Illustration: Julia Hollweck

ZUGABE von Claudia Pichler: Prost, Mahlzeit!

Claudia Pichler über den durchaus komplexen sozialen Akt des Zuprosten…

September in München, endlich wieder Oktoberfest: Die Kapelle spielt „Ein Prosit der Gemütlichkeit“, literweise kühles Bier läuft tausende gierige Kehlen hinab. Grad schee is’! Rund um die Wiesn gibt es so viele Tipps und Tricks, „Dos and Dont’s“. Wo muss die Dirndl-Schleife gebunden werden? Welches Zelt passt zu welchem Typ? Wie lautet Rosis Telefonnummer? Doch was ein ewiges Rätsel bleibt: Wie stößt man richtig an?

„Richtig“ gibt es beim Zuprosten schon mal gar nicht, dafür etliche Sitten, viele Meinungen und wenig Belegbares. „Des had ma bei uns in Bayern no nia ned g’macht“, ist die Haltung der Prost-Verweigerer. Sie haben insofern recht, als das Anstoßen eine relativ junge Erfindung ist, mutmaßlich kultiviert vor rund hundert Jahren auf dem Oktoberfest. Ein findiger Wiesn-Wirt soll bemerkt haben, dass der Umsatz durch stetiges Anstoßen steigt. Ihm haben wir zudem den inoffiziellen Wiesn-Hit „Ein Prosit der Gemütlichkeit“ zu verdanken. Der Wirt war Georg Lang, ein Franke. Der Komponist Bernhard Dietrich, ein Sachse.

Wer also heute der Prost-Aufforderung nicht nachkommt, ist vielleicht gar kein grantiger Stinkstiefel, sondern ein dezenter Kapitalismus-Kritiker. Für ihn gibt es im Bairischen den passenden Trinkspruch, den man nicht in geselliger Runde ausspricht, sondern mit dem sich der einsame Trinker auf den bevorstehenden Trinkvorgang einstimmt, indem er zu sich selbst sagt: „Duck di mei Seel, a Platzregen kimmt.“

Wenn man denn anstößt, dann dem Gegenüber bitte immer in die Augen schauen, sonst droht eine jahrelange sexuelle Durststrecke, so die weitverbreitete, unzureichend belegte Annahme. Dazu braucht es das richtige Maß an Schwung. Nicht zu viel, damit kein Krug Schaden nimmt. Aber doch viel genug, sodass ein bisserl Bier ins Prostpartner-Glas rüberschwappt. Das zumindest war laut Mythos ein mittelalterlicher Brauch, um sicherzugehen, dass niemand heimlich Gift ins Bier mischen wollte. Wenn, dann sollte es den Vergifter ebenso dahinraffen.

Vorsicht ist auch bei der richtigen Handhaltung geboten. Den Maßkrug fasst man einhändig am Griff. Keinesfalls sollte man aufgrund fehlender Armkraft die Finger durch den Henkel schieben. So hält es sich zwar leichter, bei ungestümem Anstoßen ist das Verletzungsrisiko aber hoch.

Jetzt bleibt noch die Frage, ob man nach dem Anstoßen den Krug vor dem Trinken auf dem Tisch abstellen sollte. Hier gehen die Meinungen auseinander. Nimmt das Abstellen die zuvor respektvolle Geste des Anstoßens zurück und ist damit eine ausg’schamte Frechheit? Oder ist das einfach eine praktische Angewohnheit, die der Schwere eines vollen Maßkruges geschuldet ist?

Das Zuprosten ist also ein durchaus komplexer sozialer Akt. Auf dem Oktoberfest gilt, egal wie man es macht, Hauptsache man trinkt, „oans, zwoa, gsuffa!“ Auch wenn auf dem größten Bierfest der Welt vor allem Bier getrunken wird, sollte das Anstoßen mit Radler, Spezi oder Wasser genauso selbstverständlich sein. Die Zeiten sind vorbei, als ein Ministerpräsident Beckstein ungeniert rausposaunte, „ein g’standenes Mannsbild“ könne nach zwei Maß Bier durchaus noch Auto fahren. Mei Günther, wo soll man da anfangen?

Heute sind neben Fahrtüchtigkeit und Schwangerschaft auch andere Gründe zur Alkoholabstinenz verbreitet, zum Beispiel gesundheitliche Aspekte, keine Lust auf Kater oder Kontrollverlust. Erstaunlicherweise muss man sich in manch geselliger Runde immer noch rechtfertigen, wenn man auf Alkohol verzichtet. Aus der Distanz betrachtet, wirkt das ziemlich bizarr. Die Bierlust sitzt in Bayern tief.

Doch es gibt durchaus ein Umdenken. Das alkoholfreie Helle von Augustiner ist seit Einführung meist ausverkauft und höchst beliebt. Mit „Die Null“ eröffnete in München in diesem Sommer der erste alkoholfreie Biergarten, der die gemütliche Tradition neu denken will.

Bier gehört zu Bayern wie Schweinsbraten. Lange waren die einzigen „vegetarischen“ Gerichte in bayerischen Wirtshäusern Kässpatzn, Knödl mit (Schweinsbraten-)Soße oder Fisch. Inzwischen gibt es sogar in fast jedem Wiesn-Zelt vegane Gerichte. So schön Traditionen sind, ist es auch schön zu sehen, wie sogar das altehrwürdige Oktoberfest mit der Zeit geht. In diesem Sinne: Prost, Mahlzeit!

Claudia Pichler ist Münchner Kabarettistin und Autorin, derzeit tourt sie mit ihrem Solo-Programm „Feierabend“. In München tritt sie am 16. und 17.10.24 auf der Iberl-Bühne im Augustiner Stammhaus auf. www.claudiapichler.com