Am 13. Februar ist Weltradiotag. Unser Autor Alex Wulkow nimmt dieses Datum zum Anlass und erinnert sich an die Anfänge des Privatradios in München und im Alpenraum
In grauer Vorzeit – lange vor Spotify, Apple Music oder Youtube – gab’s in jedem Wohnzimmer mehr oder weniger große Kästen mit mindestens zwei Drehreglern, diversen Knöpfchen und einem schmalen Fenster mit aufgedrucktem Frequenzband, um sich bei der Sendersuche halbwegs orientieren zu können im weiten Lang-, Mittel-, Kurz- oder Ultrakurzwellenozean. Die guten alten Röhren- oder Transistorradios sind heute so gut wie ausgestorben, aber ich erinnere mich noch gut an die Achtziger Jahre, in denen ich als Musikfan gerne feinjustierend vor meinem Radiogerät saß, um einen der neuen Piratensender aus Südtirol sauber zu empfangen.
Die seeräuberischen Rundfunker waren zu Anfang der Achtziger so etwas wie die Antipoden zum allein selig machenden öffentlich-rechtlichen Radio in Deutschland, auch wenn nur die Alpen dazwischen lagen. Südtirol war gewissermaßen die Wiege des Privatradios, bevor hierzulande überhaupt daran zu denken war. Die Zulassungsbedingungen für eine eigene Radiostation waren in Italien denkbar einfach: Man meldete sein Vorhaben bei der Postbehörde an und musste bei der Ausstrahlung im Großen und Ganzen nur darauf achten, dass man nicht die Verbreitung anderer Sender störte. Außerdem waren sogenannte “Urlaubsradios” in deutscher Sprache in Italien explizit erlaubt.
Die Südtiroler Privatsender hatten es aber gar nicht so sehr auf Feriengäste rund um Bozen und Meran abgesehen, sie richteten ihre auf hohen Bergen gelegenen Sendemasten bewusst in Richtung Bayern aus und umgingen somit das damalige Rundfunkmonopol der öffentlich-rechtlichen Anstalten in Deutschland. Radio Bavaria International, Radio Brenner, Radio C und Radio M1 – so hießen die Stationen damals.
Radio Bavaria International war der erste private Radiosender, der von Südtirol aus Richtung Deutschland und Österreich sendete. Das Programm wurde 1979 vom Münchner Radiopionier Jo Lüdersgegründet, der später in der bayerischen Landeshauptstadt auch Radio Xanadu aus der Taufe hob. Einer seiner Moderatoren war Daniel Kovac, einigen sicher auch als Stimme vom Bayerischen Rundfunk und als Sänger ein Begriff. Bereits im Herbst 1982 musste RBI den Radiobetrieb wieder einstellen.
Radio Brenner gab es länger, wenn auch am Schluss unter dem Namen Südtirol 1. Das Studio für den Programmbetrieb befand sich in Sterzing, nur wenige Kilometer vom Brennerpass entfernt. Später mischte Radio Brenner auch mal direkt in der Münchner Radiolandschaft mit. Die Moderatoren waren für jeden spontanen Spaß zu haben und improvisierten viel. Ihr Stil wurde später von einigen anderen Radiosendern imitiert und hatte aus heutiger Sicht starken Einfluss auf die deutsche Radio-Comedy-Szene.
1984 kam Radio C aus Bozen mit einem regulären Sendebetrieb hinzu. Die Station war – was nur noch wenige wissen – das “Baby” von Unternehmer Klaus Conrad von Conrad Electronic, der dafür in der Anfangszeit oft zwischen München und Südtirol pendelte. Der allererste Song, der im Herbst 1984 über den Äther ging, war “Magic” von der Band The Cars. Die Münchner “Stadtzeitung” sprach nach den ersten acht Wochen Sendebetrieb damals von “non stop lauer Musik”. Geschmackssache halt.
Der vierte wichtige Südtiroler Sender war damals M1. Der Name könnte einigen Münchnern noch stärker im Gedächtnis geblieben sein, denn die Station zog MItte der Achtziger tatsächlich von Südtirol nach München um. Maria-Theresia von Seidlein kaufte das Programm 1984 auf und entwickelte daraus einen Kanal für junge Hörer mit viel Rockmusik, das Teil des Münchner Kabelpilotprojekts wurde. Drei der M1-Moderatoren von damals waren Michael “Goofy” Förster (jetzt bei HSE im Fernsehen), Walter Freiwald (“Der Preis ist heiß”) und Stefan Schneider, der inzwischen als Stadionsprecher arbeitet. Gut zwanzig Jahre lang war Schneider eine wichtige Stimme im Münchner Äther und beim BR, bei Radio Aktiv, Radio C, Xanadu, Energy, 89 Hit FM und Gong zu hören.
In dieser Aufzählung finden sich einige Sender, die es heute noch gibt. Sie entstanden zum Teil parallel zum Kabelpilotprojekt München, das 1984 und 1985 den Funken auslöste, der die lokale Privatradioszene zum Zünden brachte. Das Projekt wurde von der Münchner Pilot-Gesellschaft für Kabel-Kommunikation betrieben und betraf Fernsehen und Radio. Im Hörfunk nahmen im April 1984 zunächst vier private Stationen ihren Sendebetrieb auf: Radio M1, Radio Xanadu (gegründet von Jo Lüders und 1993 aufgekauft von NRJ), Radio Aktiv von Peter Pelunka (der später auch 89HitFM machte) und die Neue Welle Bayern, die später in Radio Charivari aufging.
Im November kamen dann Radio 2000 (fusionierte bald mit Gong) und der Bayerische Heimatfunk dazu, im Januar 1985 schließlich Radio Gong (erster Chef war übrigens Focus-Herausgeber Helmut Markwort), Radio 44 mit Fred Kogel als Programmchef, die Musikwelle Süd, Radio 89 und UFA-Radio. Plötzlich konnte man sich kaum mehr retten vor lauter Sendern in München. Als das Pilotprojekt auslief, teilten sich einige dieser Stationen zunächst drei neu freigeschaltete terrestrische UKW-Frequenzen, die bis heute noch bestehen (89,0 MHz, 92.4 MHz und 96,3 MHz). 1986 kam noch die Frequenz 95,5 MHz hinzu, die heute von Charivari 95.5 allein bespielt wird.
Wer hätte Anfang der Achtziger gedacht, dass sich aus den Südtiroler Piratensendern und dem Kabelpilotprojekt eine so bunte Privatradio-Landschaft entwickeln würde? Die neuen Sender wurden schnell überaus beliebt und wirkten mit ihrer lockeren, unverkrampften Moderation frisch und jung im Gegensatz zum damals etwas angestaubten Bayerischen Rundfunk.
Heute mischen noch weitere Player unter den Privatradios aus München und Umgebung mit, die wir der Vollständigkeit halber auch noch nennen wollen: 2Day, Radio Arabella, ego FM, Radio Feierwerk, Radio Lora, M94.5 und Top FM aus Fürstenfeldbruck. Radio ist also immer noch ein lebendiges Medium, auch wenn sich heute so viel im Internet abspielt.