Ortsgespräch Wunder.-Festival: „Was ist denn eigentlich echt?“

Kuratiert unter anderem von MASCHA ERBELDING wirft das Figurentheaterfestival „Wunder.“-liche Fragen auf

Frau Erbelding, das Festival- Motto heißt: „Alles echt“. Kann man Theatermenschen, die so etwas behaupten, denn überhaupt trauen?

Nein, es ist natürlich von vorn bis hinten gelogen. Ganz besonders im Figurentheater, wo man ja sowieso immer mit einer Figur arbeitet, die von vornherein gar nicht „echt“ ist.

Perfide.

Das ist ja genau der Spaß daran, dieses Motto voranzustellen, aber gleichzeitig sofort infrage zu stellen. Was ist denn eigentlich echt? Selbst im Alltag weiß man das teilweise nicht mehr so ganz sicher.

Die Assoziation zu „echt“ sagt aber doch auch aus: Hinter dem Figurentheater steckt Handwerk. Es ist kein Fernseherlebnis, bei dem man sich auf dem Sofa zurücklehnt und berieseln lässt.

Das stimmt natürlich. Wir machen ein Theaterfestival – und alle treffen live am selben Ort zusammen, wo sie genau diesen Abend erleben, den es so nie wieder geben wird. Damit ist alles, was wir machen, „echt“ und wirklich einzigartig. Mir gefällt aber das Handwerkliche, das Sie erwähnen. Das findet sich bei diesem Festival diesmal besonders stark ausgeprägt.

Wen haben Sie da im Sinn?

Ein schönes Beispiel ist Bakélite. Das ist eine französische Objekttheater-Kompanie, die wir eingeladen haben. Objekttheater heißt bei ihnen: Die Gruppe arbeitet wirklich mit Alltagsgegenständen – und erzählt damit Science Fiction.

Wie muss man sich das vorstellen?

Da wird dann eben ein Megafon zum Raumschiff. Und ein kleines Bonbon verwandelt sich in ein Space Alien. Man bekommt diese Umwandlung mit und belegt vielleicht das „Echte“, das man aus seinem Alltag kennt, mit einer anderen Bedeutung. Gleichzeitig ist das alles sehr trashig und ironisch. Jeder sieht ja: Das ist kein Raumschiff. Aber hey: Wir machen da jetzt einfach mal mit!

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Ihr Festival ist ja kein reines Kinder- und Jugendfestival. Aber trotzdem: Wie viel leichter fällt es jungen Zuschauern zu akzeptieren, dass ein Alltagsgegenstand ein Raumschiff ist? Ist nicht die Bereitschaft, so zu spielen und solche Welten zu imaginieren, Erwachsenen oft ein bisschen verloren gegangen über die Jahre?

Zunächst einmal ist es ein Festival, bei dem vielleicht sogar ein bisschen mehr als die Hälfte der Vorstellungen wirklich für Kinder und Jugendliche gedacht ist. Wir sind schon ein Festival für ein Fa- milienpublikum, was wir großartig finden. Denn dieses Publikum bringt etwas mit, was Erwachsene tatsächlich vielleicht ein bisschen verlernt haben. Es geht um diese Bereitschaft, sich ganz viel vorzustellen und auch eine Seele reinzulegen.

Beseelte Objekte?

Das Animieren kennen Kinder aus dem kindlichen Spiel. Puppenspieler machen das auf eine andere, professionellere Art. So etwas liegt Kindern oft nahe, sie haben damit keinerlei Berührungsängste. Sie gehen meist sofort in die Kommunikation mit dieser Figur – auch im Nachgespräch. Erwachsene müssen sich vielleicht ein bisschen umstellen. Das Tolle ist meiner Meinung nach, dass man aber im Theater generell, und im Figurentheater im Besonderen immer einen anderen Blick auf seine Welt und die Ob- jekte des Alltags bekommt. Wir ändern die Perspektive. So kann man sogar mal auf die Seite der Objekte wechseln.

Wie das?

Man kann sich etwa im Stück „Materia“ vorstellen: Wie sieht die Welt aus der Sicht des Styropors aus? Hat es über- haupt eine Meinung? Was ist los mit den Dingen – und was sagen sie uns und was wollen die eigentlich von uns? Das sieht man zum Beispiel im Stück „Fünf Exponate“, das wir im Hoch X zeigen.

Worum geht es dabei?

Es dreht sich um die Restitutionsdebatte, die es in den Museen gibt. Also um Kunstgegenstände, die im kolonialen Kontext geraubt wurden. In diesem Fall geht es um einen Fall aus Südamerika. Die Gruppe geht der Frage nach: Was ist das für ein Ding oder besser, was für eine Schöpfung? Was sieht ein Museum darin – und was verbinden Menschen aus den Herkunftsländern damit? Die Performer kommen alle aus Südamerika, leben aber jetzt in Deutschland. Sie nehmen uns mit auf eine Gedankenreise. Wir werden eingeladen, die Perspektiven zu wechseln und Gewohntes zu verlassen.

Ein politischer Aspekt: Vermutlich sind die gewichtigen, ernsten Themen nicht das Erste, was so mancher üblicherweise im Figurentheater erwarten würde. 

Beim letzten Festival, das unter dem Motto „Macht Geschichte“ stand, hatten wir fast ausschließlich Inszenierungen zu wirklich schweren Themen – vom Holocaust über Tschernobyl über die Kolonialmus-Debatte. Da hatten wir in die Geschichte geblickt, nun wollen wir in die Zukunft blicken. Deswegen: „Alles echt“. Es geht ums Digitale, die Robotik oder den Androiden, der uns jetzt immer näher rückt. Den Android gab es schon immer – etwa im Figurentheater. Jetzt dringt er aber wirklich in unseren Alltag ein. Dies war unser Startpunkt. Das Festival heißt ja „Wunder.“

Wenn Sie das so aussprechen, hört man natürlich deutlich heraus: „Wunder Punkt“.

Es geht uns einerseits um das Wunder der Animation – also um die Magie und das Poetische sowie die Fantasiewelten, die man mit dem Figurentheater assoziiert. Gleichzeitig ist es uns ein Anliegen, die wunden Punkte und damit die wichtigen Fragen zu thematisieren, die gerade in der Gesellschaft anstehen – etwa in den technologischen Umbrüchen. Allerdings: Diesmal überwiegt der „Wunder“-Pol. Und der Anteil des „wunden Punkts“ ist ein wenig geschrumpft.

Die mit den Puppen (und mit Menschen) spricht: MASCHA ERBELDING vom Figurentheaterforum München leitet unter anderem zusammen mit Schauburg-Intendantin Andrea Gronemeyer sowie mit Marion Schäfer und Conny Beckstein von der Pasinger Fabrik das Festival „Wunder.“, das vom 16. bis 27. Oktober über diverse Bühnen geht. Wichtig ist ihr auch, die Figurentheater-Tradition des Stadtmuseums nicht abreißen zu lassen, während das Haus lange renoviert wird. Im Frühjahr geht’s so mit dem „Kuckuck“-Festival weiter.