Schauburg und Kammerspiele: „Die Erde über mir“ und „Der Sturm/Das Dämmern der Welt“
Das neue Jahr hat gerade „Grüß Gott“ gesagt, am Elisabethplatz sagen sie gleich mal Servus. Abschied ist das Thema der ersten Schauburg-Produktion 2024: Die Erde über mir, konzipiert und inszeniert von Anselm Dalferth, der von „Leise Laute“ an diesem Haus in guter Erinnerung ist.
Auch diesmal verbindet er Text und Musik, große Musik: die letzte Arbeit von Wolfgang Amadeus Mozart, das Fragment gebliebene „Requiem“, ist wesentliches Element dieser 90 Minuten, die kein Stück sein wollen, sondern Performance. Und die auf der Baustellenbühne mit dem ausgelaufenen Farbklecks, ganz in Pink, wie das Inventar, gar nicht rosarot beginnen: Suizidversuch in der Wanne, Plastiktüte über dem Kopf.
Aber Sibel Polat (der Ensemble-Neuzugang wird sprudeliges Zentrum des Abends) darf weitermachen, nach und nach bevölkert sich die Bühne: Mitglieder des Münchner Kammerorchesters und weitere Akteure, Alte und Junge, Laien und Profis. Ein Reigen entspinnt sich, gespeist aus realen Erinnerungen, Erlebnissen, Assoziationen der Beteiligten, aus dem, was auch im Publikum jeder kennt: Trennung von Freunden, schwieriges Verhältnis zu den Eltern, Flucht in Träume, Besonderes von Verstorbenen: die Hände der Oma etwa. Abschiede, die aber nie nur Schatten sind, sondern auch wieder ins Licht führen.
Wie Mozarts „Requiem“ (das Nicholas Morrish um moderne Sounds ergänzt, mit E-Gitarre und singender Säge) Lebhaftes, Elegisches und Dramatisches kennt, so wechselt auch auf der Bühne die Stimmung. Bis zum Lachen: köstlich, wie die Beziehung-Tipps von Bravo-Dr. Sommer unterlaufen werden. Ein bewegend-authentischer Abend, mit Tempo, Witz und Tiefe, und ganz nebenbei – weil grandios musiziert – eine gelungene Verführung zu Mozarts Musik.
„Wie das gehen soll, ist mir schleierhaft,“ schrieb Filmemacher und Autor Werner Herzog an die Kammerspiele zur Idee, seinen Roman Das Dämmern der Welt und Shakespeares Sturm zusammenzubringen. Die Rache-Geschichte vom vertriebenen Prospero, der mit Zauberkraft auf einer Insel herrscht, und die Erzählung vom (realen) japanischen Soldaten Onoda, der fast 30 Jahre eine Insel verteidigt, weil er das Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mitbekommen hat. Hausregisseur Jan-Christoph Gockel lässt die beiden Rollen vom gleichen Schauspieler spielen, einem, in dessen Willen immer das Hadern mitschwingt: der feinnervige Thomas Schmauser.
Von Shakespeares Märchen-Zauber gibt es wenig an diesem Abend, von Werner Herzog im Verlauf immer mehr, nicht nur zu Onoda, auch in Persona: tolles Spiel von Bernardo Arias Porras. Es kommt noch Kant dazu (Krieg als Naturzustand) und weiteres Material: die Aufzählung aller kriegerischen Konflikte seit 1945 ist eine bedrückende Litanei. Der Krieg ist permanent, auch als Unterdrückung im Kleinen, koloniale Macht im Großen. Hoffnung? Fehlanzeige. Darüber reflektiert und assoziiert die Inszenierung. Mit den Mitteln, die man von Gockel kennt. Für den Sturm sorgt rockig die Live-Band, Prosperos Tochter (als Puppe, von Michael Pietsch gestaltet) blicken wir mit bühnenbreitem Video-Livebild ins zerstörte Gesicht. Vor dem Vorhang eine Bar – mit Katharina Bach als Bardame: massiver Kontrast zu ihrem gebrochenen Ariel im Kampfanzug –, auf der offenen Bühne ein verrostetes Boot, man denkt an Hollywood-Vietnam. Gockel liefert die erwartbaren großen Bilder, dramaturgisch aber platzt der Abend aus den Nähten: so mischen sich Beifall und Buhs.