteilzentrum, wo man Veranstaltungen machen kann. Aber es stimmt leider schon: Die Kino-Kultur konzentriert sich immer mehr auf die Innenstadt. Und von den klassischen Stadtteilkinos gibt es bedauerlicherweise nicht mehr viele.
Oft sehr zum Bedauern der Fans aus der Nachbarschaft.
Haas: Es gibt aber zum Glück weiterhin tolle Orte wie das Rio in Haidhausen. Oder das Kino Solln. Genau deswegen bemühen wir uns darum, an andere Orte zu gehen – auch in Kooperation etwa mit den Stadtteilbibliotheken. Oder wir arbeiten in temporären Nutzungen. Es gibt viele Räume, die man so bespielen kann – etwa den kleinen Theater-Saal in der Pasinger Fabrik, der eigentlich kein Kino ist. Wir haben dort schon mehrere Filme gezeigt – und das wird total gut angenommen und funktioniert sehr schön.
Viehbacher: Wir halten es für sinnvoll, dorthin zu gehen, wo die Leute schon sind. Unser Anspruch ist nicht, nur die Leute zu anzusprechen, die bereitwillig für ihren Kinobesuch in die Innenstadt aufbrechen. Wir wollen ein Publikum erreichen, das sonst andere Angebote beispielsweise in Stadtteil-Kulturzentren wahrnimmt. Für mich ist es sehr spannend, wenn Leute einfach mal ein bisschen über unser Programm stolpern – und so vielleicht ihre Liebe zum Film entdecken oder auch wieder entdecken.
Es gibt in München ja durchaus Großveranstaltungen, wo ab und an plötzlich wieder eine Art Kino-Virus ausbricht – auch bei Leuten, sie sonst nicht so regelmäßig ins Kino gehen.
Viehbacher: Wir stehen für viele Filmfeste, nicht nur für das eine große Fest.
Haas: Unser Verein Filmstadt München steht ja unter anderem auch hinter dem Dok.fest. Es geht uns aber nicht um ein Filmfest, das nur in einer Woche stattfindet. Wir stehen für eine kontinuierliche Filmarbeit mit unterschiedlichen Themen, für unterschiedliche Publikumsschichten. Kürzlich erst haben wir zur Sicherheit noch mal nachgezählt, was wir alles machen.
Und?
Haas: Es sind über 260 Veranstaltungstage im Jahr – mit über 400 Veranstaltungen. Das ist schon echt eine Menge. Unsere Reihen und Kino-Veranstaltungen laufen kontinuierlich über das ganze Jahr hinweg. In der ganzen Stadt. Es gibt keinen Monat, an dem nichts stattfindet – diese Vielfalt macht uns aus.
Ihre Reihen setzen ja auf spannende, kuratierte Programme. Wie schwer ist es denn, an teilweise so besondere Filme überhaupt zu kommen: Werden Ihnen die angeboten, oder wie viele einschlägige Festivals oder Web-Plattformen müssen Sie zur Vorauswahl durchstöbern?
Haas: Es sind immer mehrere Wege, auf denen wir die Filme auswählen. In jeder Gruppe bestehen natürlich sehr enge Kontakte in die jeweiligen Filmländer, also zu Produktionsfirmen, enge Bande mit Filmemacherinnen und Filmemachern. Etlichen der Gruppen werden Filme auch angeboten. Das Underdox-Festival etwa, das im Oktober wieder im Werkstattkino stattfindet, ist eng mit Filmschaffenden und bildenden Künstlern verbunden, die so viele Porträts von Leuten gemacht haben, die bis dato hierzulande noch sehr unbekannt waren. So entstehen dann Freundschaften, die nicht abreißen.
