Ortsgespräch Rodeo-Festival: „Keine Angst vor Popkultur“

Schaufenster der freien Szene: UTE GRÖBEL und ANTONIA BEERMANN stellen von 9. bis 15.10. das „Rodeo“-Festival auf die Beine 

Frau Gröbel, liebe Frau Beermann, vor München liegt das spannende Festival, hinter Ihnen eine lange Vorbereitungszeit. Wie sehr war es denn dieses Jahr wieder ein „Rodeo“, bis alle Pläne aufgingen – und wie stark drückt Ihr Muskelkater?

Ute Gröbel: So eine Festivalvorbereitung ist ein zweijähriger Marathon, dazwischen gibt’s aber auch einige Sprints – und Hürdenläufe: Klappts mit der Finanzierung? Haben wir genug Spielorte? Schaffen wir es, dieses ambitionierte Programm umzusetzen? Wir haben so viele tolle Stücke gesichtet, da will man am liebsten alles zeigen. 

Antonia Beermann: Im Moment sind wir voller Vorfreude auf das Festival – die diversen Kater kommen dann in den Tagen nach der Abschlussparty am 15. Oktober. 

Nach welchen Kriterien halten Sie die Augen offen, wenn Sie das Programm zusammenstellen?

AB: Rodeo ist das Festival der Münchner freien Szene, das ist unser Fokus. Wir zeigen aktuelle Positionen aus Tanz, Theater und Performance von Künstler*innen dieser Stadt, von Etablierten ebenso wie von Newcomer*innen. Die freien darstellenden Künste haben eine riesige Bandbreite an Genres und Spielweisen, das möchten wir abbilden. 

UG: Wir schauen dabei besonders aufmerksam auf experimentierfreudige Stücke und Gruppen, auf Mut zum künstlerischen Risiko. Neue Formate, die Grenzen von Performance ausloten und überraschende Perspektiven und relevante Fragen aufwerfen.

Was muss eine Produktion unbedingt ausmachen, damit sie für „Rodeo“ ausgewählt werden kann?

UG: Sie muss eine eigene, konsequente Ästhetik verfolgen, aktuelle gesellschaftliche Themen verhandeln und neue Zuschauer*innen ansprechen – dieses Jahr sind z.B. zum allerersten Mal bei Rodeo Stücke für junges Publikum mit dabei. Seit unserem letzten Festival verfolgen wir außerdem die Frage, wie die freien darstellenden Künste inklusiver werden können. Wir haben daher explizit nach Stücken gesucht, die Barrierefreiheit von Anfang an mitdenken. 

AB: Was uns beim Stücke schauen begeistert hat: In den letzten zwei Jahren sind in München viele Projekte entstanden, die sehr nahbar und zugänglich sind – keine Angst vor Popkultur. Theater darf auch richtig Spaß machen.

(c) Jean Marc Turmes

Sie haben zuletzt ja viele Arbeiten in der freien Szene angeschaut: Wie organisiert man das eigentlich und wie haben Sie sich aufgeteilt?

AB: Excel ist dein Freund. Wir sind schon lange in München aktiv und haben einen guten Überblick darüber, was wo passiert. Alles kommt in die Liste und dann teilt man auf, wer was sichtet. Mit unserer Dramaturgin und Kuratorin Anna Donderer sind wir zu dritt, das ist gut zu bewältigen. Und falls uns doch mal etwas durch die Lappen geht, gibt’s ja noch den Open Call – da war in diesem Jahr durchaus die eine oder andere Überraschung noch mit dabei.

Viele der diesjährigen Produktionen kreisen um ein Körperthema oder um Körperlichkeit. Wie kam es dazu?

UG: Tanz und Theater haben ja per se eine besondere Beziehung zum Körperlichen. Darüber hinaus hat sich die Art und Weise, wie wir Körper wahrnehmen, wie wir Körper behandeln zum Politikum entwickelt. Daher verhandeln Künstler*innen gerade verstärkt in ihren Arbeiten Fragen von Gesundheit und Krankheit, von Geschlecht, Alter, Behinderung, Erschöpfung. Das Thema lag also in der Luft und wir haben das im Festival aufgegriffen. 

Den Wunsch, sich frei von Body Shaming zu präsentieren oder sich frei zu Identitäten zu bekennen, wird in der Gesellschaft immer wieder angegriffen. Wie kann die Kunst, wie kann das Theater da helfen?

AD: Kunst und Theater stehen nicht außerhalb der Gesellschaft; auch hier herrschten und herrschen nach wie vor krasse Geschlechter- und Körpernormen. Zugleich gibt es viele Künstler*innen, die sich kritisch mit diesen Zwängen auseinandersetzen. Manche formulieren auch positive Gegenentwürfe, in denen es um eine neue Zärtlichkeit, um Freiheit, Akzeptanz und andere, bessere Formen des Zusammenlebens geht. 

