Ortsgespräch: Michael Grimm

Ein Mann, ein Abend, eine Sensation: Michael Grimm zaubert im Hofspielhaus bühnenmagisch.

Herr Grimm, Sie sind ein viel beschäftigter Schauspieler, den viele Fans vor allem aus dem Fernsehen kennen. Was reizt Sie daran, immer wieder zu sehr besonderen Bühnenprojekten zurückzukehren? 

Die Bühne ist die Urform meines Berufes. Die Basis. Der Grundstock. Egal ob bei einem Theaterstück, einer Lesung, einem öffentlichen Interview. Die Abmachung, dass da einer oder mehrere auf einer Bühne, also einem definierten, meist erhobenen Ort, etwas erzählt und andere davor oder drum rum hören und schauen zu, ist eine uralte Kulturform von uns Menschen. Das funktioniert seit tausenden von Jahren, ist unmittelbar, direkt und spricht viele an. 

Kann man nur bestätigen.

Das nicht weiter zu praktizieren wäre von mir ziemlich doof, fände ich. Wäre ich Schmied geworden, würde wahrscheinlich in meiner Werkstatt eine moderne hydraulische Presse stehen, mit der ich Metal hochexakt bearbeiten kann. Ich würde aber garantiert auch zumindest ab und an mit Hammer und Amboss arbeiten – um ja nicht zu vergessen, zu verlernen, was eben die Grundlage meines Tuns ist. 

Dem Hofspielhaus scheinen Sie sich eng verbunden zu fühlen. Was macht für Sie den Charme des doch recht kleinen Theaters aus? 

Eben dieses unmittelbare, dieser direkte, sehr nahe Zugang, diese enge Verbindung von denen, die zuschauen und -hören, und denen, die auf der Bühne was tun, entfaltet sich sehr deutlich in diesem kleinen Theater. Man hat weniger Platz etwas darzustellen, ist limitiert in seinen Mitteln, der Anzahl der auf der Bühne tätigen, dem Bühnenbild, der Requisite, den Auftrittsmöglichkeiten.

Das klingt aber nicht unbedingt nach Pluspunkten.

Ja alles schade, alles etwas schwieriger, dafür ist man in der eingeschränkten Wahl der Mittel gefordert, die guten, kleinen, unaufwendigen Mittel zu suchen und zu finden, das kann fordern – ist aber schön – und man hat aber einen sehr engen Kontakt zu Publikum, spürt viel schneller, wo sie mitgehen, was sie beschäftigt, von dem, was ich, was wir da tun. Das fällt in einem großen Haus schwieriger aus. 

Im Hofspielhaus gibt es zwischen Zuschauern und Bühne so gut wie keine Grenzen. Wie fühlt sich das an, wenn man so unmittelbar nah am Publikum ist? Kein Platz für Schüchternheit oder Berührungsängste!

Ja. Da ist auch das Publikum gefordert, diese Enge mitzutragen. Zugegeben nicht ganz leicht, aber wenn man sich darauf einstellt, bereit ist das zu erdulden, bieten sich Momente, die man anders nicht so leicht erfahren kann. Den Agierenden so nah zu sein, sie sehr genau beobachten zu können, kleinste Gesten, kleinste Mimik wahrzunehmen, ganz leise, intime Aspekte aus dem Tonfall herauszuhören. Und alles direkt, unmittelbar, nicht über ein 

Medium. Man kann Menschen – auch wenn es nur Figuren sind – begegnen. Das ist doch schön. Selten. Wertvoll. Da nehme ich die Einschränkungen des kleinen Raumes, das Ausgeliefertsein auf der kleinen Bühne gerne in Kauf. 

Was macht die Magie des Spielens vor aller Augen für Sie immer noch aus? 

Eben die Unmittelbarkeit. Das Sich-Begegnen per Medium, hat für uns viele Möglichkeiten geschaffen: Radio, Fernsehen, streamen, wann und wo man will, potenziell Milliarden Menschen mit einem YouTube-Filmchen zu erreichen, Videotelefonate von fast überall ausführen. Fast grenzenlos scheinen die Möglichkeiten sich zu begegnen. Inzwischen aber auch manipulierbar, fälschbar. Das sich unmittelbare Begegnen hat darin wieder eine Qualität, die selten geworden ist, bei aller Häufigkeit der Begegnungen, der Kontakte zwischen Menschen, etwas das rar geworden ist. Aber vielleicht passt da, Wahrheit, Echtheit, Wirklichkeit der Begegnung besser als Magie, also Zauberei. Das ist für mich das größere Faszinosum. 

