Machtkampf um ein Schloss: Die weisse Dame

Bühnenschau im September: Sendling, Highlands, Mars

Achterbahn im theater … und so fort, Die weisse Dame in der Kammeroper, Very Rich Angels in den Kammerspielen

Das Wort Boulevard hat im Theater ja gerne einen Beigeschmack: ist ja „nur” Unterhaltung. Dem muss nicht so sein. Das zeigt aktuell das Sendlinger theater … und so fort – das heuer Jubiläum feiert: 25 Jahre – mit „Achterbahn”. Denn für Eric Assous (1956 – 2020), französischer Regisseur und Theaterautor, war Boulevard durchaus auch Mittel zur Gesellschaftskritik. Und so ist das Stück von 2005 schon fast eine Studie in Rollenverhalten. Älterer Mann, jüngere Frau, in einer Bar kennengelernt, man geht noch zu ihm. Frau und Sohn sind, wie passend, gerade auf Urlaub – doch aus der schnellen Nummer wird nichts. Denn Conny Krause ist weder laszive Hure noch unbedarftes Häschen (beides spielt sie mal an): ihre blonde Juliette wirkt gebremst, da sitzen schon Geheimnisse im Hinterkopf. Der Pierre von Theaterchef Heiko Dietz ist ein gesetzt-lässiger Fünfziger, kahler Schädel, Bart, Hawaiihemd. Dem Verkaufsleiter kommt sein lockeres Imponieren aber bald abhanden, und die Ehre leidet spätestens, als es um Geld für Sex geht. Da hilft nur noch der Suff. Bis zur Auflösung am nächsten Morgen braucht es noch einige Volten, Andreas von Studnitz (Regie) führt das Duo überlegt durch Witz (der auch mal unnötig albern ist), Irritationen und Lügen. Manches gerät etwas statisch (und eine Portion Kitsch geht auf Kosten des Autors): aber der Beifall ist lang (noch bis 8.9.).

Noch ein Jubiläum: 20 Jahre gibt’s nun schon die Kammeroper München, und auch dieses Jahr hilft das freie Ensemble Opernfans (und nicht nur denen) mit einer Neuproduktion im Hubertussaal von Schloss Nymphenburg über den Sommer. Ihr Markenzeichen ist immer noch: aus begrenzten Mitteln – kleines Orchester und Ensemble, kein Chor, wenig Bühnentechnik – Großes zaubern. Was ihnen oft gelingt, auch weil sie Sachen ausgraben, die von den üblichen Spielplänen verschwunden sind. Wie „Die weiße Dame” von Eugen Scribe, Musik: der „französische Mozart” François-Adrien Boieldieu. Dieses Werk war mal der Renner unter den „Opéras comiques” (uraufgeführt 1825). Ein humorvoller Blick in die Schauerromantik: Irrungen und Wirrungen rund um die Versteigerung eines schottischen Schlosses, Korruption ist im Spiel, ein Schlossgespenst, und letztlich, natürlich, auch die Liebe. Text und Regie macht wieder Dominik Wilgenbus, mit Chefdirigent und Arrangeur Aris Alexander Blettenberg hat er die Vorlage ganz schön durchgewürfelt und ergänzt: da gesellt sich im Mix aus Arien, Ensembles und Sprechteilen auch mal „Auld lang syne” zur eher leichten Muse. Auf der Metallträgerbühne reichen Wilgenbus ein paar Brecht-Gardinen, leicht zu verschieben sind sie effektvolle Projektionsflächen für Video-Inserts. So fliegen wir zu Beginn aus der Stadtmoderne in die Romantik der schottischen Highlands. Wo uns das Ensemble landesüblich (die Männer natürlich im Kilt )und ziemlich spiellustig empfängt. Der Einsatz bleibt, und mag in den zweieinhalb Stunden (inkl. Pause) auch nicht jede Textfeinheit rüberkommen, das Plus ist wieder einmal die Besetzung mit jungen Kräften, alle noch am Karriereanfang, aber schon mit ersten Erfahrungen und enormem Potential. Laura Braun und Veronika Seghers sind kraftvolle Koloratursoprane, Oscar Orés Tenor strahlt, verschmitzt gibt er den zupackenden Retter, Jakob Schads runder Bariton gibt dem bösen Gegenspieler augenzwinkernd Gefährlichkeit. Das Orchester: gewohnt formidabel. Am Ende: Ovationen (noch bis 14.9.).

Ein paar sehr seltsame Engel landen in einem American Diner: die „Very Rich Angels” sind Bill Gates, Mark Zuckerberg und Elon Musk, nun zusammengedacht in ein „intergalaktisches Musical” von Madame Nielsen. Als Claus Beck-Nielsen 1963 geboren, gelingt der dänischen Multi-Künstlerin an den Kammerspielen mit ihrer ersten Theaterproduktion in Deutschland ein skurril-hinterfotziges Kabinettstück (Mitarbeit und Regie: Christian Lollike). Nielsen selbst gibt in der „Confessional Bar” den hageren Kellner, der die Großkopferten – das sind sie wortwörtlich mit ihren Riesen-Pappmachéschädeln – zum Reden bringt: die Multimilliardäre sind nicht glücklich, Zuckerberg etwa hadert mit dem Hass auf Facebook. Neue Pläne müssen her: ein Klo zum Beispiel, das Ausscheidungen in die Nahrungskette zurückführt. Konkret wird’s dann mit Musks (ja tatsächlicher) Idee: sie wollen zum Mars! Christian Löber (Gates), Annette Paulmann (Musk) und Elias Krischke (Zuckerberg) stolpern und steppen nicht nur durch den Laden, sie sind auch brutal gute Musiker und Sänger, von Melancholie bis Punk, Tom Waits lässt grüßen. Wenn die Köpfe runter sind, ist die Figurenzeichnung herrlich subtil und auch im Absurden erschreckend konsequent: Zuckerberg als Messias am Neonkreuz. Putin kommt auch noch, der gefährliche Jammerlappen (großartig: Jelena Kuljić) darf dann doch nicht mit zum Mars, er übernimmt dafür die Erde. Umjubelte 90 Minuten (Spielzeitstart Kammerspiele: 14.9.).