Diese neuen Bühnenproduktionen gehen mit der Realität auf Kuschelkurs
Sie ist eine taffe Strafverteidigerin. Ihre Freispruchrate ist hoch. Tessa hat sich auf sexuelle Übergriffe spezialisiert. Jeder Gerichtssaal wird für sie zur Bühne. Doch dann geraten die Dinge ins Rutschen: Tessa wird vergewaltigt – von einem Bürokollegen, mit dem sie gerade erst eine Affäre angefangen hatte. Die Beweise – Prima Facie – sprechen aber nicht gerade für sie. Tessa zieht in den Kampf – gegen ein System, das von Männern geschaffen wurde. Wie Ferdinand von Schirach kennt auch Erfolgsautorin Suzie Miller die Justiz von innen. Sie lässt Tessa (Lea Ruckpaul) ihre beklemmende Lebensgeschichte auffächern, bei der sie alle Figuren gleich selbst mitspielt. (Residenztheater, ab 1.3.)
Um Worte und um Macht gerungen wird auch in der neuen Artikult-Theaterproduktion: Es geht ins Raubtiergehege Großraumbüro, wo diejenigen am lautesten brüllen, die am meisten zu verbergen haben. Akute Diagnose für Speichellecker: Bandscheibenvorfall! Es ist eben ein Abend „für Leute mit Haltungsschäden“. (Forum 2, 1./2. und 16.3./Pasinger Fabrik 7./8./9. und 17./18./19.3.)
Wenn eine langjährige Freundschaft Knall auf Fall mit einer SMS aufgekündigt wird, gäbe es Gesprächsbedarf. Es stehen schwere Verdachtsmomente im Raum: Machtmissbrauch, Grenzüberschreitungen, Vertrauensverlust, toxisches Schweigen. Die Wahrheiten ist eine Psychostudie, bei der nur eins sicher ist: Alles ist anders. (Metropoltheater, ab 1.3.)
Mit den Codes der Körper und der Tanztradition arbeitet der weltweit gefeierte Choreograf Richard Siegal. Er spielt in der neuen Body Without Organs-Produktion auf die Forderung des Theater-Avantgardisten Antonin Artaud an, der Anfang des vergangenen Jahrhunderts, von einem „Körper ohne Organe“ sprach und damit wohl auch die Ablösung von ästhetischen Konventionen meinte. Doch geht das überhaupt? Siegal lässt seine Truppe nach und nach aus der Formstrenge des Barocks ausbrechen. (Muffathalle, 1./2.3.)
Horror auf der Bühne – und im Kopf: Svenja Viola Bungarten nimmt ihr Publikum mit in ein tief im Wald verstecktes Internat. Es gibt Gerüchte – um „gefallene“ Frauen, Hexenkinder und Geheimbünde. Maria Magda muss ihren Weg in eine Gemeinschaft finden, die auch ihr zunächst ziemlich unnatürlich vorkommt. (Volkstheater, ab 2.3.)
Wer sich zuletzt mit dem lange unumstritten großartigen Kabarettisten Bruno Jonas befasst hatte, kam ebenfalls dem Grusel nahe. Und auch beim wirtschaftlichen Untergang der früheren Lach- und Schießgesellschaft schien der einstige Mit-Eigner keine glückliche Rolle zu spielen. Umso beachtlicher, dass er jetzt wieder vor Publikum tritt. „Meine Rede“ versteht sich als satirisch hoffentlich mehrfach gebrochene Darbietung, die sich Freiheiten nimmt. Laut Jonas darf man einen „herrschaftsfreien Monolog für Fleischesser und Dieselfahrer“ erwarten. „Vegetarier und Veganer willkommen!“ Nun denn. (Künstlerhaus, 6./7.3.)
In humoristisch vermeintlich sicheres Fahrwasser führt die originelle Gastspielproduktion Buchbinder Wanninger – Das Musical mit Charakterkopf Ferdinand Dörfler in der Hauptrolle. Die Karl-Valentin-Hommage versteht sich als Zeitreise in die Frühphase des Münchner Kinoschaffens. (Deutsches Theater, ab 6.3.)
Ebenfalls Musikgeschmack der exquisiten Sorte beweist die Zanaida-Inszenierung der Opernstudenten der Theaterakademie August Everding. Sie haben sich ein selten gespieltes „Dramma per musica“ von Johann Christian Bach vorgenommen, das musikalisch zwischen Barock und Klassik changiert und in einen mythischen Machtkonflikt rivalisierender Königsreiche führt. (Prinzregenthentheater, ab 8.3.)