Ist das Lampenfieber eigentlich größer je kleiner ein Auftrittsort ist? 

Nein. Wieviel Lampenfieber ich habe oder wie stark, hängt in erster Linie von mir und meinem Zustand ab. Etwas vom Publikum, aber mehr was ich im Publikum sehe. Wie hoch ist die Erwartung an mich, an den Stoff, an all die anderen, die mitgewirkt haben und wirken. Was macht mir das aus? Was kann ich leisten? Wie sicher fühle ich mich in dem, was ich jetzt auf der Bühne erzählen will. Bin ich mir dessen klar? Große Orte bieten mehr Menschen die Gelegenheit zuzuschauen, mehr Menschen bedeuten mehr Ungewissheit, sie sind weiter weg, ich krieg weniger von denen mit, aber die auch von mir. 

„Ich würde auch als Schmied garantiert ab und an mit Hammer und Amboss arbeiten – um ja nicht zu vergessen, zu verlernen, was eben die Grundlage meines Tuns ist.“

Sie spielen im Hofspielhaus gern Stücke, in denen Sie quasi von der ersten bis zur letzten Minute gefordert sind: Wie viel Selbstqual oder Leidensfähigkeit stecken in so einem Projekt? 

Eigentlich – so meine Meinung – bin ich bei jedem Stück von der ersten bis zur letzten Minute gefordert. Ich bin als agierender immer Teil der ganzen Geschichte, die ich, die wir erzählen. Natürlich kann ich aber bei Stücken, bei denen ich öfter und länger nicht auf der Bühne stehe, „Auszeit“ nehmen. Kann mich in der Zeit, in der ich nicht agieren muss, neu ordnen, rekapitulieren, die kommende Szene, kommende Verabredungen nochmal durchgehen, das kann helfen, oder auch an was ganz anderes denken, meditieren, Atem-, Stimm- oder Körperübungen machen, E-Mails checken, Urlaubshotels raussuchen, etc. Alles ist legitim, solange ich meine Leistung auf der Bühne bringe und je öfter ich ein Stück gespielt habe, je sicherer ich bin, desto eher kann ich mich vom Stück gedanklich wegwagen. Aber wenn ich tatsächlich Preise googele, während ich ein paar Minuten nicht auf der Bühne stehe und dann nicht mitkriege, wie etwas anderes passiert, weil ein Kollege heute eben mal was anders gespielt hat, ich später auf der Bühne nicht darauf eingehe, also meine Arbeit nicht gut mache, beiße ich mir in den Allerwertesten.

Echt?

Ich denke, ich muss, um gute Arbeit zu leisten, mich ein Stück zurückstellen. Meine Bedürfnisse, meine Anliegen, meine Pläne, meinen Willen, auch meine persönlichen Gefühle. Für die Zeit der Aufführung muss ich mich den Figuren, die ich spiele, zur Verfügung stellen. In dem Rahmen auch leiden, wie Sie sagen. Bei einem Solostück gibt es kaum ein Sich-besinnen-können während der Vorstellung, also brauche ich noch mehr Zeit davor und danach. In dem Rahmen muss ich mich also viel zur Verfügung stellen, geh vielleicht auch im Privaten ein bisschen schwanger damit, aber bin in vielen Momentan meines Lebens immer noch ich. Nicht die Figur.  

Im „Anatevka ist überall“-Stück entwickeln Sie ja fast zusätzlich zur eigenen Rolle noch eine ganze Welt und stehen gleich noch für viele andere Stimmen mit ein. Wie sortiert man das im Inneren? 

Michael Grimm (c) Verena Eckbauer

Tatsächlich spiele ich ja nur eine Figur. Den Tevje. Er ist der Mann, der die Geschichte erzählt. Seine Geschichte. Deshalb ist es gar nicht so unüberschaubar. Dieser Milchmann erzählt seine Lebensgeschichte. Und eben nicht nur theoretisch, sondern mit vielen Begebenheiten, Gesprächen bestückt. Da spiel ich meine Gesprächspartner vielleicht ein bisschen besser aus, als ein Milchmann das tun würde, aber die Ordnung dessen, was ich spiele, ist eigentlich sehr klar. Indem ich mit meinem Tevje durch sein Leben, seine Lebenssituationen gehe, die mir plastisch vorstelle, kann ich die vielen Figuren sehr gut auseinanderhalten. Es sind seine Mitmenschen. Die wichtigsten Mitmenschen seines Lebens. 

