Bühnenschau: Komik und Konflikte

Neues im Volkstheater und Residenztheater, im Viel Lärm um nichts und in den Kammerspielen

„Caligula“ im Volkstheater

Die tote Schwester war auch seine Geliebte. Für den Mann bricht alles zusammen, also auch er. Doch er steht auf, als Despot. Es fällt nicht schwer, Gründe dafür zu finden, heute „Caligula zu bringen. Diese von Autor Albert Camus selbst so genannte „Tragödie der Erkenntnis“ eines Potentaten hat immer Konjunktur. Am Volkstheater bleibt Regisseur Ran Chai Bar-zvi zunächst im antiken Kontext. Die Menschen in ihrem römisch-queeren Kostüm-Mix wirken klein auf der großen hermetischen Holzbühne. Die Lebensräume verengen sich, wenn die Seitenwände nach innen klappen und gefährliche Intimität schaffen. Caligula, ein Einsamer, ein Denker, durchaus auch Zweifler, wird nach und nach ein abstoßend-faszinierendes Aas: großartig Steffen Link. Er will den Mond, aber den kriegt er nicht, also lügt und baut sich wenigstens seine eigene Wahrheit zusammen, manipuliert und zerstört seine Umwelt (Freunde und Patrizier, ein überzeugendes Ensemble: u. a. Maximiliane Haß, Jan Meeno Jürgens, Liv Stapelfeldt, Anton Nürnberg).

Enteignung, Vergewaltigung und Mord – nie fließt Blut in diesem intensiven Fast-Kammerspiel. Aus vertraulichen Gesprächen wird Drohung, und fürs Vergewaltigen reicht es, wenn der Diktator widerlich im Mund des Opfers rumfingert und schließlich die ganze Hand reinschiebt. Kleine, starke Mittel, ungeheure Wirkung. Nur einmal explodiert der Abend förmlich: zur großen Show, mit dem Diktator als blond gelockte Venus. Caligula singt: MacarenaDon’t Stop Me Now. Und schmeißt sich ans Publikum ran, bis der ganze Saal mitgrölt: Angels von Robbie Williams. Der Popanz wird enden. Erst durch die Verschwörer, dann als Statue zum Bewundern auf dem Marmorsockel. Begeisterter Beifall.

„Sankt Falstaff“ im Residenztheater

Machtkampf in nicht zu ferner Zukunft, das Heute im Blick: Ewald Palmetshofer, Dramaturg und Hausautor, hat sich am Residenztheater Shakespeares Doppel-Drama „Heinrich IV.“ vorgenommen und neu erfunden. Auch in Sankt Falstaff“ geht es um eine Regierungsnachfolge, allerdings in postroyalen, aber auch postdemokratischen Zeiten, denn der König hat zwar eine Krone, aber er ist nur Quasi-König. Doch sein Junior Harri hat keinen Bock auf Macht. Der hängt lieber im Nachtleben herum, wo Falstaff ihn findet: im Pissbecken hängend.

Falstaff (Steven Scharf) und Harri (Johannes Nussbaum), da treffen auch zwei Schichten aufeinander, zwei Welten, die auf der Bühne des Residenztheaters oben und unten einer Drehbühne sind: weitläufige Schräge für die Macht und darunter geduckt auf der Rückseite die angeranzte Kneipe. Die erotische Annäherung der beiden Männer hat Grenzen, bald geht es um Macht und Spielchen: durch Konkurrenten (Niklas Mitteregger) und Einflüsterer (Lukas Rüppel, Vincent Glander). Die Frauen sind hier durchaus selbstbewusst und klug (Myriam Schröder, Isabell Antonia Höckel), aber leider Nebensache: herzlich willkommen beim Studium der Mechanismen einer Männerwelt. Mit der vollen Absicht, die Willkür wiederzuerkennen, mit der Autokraten gerade unsere Welt umbauen. Regisseur Alexander Eisenach bringt den Text zum Funkeln (auch mit Live-Videos), er sortiert die Atemlosigkeit in Palmetshofers Kunst, die herausfordernd ist – das Versmaß alt, die Satzstellung ungewohnt. Aber wortmächtig und fabulierlustig und gerne so derb wie in Shakespeares Volkstheater, nur heißt’s hier halt: „Ich check’s nicht, was du an diesem Abfuck findest.“ Das Ensemble spielt das mit grandioser Selbstverständlichkeit. Ovationen, mit einer Sonderration für den Autor.