Wie erklären Sie sich, dass nicht nur am Stammtisch, sondern leider auch immer öfter in aller Öffentlichkeit über Themen wie Gendern oder angeblich von einer Art „Norm“ abweichende Lebensformen hergezogen wird?

AB: Im Zuge des Rechtsrucks unserer Gesellschaft nimmt die Ablehnung von allem, was ’anders‘ ist oder als ’anders‘ gerahmt und stigmatisiert wird, massiv zu. Auch Künstler*innen, die am Festival beteiligt sind, wurden bereits angefeindet – das reicht von der ’Bild’-Schlagzeile bis hin zu Morddrohungen. Doch wir lassen uns nicht einschüchtern und setzen uns weiterhin für Vielfalt und eine offene, demokratische Gesellschaft ein.

Das Festival gibt traditionell der freien Szene Rückenwind: Wie angeknackst ist die Stimmung aktuell in der Stadt?

UG: Allerorten finden massive Kürzungen statt, das geht an die Substanz der ohnehin schon prekär arbeitenden freien Tanz- und Theaterszene. Dabei ist es der Szene gelungen, trotz Pandemie weiterzumachen, sich künstlerisch weiterzuentwickeln und die Menschen wieder – oder auch neu – für das Theater zu begeistern. 

AB: Die Münchner Freie Szene arbeitet seit Jahren schon prekär – es fehlt an allen Ecken und Enden. Für viele wird die Lage angesichts steigender Kosten, des Wegfalls der Bundes-Kultur-Mittel und drohender Kürzungen im Jahr 2025 existenzbedrohend. Um die Arbeit in der Freien Szene, ihre Vielfalt und ihren kritischen Blick zu erhalten, ist eine stabile und kontinuierliche Förderung aber unerlässlich.

Immerhin hat das Kulturreferat immer wieder betont, dass bei Kürzungswellen die freie Szene nicht geschwächt werden soll. Wie sehr kann man sich aktuell darauf verlassen?

UG: Angesichts der allgemeinen Kostensteigerungen ist auch eine Nicht-Erhöhung der Mittel de facto eine Kürzung. Und die nächste Einsparrunde wurde bereits angekündigt. Es ist unbegreiflich, dass München hier den Rotstift ansetzt – Hamburg z.B. erhöht dieses Jahr den Kulturetat um 11 Prozent. Weil man dort begriffen hat, wie wichtig Kunst und Kultur in Zeiten der Verrohung sind.

Sie haben wieder nicht nur unterschiedliche Künstler und Gruppen, sondern auch gleich mehrere Häuser zusammengebracht: Wie viel Fingerspitzengefühl und Diplomatie braucht man dafür?

AB: Wir haben ein gutes Verhältnis zu den Spielorten dieser Stadt. Vielleicht, weil wir ja nicht nur das Rodeo Festival, sondern auch das HochX leiten. Insbesondere mit dem Pathos arbeiten wir eng zusammen, zuletzt beim Drag Festival. Neu ist die Kooperation mit dem Import Export. Gemeinsam gestalten wir das Partyprogramm des Festivals – es wird wild, laut und extravagant.

Wie wichtig sind solche Festveranstaltungen für Kreative, um sich zu zeigen – und um neuen Kontakte zu knüpfen?

UG: Rodeo bietet alle zwei Jahre die Gelegenheit, zusammenzukommen, aktuelle Stücke aus München zu sehen und die eine oder andere Entdeckung zu machen. Und natürlich zu feiern! Unser Besuchsprogramm ermöglicht es zudem internationalen Künstler*innen, nach München zu reisen, für einige Tage Festivalluft zu schnuppern und mit den Leuten hier in Austausch zu kommen.

Vor dem Festival ist ja fast schon wieder vor dem nächsten Festival: Wie viel Zeit bleibt Ihnen eigentlich privat, das diesjährige „Rodeo“ zu feiern und worauf freuen Sie sich am meisten? 

AB: Wir eröffnen mit einem richtigen Knaller, „Radical Cheerleading“ von Zufit Simon. Wenn die Bässe dröhnen und die Pompons kreisen wissen wir: jetzt geht’s los! Und wir hoffen natürlich, dass uns diese Energie durch die folgenden sieben Tage Ausnahmezustand tragen wird. 

Auf die Vielfalt: Seit 2010 hat sich Rodeo als die Plattform für die freien darstellenden Künste in München etabliert. Das alle zwei Jahre stattfinden Festival gibt Einblicke in die enorme Bandbreite der hiesigen Tanz- und Theaterszene, dient der Vernetzung, setzt neue künstlerische Impulse und diskutiert kulturpolitische Themen. Es findet vom 9. bis 15. Oktober statt. Für die Dramaturgie und Programmkuration arbeitet das künstlerische Leitungsteam des Rodeo-Festivals, ANTONIA BEERMANN und UTE GRÖBEL, mit der Münchner Producerin und Kuratorin Anna Donderer zusammen. Die künstlerische Produktionsleitung übernimmt das Rat & Tat Kulturbüro.