Worauf legen Sie bei der Auswahl solcher Rollen besonderes Augenmerk? 

Ich muss diese Geschichte erzählen wollen. Sie sollte mich reizen, erzählt zu werden. Das hängt von vielem ab: Der Qualität der Geschichte, der Erzählweise, dem Charakter der Figur, welche Geschichten ich in letzter Zeit erzählt, welche Figuren ich in letzter Zeit verkörpert habe, mit wem ich arbeiten, also Geschichtenerzählern darf und wo. 

Wie viel Kraft kostet eigentlich ein Ein-Mann-Abend und wie kann sich dafür wappnen – mental wie physisch? 

Schon viel Kraft, vor allem Konzentration, Sammlung. Es ist schon Arbeit. Das Konzentrieren, das Sich-Sammeln muss man tatsächlich lernen und üben. Wenn man meint, das geht schon, wenn man sich dann zusammenreißt, wenn man halt muss, unterliegt man einer groben Selbsttäuschung. Mit Übung, genügend und der richtigen Vorbereitung und Hingabe geht es dann. 

Wie fühlt sich das an, wenn man vermutlich recht ausgelaugt mit sich und seiner Rolle hinter der Bühne vermutlich recht beengt auf nur wenigen Quadratmetern einen Rückzugsort findet? 

Das ist in der Tat ein Nachteil. Für die Vor- und auch Nachbereitung wäre etwas mehr Platz wirklich schön. Nicht immer alles mitzukriegen. In Kontakt zu treten und die andern mitzukriegen, aber auch sich zurückziehen zu können und für sich sein. Aber die Möglichkeiten sind hier eben eingeschränkt. Aber in den allermeisten Fällen merke ich, dass sich die Kollegen hier im kleinen Haus bemühen, das trotzdem herzustellen, diese Möglichkeiten. Und das soll und muss genügen, meist tut es das auch. 

Was ist Ihr liebstes Ritual, wenn ein anstrengender Bühnenabend dann auch mal vorbei ist? 

Rumsitzen und blöd schauen. Das entspannt ungemein. Dann langsam in einen Austausch gehen über die Vorstellung und sie dann sein lassen. Badewanne, ein Getränk, ein Gespräch über was ganz anderes, Freunde, Familie oder auch Stille – schön dann. 

Wie muss man sich Freizeit für einen Schauspieler, der so viele Texte und Figuren im Kopf hat, eigentlich vorstellen: Auf langen Fahrten brauchen Sie wahrscheinlich kein Autoradio mehr oder Hörspiele aus dem Kopfhörer, oder? 

Das kommt darauf an. Da ich mich sehr viel mit Geschichtenerzählen beschäftige, viele Texte für meinen Beruf lese, Theatertexte, Hörbücher oder Drehbücher, bin ich manchmal dahingehend gut oder mehr als gut ausgelastet, sodass das, was für manchen Entspannung, Unterhaltung, guten Input bedeutet, für mich nicht infrage kommt – es passt nichts mehr ins Hirn. 

Kann man verstehen.

Allerdings eignen sich lange Fahrten natürlich doch auch, um gerade diese Werke anzuhören, in der Bahn auch -schauen, um auf meinem Berufsfeld Dinge mitzubekommen, die Arbeit der Kollegen zu genießen, zu merken, was sonst noch los ist, vielleicht Inspiration zu bekommen. Also je nach Tages- oder Stundenverfassung passiert das. Aber ich habe genügend Alternativen, um meine Freizeit zu gestalten. Ratgeber sind da meine Bedürfnisse, Sehnsüchte, meine Freude und die Gelegenheiten, die mir mein Leben bietet. Aber, das Schönste ist doch, dass sich mein Berufsleben sehr mit meinen persönlichen Interessen deckt, kein großer Widerspruch auftut. Wenn das so ist, bleibt nichts zu wünschen übrig. 

Ein Kopf mit Charakter: MICHAEL GRIMM, geboren in München, ließ sich an der August-Everding-Theaterakademie zum Schauspieler ausbilden und gehörte lange zum Ensemble des Bayerischen Staatsschauspiels. Breit bekannt wurde er allerdings durch unzählige große wie kleinere Kino- und TV-Rollen, unter anderem in „Guglhupfgeschwader“ oder in der Serie „Rosenheim Cops“. Im Hofspielhaus darf man ihn in „Der Kontrabaß“ (30. Juni) nicht verpassen.