„Palais Royal“ im Theater Viel Lärm um Nichts

In dem Gebäude sitzen heute Staatsrat und Verfassungsgericht, früher mal nächtigte der König hier, und zwischendurch war es auch mal Theater: das „Palais Royal“. Daran erinnert in der Pasinger Fabrik ein unfertiger Raum, bisschen Treppe, Glitzergirlanden, ein Zirkuspodium, ein paar Requisiten: Im Theater Viel Lärm um nichts kam man immer schon mit wenig aus. Und blickt doch aufs ganz Große: die Welt. Aktuell mit Georg Büchner, dem mit 24 Jahren 1837 frühverstorbenen Genie, in dessen Werk nun Theater-Co-Leiter Arno Friedrich stöbert und – er lenkt hier schon länger immer wieder behutsam vom puren Erzähltheater in freiere Formen – eine phantasievolle, poetische Montage hervorholt.

Danielle Green, Klara Pfeiffer, Katharina Schmidt und Denis Fink in Streifenhosen und Rautenpulli sind das clowneske Quartett (keine ganz neue Idee an diesem Haus), das uns auf eine zweistündige Entdeckungsreise mitnimmt. Ohne feste Rollenverteilung, schnell mal die Perücke gewechselt, und man ist König, oder einen Sonnenschirm geholt, und man ist am Strand: so kommen wir bei Leonce und Lena, Dantons Tod und Woyzeck vorbei und etlichen anderen Texten. Überall findet sich Bedeutungsvolles, Absurdes, Nebensächliches, Philosophisches, Melancholisches: ein König weiß nicht, wovon er spricht; eine Welt, die fault; der Müßiggang, der „krassiert“ (heute wohl Work-Life-Balance). Und von der Gewaltforderung in der Französischen Revolution ist es nicht weit zu „Nimm es leicht, nimm Dynamit“ (im Song von Brezel Göring).

Einmal mehr merkt man: Büchner war ganz schön modern, und wir gehen Friedrichs Beweisführung herrlich auf den Leim, wenn auf einmal von „Moshpit“ oder „Missgeburten im Internet“ die Rede ist. Und wir mittendrin sind, in den ergänzenden Textstücken von heute. 100 temporeiche Minuten, witzig bis nachdenklich, großer Applaus.

„Oh Schreck!“ in den Münchner Kammerspielen

„Oh Schreck!“ in den Kammerspielen ist vieles. Stummfilm-Poesie: der Anfang von „Nosferatu“ mit Michael Pietschs genialen Puppen, Sofiia Melnyks gemalt/geschriebenen Digital-Live-Bildern als Background und Anton Bermans cineastischer Klavierbegleitung. Splatter-Trash-Show: wenn der Regisseur im Stück (als Gockel-Alter Ego: Sebastian Brandes) im Blutrausch eine (gespielte) Zuschauerin aussaugt. Ironische Selbstbespiegelung theaterüblicher Eigenheiten und Eitelkeiten. Werkstatt-Doku: Die Eckzähne für Schein-Vampir Walter Hess, der unbedingt die „Nosferatu“-Hauptrolle will, sind eine Herausforderung. Und Kritik an der Kritik: Katharina Bach als furiose Investigativ-Journalistin, bis in die Hyperventilation wild entschlossen, dem Theater mit Hammer und Pflock die kulturzersetzenden Vampire final auszutreiben. Und nicht zuletzt ist „Oh Schreck!“ auch Reminiszenz an einen vergessenen Schauspieler: Johanna Kappauf als Max Schreck.

Nein, sie lassen nichts aus, bis zur Party im Zuschauerraum (im Film), als längst alle vampirisiert sind und das Publikum doch noch reindarf: Werwölfe und Zombies. Ein aufgedrehter Abend, der Witz irrlichtert zwischen Brüllern und Fremdscham, viele Insider-Gags, nicht alles zündet – aber egal: Das Premierenpublikum johlt über diesen Faschingsscherz. Ein Glas Sekt sei vor dem Besuch empfohlen. Oder eine ganze Flasche.