Theater im Oktober: Wunder dich nicht

Mutige tauchen zum Herbstanfang kopfüber in neue Bühnen-Zauberwelten ein

Anecken und die Kälte spüren: Michel Friedman, dessen Eltern nur durch viel Glück auf der berühmten Liste von Oskar Schindler landeten und so in letzter Minute anders als die meisten Verwandten dem Holocaust entkamen, hat sich im Roman Fremd den Schmerz von der Seele geschrieben. Er erzählt vom Aufwachsen in Deutschland – in Angst und unter Anfeindung. Die Schauspielerin Katharina Bach hat daraus eine radikale Solo-Performance gezimmert. (Kammerspiele, ab 3.10.)

Otfried Preußler, dessen eigene Vergangenheitsbewältigung nicht unumstritten ist, wollte mit seinem Kinderbuch Die kleine Hexe den Jüngsten unter dem Eindruck der Nazi-Zeit einen Kompass für Gut und Böse an die Hand geben. John von Düffel hat den Text für die Bühne bearbeitet. (Schauburg, ab 3.10.)

Keine Herrschaft, keine Gesetze: Es herrscht Anarchie nach dem Super-GAU. Das Münchner Heldentheater verlegt mit Endzeit. Penthesilea das berühmte Kleist-Stück in eine düstere Zukunft. (Luise Kulturzentrum, 4./5.10.)

Eine Gesellschaft im dauergereizten Krawallmodus. Was wünscht man sich da mehr als mal Fünf Minuten Stille? So hat Schauspieler Leo Meier, preisgekrönt für sein Debüt-Stück „Zwei Herren von Real Madrid“, seine neue Bühnentextanordnung genannt. (Volkstheater, ab 9.10.)

Nach Amerika: Kafkas Text Der Verschollene aus dem Romanfragment erzählt von den Klassenverhältnissen im Kapitalismus. Der 16-jährige Karl, der von seinen Eltern verstoßen wurde, muss sich in der neuen Welt seinen Platz erkämpfen. (Kammerspiele, ab 11.10.)

Nie altern: Von diesem Traum lässt sich auch der junge Page Orlando verzaubern. Als er morgens aufwacht, findet er sich im Körper einer Frau wieder. Die immer neugierige Opera Incognita-Truppe unter Leitung von Andreas Wiedermann führt den Virginia-Woolf-Text mit Musik von Georg Friedrich Händel zusammen. (Deutsches Theater, ab 11.10.)

Orlando (c) DTM

Ein neues Langgedicht des preisgekrönten kongolesisch-österreichischen Autors Fiston Mwanza Mujila ist der Startpunkt für die Tanzproduktion Balau mit dem Choreografen Serge Aimé Coulibaly. Man durchfiebert eine hitzige Nacht und einen Tag. (Kammerspiele, ab 12.10.)

Ebenfalls ein fiebriger Traum: Deep Dive Dreaming inszeniert die Sehnsüchte der Millennials und brutzelt die Grenzen zwischen Realität und Fiktion weg. (Fat Cat, Black Box, 15.10.)

Die allmächtige Einheitspartei überwacht alles und jeden. Das Ministerium für Wahrheit geschirrspült die Gehirne. George Orwell meldet sich zurück: 1984(Hoftheater, 16./17./18.10.)

Flucht auf den Dachboden: Gregers möchte nicht die Firma seines kranken Kapitalistenvaters übernehmen, sondern zieht lieber bei seinem alten Freund Hjalmar ein, der zurückgezogen lebt und eine verletzte Wildente pflegt. Den Schatten der Familienvergangenheit entkommen beide nicht – Henrik Ibsen eben. (Cuvilliéstheater, ab 17.10.)

Strippenziehen an der Traummaschine: Untold ist ein poetisches Schattentheater, bei der die Kompagnie Unterwasser Taschenlampen schwenkt und Fäden bewegt. Wunder! (Hoch X, 17.10.)

Entdecke den Stier in dir: Dieses Motto stellt Regisseur Herbert Föttinger über seine Carmen-Neuinszenierung voran, die tiefenpsychologische Schichten herausarbeiten will. (Gärtnerplatztheater, ab 18.10.)

Auf Wahrnehmungserkundung: Die Freie Bühne München hat sich bei ihrer inklusiven Stückentwicklung Der Gelbe Klang von den synästhetischen Schriften Wassily Kandinskys sowie von Oliver Sacks‘ „Die Insel der Farbenblinden“ inspirieren lassen. Gute Idee. (Kammerspiele, 18./19.10.)

Der Gelbe Klang (c) Markus Burke

Ein Mann beim Kerzenlicht-Dinner: Dumm nur, dass im Nobelrestaurant die Bedienung vollautomatisiert ist. KI und die Flugroboter kleckern. Love of Risk ist eine „Wunder“-Produktion, die immer mit der Möglichkeit des Scheiterns spielt. (Einstein Kultur, 19.10.)

Der Yark ist ein eigenartiges, natürlich auch schreckliches Monster: Es verschlingt Kinder. Doch essen kann es nur die netten und angepassten. Die frechen und wilden bekommen ihm nicht. Eine Chance zur Flucht? (Pasinger Fabrik, 19.10.)

Unsterblich werden. Oder zumindest eine Erinnerung an sich hinterlassen. Es ist der Urtrieb, der zu beeindruckenden Totenkulten weltweit geführt hat. Chora bewegt sich als Theater-Klang-Konstellation zwischen Jetzt und Jenseits – in einer Welt voll mit Monteverdi, Schönberg und György Kurtag. (Museum Ägyptischer Kunst, 24. bis 26.10.)

Georg Wilhelm Pabst, einst einer der erfolgreichsten Regisseure der Weimarer Zeit, war schon in den sicheren USA, wo ihm aber der Erfolg verwehrt blieb. Also entschließt er sich zur Rückkehr – ins Deutsche Reich, auf eine Einladung von Goebbels hin. Volkstheater-Intendant Christian Stückl höchstpersönlich holt mit Lichtspiel den neuen Bestseller von Daniel Kehlmann auf die Bühnenbretter. (Volkstheater, ab 24.10.)

Ein Wettlauf gegen die Uhr – zwischen Gentleman und Schlitzohr: Dominik Wilgenbus treibt für In 80 Tagen um die Welt sein kleines Ensemble zu sportlich-theatralen Höchstleistungen an. (Hofspielhaus, ab 24.10.)

Der Weltuntergang nimmt seinen Lauf. Und das auch nur, weil es mal wieder ums große Glitzern und die gefährliche Verführung durch Rheingold geht. Wagners Vorabend-Stück vor dem „Ring der Nibelungen“ kehrt in einer Inszenierung von Tobias Kratzer zurück – mit Nicholas Brownlee als Wotan. Wow! (Staatsoper, ab 27.10.)

Und auch die Kamea Dance Company aus Israel geht in die Vollen: Ihr Dreiklang lautet – Versuchung, Vergnügen und Vergänglichkeit. Dazu donnern die Carmina Burana durch den Theatersaal. Sinnenfrohes Spektakel mit Schmackes. (Deutsches Theater, 29./30.10.)

Carmina Burana (c) Kfir Bolotin

Vorfreude ist die schönste Freude: Michael Kunze und Sylvester Levay haben Mozart! zum Musical gemacht. Man darf schon jetzt gespannt sein. (Prinzregententheater, ab 13.11.)