Vor dem (Scheidungs-)Gericht: Michael und Jennifer Ehnert wollen trennen, was nicht mehr zu kitten ist. Doch bevor sie beim Richter vorgelassen werden, müssen sie draußen noch warten. Letzte Gelegenheit, um nach der Devise Küss langsam ihre Beziehung noch einmal Revue passieren zu lassen – wie alles begann und wie alles zerbrach. (Werk7 Theater, 8.3.)
Daniel Helfrich wirft selten gestellte Fragen auf: Was wäre passiert, wenn Eva und Adam sich getrennt hätten? Wäre uns allen nicht viel damit erspart geblieben? „Trennkost ist kein Abschiedsessen“ ist ein spitzzüngiges Programm über missglückte Kommunikation – mit gehobenem Blödsinn und urkomischen Liedern. (Schlachthof, 8.3.)
Auf politisch vermintes Gelände geht’s in der Männlichkeitsschau Penis – eine Umarmung. Ines Hollinger und Lucy Wirth haben erstmalig gemeinsam ein Bühnenstück entwickelt, das sich um Empathie bemüht, auch wenn man die vielen innerlich gekippten Ramazottis spürt. (HochX, 9./10./11.3.)
Noch nicht zu alt für die große männliche Rockerpose – selbst wenn sich Viagra und Granufink schon in Greifweite befinden – fühlt sich Bewie Bauer. Sein neues Solo „Ein Teenager wird 50!“ bringt rasante Stand-up-Comedy, Parodie und Musikkabarett zusammen. (Fraunhofer, 9.3.)
Ähnlich gelagert sein dürfte Dr. Triebels Musikalische Gruppentherapie. Claas Triebel fügt den Doktoren der Musikgeschichte – Dr. John, Dr. Alban, Dr. Dre – eine weitere Spezialkraft hinzu. Es geht um Bands als Selbsthilfegruppe und öffentliche Rock-Pop-Anwendungen. (Fraunhofer, 10.3.)
Schockartige Begegnung: Die Passagierin, zweiaktige Oper von Mieczyslawa Weinberg, dessen Eltern und Schwester von den Nazis ermordet wurden, erzählt von der Schuld, die nie verjährt: Auf einer Schiffsreise glaubt eine frühere SS-Aufseherin aus dem Konzentrationslager Auschwitz in einer Mitreisenden eine frühere Gefangene zu erkennen. (Nationaltheater, ab 10.3.)
Hier wird gekleckert, vermutlich auch geklotzt, mit Sand gerieselt, mit Stoffen gekuschelt – und immer die Fantasie herausgekitzelt: Insgesamt neun Produktionen aus Belgien, Deutschland, Norwegen, der Schweiz und erstmalig auch aus Nigeria, sind beim diesjährigen Kuckuck-Festival für junge und jüngste Theaterfreunde eingeladen. Und erstmalig geht es auch an neue Spielorte – unter anderem ans HochX, die Stadtbibliothek im HP8. Dreh- und Angelpunkt ist natürlich die Schauburg, wo die Kleinen auch Blicke hinter die Theaterkulissen werfen dürfen. (Diverse Orte, 12. bis 22.3.)
Ein rundum netter Kerl: Nektarios Vlachopoulos bezeichnet sich selbst gern als „wahrscheinlich besten Menschen der Welt“. Was er vor allem genial gut kann: Sprache! Er steigert gern mit der Vorsilbe „Bums-“ und spielt gekonnt auf der Klaviatur der Albernheiten – von Ringelnatz bis Pimmelwitz. Was will man mehr? (Lustspielhaus, 12.3.)
Klassisch-geistreicher Verwechslungsspaß: Die englischsprachige Truppe ESM Players bringt mit Twelfth Night die romantische Shakespeare-Komödie auf die Bretter, in der die Zwillinge Viola und Sebastiano an Illyriens Küste angespült werden. Zunächst glauben beide, dass der jeweils andere tot sei. (Theater Und so fort, 14./15./16.3.)
Immer ein Gewinn für einen unterhaltsamen Abend und selbstverständlich ein Hingucker ist Chris Kolonko. Der Verwandlungsspezialist führt charmant durch die Varieté-Produktion Big Love – Grenzenloses Entertainment und lässt sich dabei von der Soul Sister Bridget Fogle unterstützen. (GOP Theater, ab 15.3.)
