Die Kammerspiele mit Die Verteidigung des Paradieses und Wunder in der Hafenbar im TamS
Eine kleine, eingeschworene Gemeinschaft von Übriggebliebenen, im Schutz einer Almhütte, nach einer Katastrophe: in dem dystopischen Roman Die Verteidigung des Paradieses des 1977 geborenen Thomas von Steinaecker ist ein Großteil Deutschlands zerstört, ein Schutzschild ermöglicht einigen das Weiterleben. Doch der Schild birst, und sie müssen raus, ins Ungewisse. Dorthin, wo man vielleicht noch leben kann.
Es wird eine Tour zu verschiedenen Stationen: im Halbdunkel der Therese-Giehse-Halle sind sie schon aufgebaut, doch im Fokus steht zunächst das Innere der Almhütte. Bilder der Kamera, die Ich-Erzähler Heinz (Maren Solty) führt, sehen wir auf der Außenwand, psychologisches Spiel führt in Geschichte und Situation der Gruppe (u.a. Erwin Aljukić, André Benndorf, Sebastian Brandes, Nadège Meta Kanku, Luisa Wöllisch): Alltag, Geburtstag, Versorgungslage, eine Geburt.
Bis sie in ihren silbernen Schutzanzügen losziehen: damit endet der Theaterrealismus, und wir Zuschauer begeben uns, wie die Hüttenbewohner, auf die Reise. In kleinen Gruppen stehen wir vor Screens, studieren alte Begriffe, liegen auf Sitzsäcken unter einer Videofläche. Mit VR-Brillen tasten wir durch unwirkliches Terrain, im Kreis sitzend erzählen uns Kopfhörer vom Auffanglager, verloren stehen wir in Untersuchungskabinen, ein Seil führt durch vernebelte Katakomben (alles gut umsorgt durch Personal des Hauses, an das man sich im Notfall wenden kann).
Regisseur Gernot Grünewald macht aus Steinaeckers Vorlage eine vielschichtige Theatererfahrung, ungewohnt, intensiv, unmittelbar. Die Möglichkeit zum Applaus gibt’s am Ende nicht – deshalb hier: großen Dank.
Gute Nachrichten aus Schwabing: das „Miramare” hat wieder auf! Am TamS haben sie den letztjährigen Sommererfolg „Fluchtachterl in der Hafenbar“ variiert, neuer Text, paar Änderungen im Team – Regisseur Lorenz Seib, Catalina Navarro Kirner, Sophie Wendt waren schon dabei, Doris Länglacher und Axel Röhrle sind neu – und neue Überraschungen: diesmal gibt’s gar Wunder in der Hafenbar. Die Bar im Vorderhaus zur Haimhauserstraße hat ihre Flügeltore schon ab 19 Uhr weit offen, es gibt Pasta, Birra und Apero Paradiso. Und zur Begrüßung einen inbrünstigen Chor in Pizzabäcker-Outfit: Miramare, nirgends möcht’ ich lieber sein! Weiter im engen Innenhof, mit Bänken und Stühlen zum kuscheligen Theaterraum gemacht. Da ist das TamS dann ganz bei sich: alles kann, nichts muss – kleine Szenen um Termin- und Zuständigkeitsprobleme, mal geht’s ums Große und Ganze, dann wandert der Alltag oder Spezielles durchs Bild: Ventilator, Motorroller, Stoffgiraffe. Sie verhandeln die schwierige Kommunikation zwischen Bachforelle und Reiher genauso wie Theaterphilosophisches. Und dazu wachsen Zitronen aus den Bäumen.
Ins eigentliche TamS danach zu kommen: am Premierenabend eine trockene Wohltat, das unsichere Wetter hatte die Freiluftpassage trotz der verteilten Regencapes zum etwas feuchteren Erlebnis gemacht (bei schlechter Wetterprognose auf der Homepage nachschauen, ob überhaupt gespielt wird). Der Strand auf der Bühne empfängt uns mit Liegestühlen und Sonnenschirmen, und dann tanzt durch die Stuhlreihen des Zuschauerraums – zur elegischen Musik von Severin Rauch – die pure Poesie: Beachballschläger schwänzeln als Fische, Schuhspanner schwimmen herum, Tüten werden Leuchtquallen, ein Papierschiff kämpft sich durch Tuchwellen. Sonnenuntergang inklusive. Ach ja, der Sommer …