Mia san Mia

Theater im September: Ein Prosit der Ungemütlichkeit

Was wäre, wenn echtes Bayern nur noch in den Tiefen des Alls existierte?

Wer hat sich in diesen Sommerferien am Ballermann oder in Barcelona wider Erwarten nicht ganz so willkommen gefühlt? Keine Sorge, beim streckenweise atemberaubenden, dann wieder augenzwinkernden Theaterabend Sentimientos kann man das „Feuer Spaniens“ noch einmal entfachen. (GOP Theater, ab 5.9.)

Freundschaft, Liebe, Verrat, Wahnsinn: Nein, jetzt dreht sich’s nicht mehr um Übertourismus rund ums Mittelmeer, sondern um den Ernst, der uns schockartig packt und tief verunsichert. Es geht in Mazeppa, der neuen Produktion der neugierigen Truppe Opera Incognita um die historischen Hintergründe zwischen Russen und Ukrainern. Basis ist eine selten aufgeführte Oper von Tschaikowsky, die ein Puschkin-Langgedicht aufgriff. (LMU Audimax, 6./7. und 13./14.9.)

Es ist seine letzte, wackelige Verneigung vor den Abgehängten, für die Joseph Roth stets ein Herz hatte. Und gleichzeitig geht der biografische Bezug in Die Legende vom Heiligen Trinker an die Nieren, war Roth doch selbst schwerer Alkoholiker. Im Stück geht es dem obdachlosen Andreas besser: Er schafft es nach einigen Wundern von unter der Brücke bis ins Grand Hotel. Die Theatertruppe collagiert den Text mit Chansons und Saufliedern. (Teamtheater, ab 11.9.)

Vom Weitermachen, auch wenn alles „draußen“ bedrohlich wirkt, handelt die Tanz- und Musikrevue Über uns zwei Krähen. Ausgangspunkt ist eine schrille Silvesterparty zum Jahreswechsel 2029/2030. Das Rudel muss zusammenhalten – und weiterziehen. (Mucca 31, Schwere-Reiter-Str. 2, ab 11.9.)

Ähnlich düster, vergleichbar aggressiv ist die Lage im Fight Club, wo Romanautor Chris Palahniuk einst die Luft brennen ließ. Das Theater Plan B arbeitet den Kulttext, der zum genial finsteren Psychodrama mit Edward Norton und Brad Pitt im Film von David Fincher führte, zu einem Bühnenarrangement um. Es geht um die Verletzlichkeit – und die Hohlheit im Konsum-Fetischismus. (Theater Viel Lärm um Nichts, ab 12.9.)

Das Internet verbindet seine Nutzer weltweit – auf teils geheimnisvollen Wegen. Doch natürlich sind Menschen nicht die einzigen Organismen, die sich durch weit gespannte Netze verbinden. Die Tanz-Performer Diego Tortelli und Miria Wurm lassen sich von der Welt der Pilze inspirieren. Terranova – Hidden Link erkundet die Interaktion mit vitalen Schnittstellen, an denen sich allerlei Art von Leben begegnen. Pulsierend! (Muffatwerk, 14.9.)

Potz Blitz: In den weit verzweigten Hinter-Räumlichkeiten der Kammerspiele wurde umgebaut und Neues gedacht. Nun sperrt Intendantin Barbara Mundel mit Werk*raum – Die Eröffnungsshow den neuen Entfaltungsort auf, in der sich das Ensemble mit eigenen Projekten austoben soll – über alle Disziplinen hinweg. Los geht’s mit einem Mix aus Theater, Talkshow, Konzert sowie Spiel und Spaß. Und dann geht’s auch gleich mit der Tam Tam Treppenbar weiter, die ebenfalls ab sofort von Mittwoch bis Samstag zum neuen Innenstadttreffpunkt werden soll. (Kammerspiele, 18.9.)

Voll gepackter Stundenplan auf der Wintersteinschule, wo Margit Auer schon seit über zehn Jahren, die von vielen jungen Lese-Fans begeistert aufgenommenen Abenteuer spielen lässt. Die Schule der magischen Tiere – voller Löcher ist nun schon die zweite Bühnenproduktion, die selbst von einem Stück im Stück erzählt. (Deutsches Theater, 19. bis 21.9.)

Und dann ist auch schon das Schauspielhaus mit der Eröffnung nach der Sommerpause dran: Mia san Mia ist ein intergalaktisches Gruselstück. Katapultiert wird man auf einen unwirtlichen Planeten, die letzte bayerische Siedlung. Dorthin hatten sich vor ein paar Jahrzehnten eine Gruppe Mutiger aufgemacht, um ihre Bräuche weiter ausleben zu können. Schnell wurde die Siedlung zum Touristenziel für Weltraumreisende, die den langen Trip von der Erde dorthin auf sich nehmen – um dann Horror zu erleben. Zefix! (Kammerspiele, ab 19.9.)

Die zweite Eröffnungspremiere: Sie kam aus Mariupol erzählt von der Tochter einer einstigen Zwangsarbeiterin, deren Mutter in der geistig beengten Nachkriegszeit in Bayern verschwand. (Kammerspiele, ab 20.9.)

Hinter die Kulissen: Bevor der Bühnenwahnsinn wieder geweckt wird, feiert Schauburg-Intendantin Andrea Gronemeyer ein großes Theaterfest – mit Spiel, Spaß, Führungen durchs Haus und kreativen Mitmachaktionen. (Schauburg, 21.9.)

Gefangen in der Nostalgie-Falle: Wenn früher alles besser war, warum dann überhaupt aufbrechen? Anna Konjetzky hat für Tomorrow … we … were ein geniales Bild gefunden: eine Halfpipe, in der ihre Tänzer nicht vom Fleck kommen. (Muffatwerk, 25./26.9.)

Eine irre Idee und ein irrer Zeitdruck: Wer im Hotel ankommt, hat nur 45 Tage Zeit, dort eine Partnerin oder einen Partner zu finden. Wer das nicht schafft, wird in ein Tier verwandelt. Das Stück basiert auf dem herrlich durchgeknallten Film The Lobster von Yorgos Lanthimos und lotet alle Untiefen des Oscar-preisgekrönten Drehbuchs von Efthimis Filippou aus. (Volkstheater, ab 26.9., mit öffentlicher Premierenparty zum Spielzeit-Start)

Große Aufregung und viel Liebeswirren: Stephen Kimmig interpretiert Shakespeares Ein Sommernachtstraum mutig um: Es geht um Sonderlinge, die sich am Rande der Gesellschaft in ihrer eigenen zum Durchknallen angespannten Blase bewegen. (Residenztheater, ab 27.9.)

Durch eine sinnentleerte Welt tapst schließlich die Protagonistin in der Stück-Entwicklung nach dem Roman von Ottessa Moshfegh: Mein Jahr der Ruhe und Entspannung. Ein Titel als blanker Hohn! (Volkstheater, ab 28.9., ebenfalls mit Premierenparty)

Was wäre man zu opfern bereit, wenn es um den ganz großen Durchbruch – vielleicht sogar die Rettung der Welt – geht? Heiko Dietz dreht in Dysphoria an den großen Rädern. (Theater Und so fort, ab 28.9.)

Und dann können sich die Autorin Nele Stuhler und der Regisseur FX Mayer in der gemeinsam entwickelten Komödie über den überhitzen Zeitgeist zum Glück nicht festlegen: Und oder oder oder oder und und beziehungsweise und oder beziehungsweise oder und beziehungsweise einfach und. (Marstall, ab 29.9.)