Von der Flucht in die Fantasie: Es ist ein grauer Alltag, in der einer jungen Frau nur wenig Entfaltungsraum zugestanden wird. Umso verführerischer lockt die Tür, die sich über die Literatur öffnet. Hausregisseurin Elsa-Sophie Jach setzt mit Die Kopenhagen-Trilogie Stoffe aus den Romanen der Dänin Tove Ditlevsen in Szene. (Marstall, ab 16.3.)
Worte finden: Die in München lebende israelische Dramatikerin Maya Arad Yasur und die ebenfalls hier ansässige israelische Regisseurin Sapir Heller („Amsterdam“) setzen sich in der Performance Wie man nach einem Massaker humanistisch bleibt in 17 Schritten mit dem unermesslichen Schmerz auseinander. Auf der Suche nach einem Rest Hoffnung. (Volkstheater, 16.3.)
Es ist Jubiläumsjahr, Baby: Lorenz Seib (Idee und Regie) schmeißt die Kafkamaschine an und lässt zwei Schauspielerinnen mit ihr und den Motiven aus Kafka-Erzählungen interagieren. Ein kleiner Junge wird mit Hilfe einer Katze zum Bürgermeister. Die Ohnmacht bekommt überraschend Besuch. Ein alter Mann mit Flügeln weiß nicht, wohin er fliegen soll. Wie das dunkle Leben eben so spielt. (TamS, ab 16.3.)
Man wird doch noch träumen dürfen: Michael A. Grimm schlüpft in die berühmte Rolle von Tevje, dem Milchmann aus der Ukraine. Alles dreht sich bei ihm um seine fünf Töchter, die verheiratet werden müssen, die Sehnsüchte, die kleinen und großen Nöte, die unendliche Weite des Landes. Doch dann gilt eben auch: Anatevka ist überall. Und die Realität ist brutal. (Hofspielhaus, ab 18.3.)
Auf Unterwasserreise: Hinunter in die Aphotic Zone, die nahezu unerforschte, lichtlose Tiefseezone in den Weltmeeren, zieht es die Performance-Piloten. (Akademietheater, ab 20.3.)
Du bist, wie du sprichst: Von der weiblichen Selbstermächtigung und alten weißen Männern, die jungen Frauen mal wieder die Welt erklären, dreht sich der Komödienspaß Pygmalion nach George Bernhard Shaw. (Cuvilliéstheater, ab 21.3.)
Auf die Barrikaden: Mit Les Misérables, basierend auf dem Schmöker von Victor Hugo, donnert der Straßenaufstand durchs ehrwürdige Staatstheater. Josef E. Köpplinger hat sich eines der weltweit erfolgreichsten Musicals gepackt. (Gärtnerplatztheater, ab 22.3.)
Riecht es hier nach Rosen – oder doch nach Blut? Das Fürchten lehrt das Publikum die Uraufführung von Die Möglichkeit des Bösen, in deren Zentrum einen von allen geschätzte, unscheinbare Nachbarin steht, die jedoch ein geheimes Doppelleben führt. Vorbild für die Schauerinszenierung ist eine Kurzgeschichte von Shirley Jackson, die den Horror gerne in ruhige Vorstadtstraßen verlegte und damit schon Stephen King schwer beeindruckte. (Kammerspiele, ab 23.3.)
Mit dem Stirnrunzeln des zugewandten, leicht verwirrten Naturforschers blicken Autorin Sibylle Berg und Regisseur Christian Stückl auf die Verheerungen des Geschlechterkampfs, dessen Ausgang eindeutig scheint: Frauen brauchen Männer nicht mal mehr für die Fortpflanzung. Doch was mit ihnen anfangen? In den Gärten oder Lysistrata Teil 2 geht dieser Frage nach. (Volkstheater, ab 24.3.)
Eine royale Girlgroup: Der Musical-Titel Six, der auch einen Bandnamen abgeben könnte, steht für die sechs Ex-Frauen des englischen Tudor-Königs Henry VIII. Sie klagen das an, was man britischen Schülern als Merkvers über ihr Schicksal einhämmert: „Geschieden, geköpft, gestorben, geschieden, geköpft, überlebt.“ (Deutsches Theater, ab 26.3.)
Und dann noch extra viel Positivvibration zum Schluss: Sven Ratzke gilt als der Künstler weltweit, der David Bowie am nächsten kommt. Noch zu Lebzeiten hatte der Künstler Ratzke das höchstpersönlich amtlich gegeben. (Lustspielhaus, 28.3.)