Viehbacher: Die Besuche auf anderen Festivals sind auch sehr wichtig: Die meisten Gruppenmitglieder fahren raus und sehen sich in der Welt draußen für unsere Programme um – manchmal vergleichsweise nah auf der Berlinale, aber für das Lafita-Festival auch auf einschlägigen lateinamerikanischen Filmfestivals. Die Kollegen von den türkischen Filmtagen fahren nach Antalya, die Leute von der griechischen Filmwoche besuchen das Filmfest in Thessaloniki.
Wirklich eine bunte Mischung – mit offenen Augen in alle Richtungen.
Haas: Wir haben 16 Mitglieder-Gruppen im Verein – und 18 Filmreihen, Festivals, den Filmkunst-Wochen und vieles, was als Einzelveranstaltungen unterjährig stattfindet. So veranstalten wir etwa viele Previews in Kooperation auch mit Kinos.
Wie starke Nerven braucht man eigentlich, um Vielfalt zu koordinieren – damit es keine unsinnigen Überschneidungen oder endlose Abstimmungsdiskussionen gibt? Die Filmstadt München ist ja keine zentralistische Organisation.
Viehbacher: Die Gruppen funktionieren alle autonom. Entscheidungsprozesse finden oft ganz unterschiedlich statt. Manchen Gruppen sind strikt basisdemokratisch aufgestellt: Jeder guckt jeden Film, es gibt verschiedene Punktesysteme, bevor gemeinsam entschieden wird, welche Filme es ins Programm schaffen. Andere Gruppen sind wiederum so organisiert, dass bestimmte Personen unterschiedliche Spezialgebiete abdecken, weil sie sich da einfach perfekt auskennen. Die Geschäftsstelle redet bei solchen Diskussionen inhaltlich gar nicht mit.
Haas: Wir halten uns aus der Programmplanung einzelner Gruppen raus. Aber klar: Wir geben schon mal ein Tipp, wenn wir etwa selbst auf einem Festival über einen tollen Film gestolpert sind, der seinen Weg nach München finden sollte.
Und wenn Sie mal in einem richtig trashigen Popcorn-Film in einem sehr kommerziellen Kino erwischt werden: Wie sehr muss man sich da genieren?
Haas: (lacht) Das kann gar nicht passieren, mich kann man nicht erwischen.
Viehbacher: Wir bewegen uns schon abseits vom Mainstream. Ziel ist es, Filmemacherinnen und Filmemachern Sichtbarkeit zu geben. Natürlich wollen wir dem Publikum eine breitere Palette anbieten als Blockbuster. Niemand hat etwas davon, wenn die Leute zu Hause auf der Couch bleiben und sich nur das reinziehen, was gerade bei Netflix auf der ersten Position angezeigt wird.
Haas: Zentral ist für uns natürlich auch die Kontextualisierung. Es ist ein stark kuratiertes Programm. Wir wollen Filme in Zusammenhang zueinander stellen, dass sie sich miteinander unterhalten können. Bei uns lernt man etwas von den Filmen – und vom Gespräch untereinander. Kino ist doch so viel mehr als Popcorn.
Lebendige Vielfalt: Die Filmstadt München, mit MONIKA HAAS als Geschäftsführerin und seit Juni mit FRANZISKA VIEHBACHER als Co-Geschäftsführerin, plant und organisiert – größtenteils ehrenamtlich – unter anderem die Griechische Filmwoche, die Lateinamerikanischen Filmtage, die Mittelmeer-Filmtage, die Türkischen Filmtage, die Afrikanischen Filmtage, das Mittel Punkt Europa Filmfest, viele Kinder- und Jugendfilmveranstaltungen (flimmern&rauschen, judoks, Kinderkino München, Kino Asyl, Mini-München-Kino) sowie die Frauenfilmreihe Bimovie, das Queer Film Festival München, das Kurzfilmfestival Bunter Hund, die Tage des Ethnologischen Films, das Bollerwagenkino, das Festival für experimentelle Filmformen Underdox und das DOK.fest. Im Vorstand sitzen Margit Lindner, Linus Einsiedler und Kostas Mitsis. www.filmstadt-muenchen.de