Trotz Corona war Münchens Underground nicht faul. Als Einstand unserer neuen Kolumne „Wildes München“ stellen wir drei besondere Alben der letzten Zeit vor.
Nur knapp nördlich der Alpen liegt auf einem tiefen Senkungsbecken in Mitteleuropa, das seit Millionen von Jahren aus Abtragungen des eingangs erwähnten Gebirges aufgefüllt wird, die raue, wilde Stadt München. Beinahe auf der kompletten eurasischen Platte wird sie aufgrund der ihr zugeschriebenen fehlenden Kulturvielfalt belächelt. Dabei hat das Biotop eine weit größere Palette an interessanten Spezimen aufzuweisen, als oft vermutet. Seit Urzeiten fesselt die verschwenderische Schönheit von Münchens Subkultur Einheimische wie Reisende mit ihren umtriebigen Bands, Veranstalter*innen, Künstler*innen etc.
Um diese Leute soll es in der neuen Kolumne Wildes München gehen. Um die, die den Widrigkeiten der Stadt trotzen und weiterhin ihrer Kunst und Vision treu bleiben, auch wenn sie dafür hier vielleicht etwas weniger Gehör finden, als in New York, Berlin oder Augsburg.
Darum als Einstand der neuen Serie hier mal ein Überblick über tolle neue Musik, die der Münchner Untergrund in der letzten Zeit trotz Corona und den damit einhergehenden Problemen zutage gefördert hat:
1. Ghazaleh E – Pre-Pilz und Post-Pilz (Self-released)
Humorvoll, einfallsreich und faszinierend. So kann man die Kompositionen der Ambient/Experimental/Schwerzubeschreibenabergut-Musikerin Ghazaleh E charakterisieren. Die gebürtige Iranerin ist erst im März 2020 von Teheran nach München gezogen, und hat hier eine Stelle in der Musikabteilung des Goethe-Instituts übernommen. Im Gepäck: Viel Kreativität, 20 Jahre Musikerinnen-Erfahrung -darunter mehrere Projekte und Residencies in Europa- und viel Schaffensdrang. Daher war das erste, was sie für ihr neues Leben in der bayrischen Landeshauptstadt gekauft hat, auch ein E-Piano. Dann kam direkt der erste Lockdown, sodass sie das kulturelle Leben der Stadt leider bis heute noch nicht live erforschen konnte. Die Zeit ließ sie aber nicht ungenutzt verstreichen und so hat sie, inspiriert durch diverse Schwammerlsuch-Spaziergänge, zwei Alben aufgenommen und veröffentlicht. Das erste, Pre-Pilz, ist eine Compilation diverser Stücke aus ihrem früheren Schaffen. Soundtrackbeiträge (Pianoise), Neo-Klassisches (It’s becoming closer) und Ambientstücke (The Watcher) wechseln sich hier ab und ergeben ein Album, das klingt, wie ein sonniger Wintermorgen. Rein, Kristallklar und leicht melancholisch. Elektronische Backdrops lassen die Pianostücke erblühen wie Frostblumen an der Fensterscheibe.
Post-Pilz ist anders. Es ist grotesk, auf gute Art exzentrisch und fordernd. Hier werden Piano und Elektronik um seltsame Mundgeräusche und Flüstern erweitert. Bei zwei Songs mischen auch die Krachmacher Suddenly The Goat als Feature-Gäste mit. „Schwammerl suchen mich“ mit seinem mysteriös-komödiantischen Storytelling etabliert dabei die Atmosphäre, die mal etwas psycho (Schleimkopf Gallagher), mal trügerisch-entspannter (Schlaf Schwammerl, Schlaf) ausgeformt wird. Auch wenn es komisch klingen mag: Die Aura der Pilze, die schmackhaft und doch so giftig sein können, wird hier musikalisch höchst interessant und humorvoll eingefangen. Und gerade jetzt, wo man im Wald außer ein paar Gemeinen Samtfußrüblingen nix Brauchbares finden kann, ist das Album für Pilzfans ein Ohrenschmaus.
Für Fans von: Nicolas Jaar, Nurse With Wound und Pilzpfanne Stroganoff
Ghazaleh E auf Bandcamp und Youtube
2. Dollars For Deadbeats – Was it a good night? (Gunner Records)
Machen wir das mal auf die traditionelle Art: Dollars For Deadbeats sind Kirsty (Gesang), Cory (Gitarre), Matto (Gitarre), Harry (Bass) und Daniel (Schlagzeug). Mitglieder der Gruppe sind parallel noch bei Little Teeth, Kein Signal und Arliss Nancy aktiv. DFD gibt es schon seit 2010, aber seit 2018 sind sie in dieser Formation all revved up and ready to go. Im Großen und Ganzen machen Sie Punkrock. Dazu kommt aber noch ein Teelöffel Heartlandrock, diverse Messerspitzen Power-Pop, etwas Indie und viele Messeinheiten Leidenschaft. Was it a good night? Ist ihr zweiter Longplayer und… liefert sowas von ab! Tolle Melodien, einfallsreiche Kompositionen, gute Atmosphäre. Sängerin Kirsty entführt die Hörer*innen direkt ins CBGB der späten 70er. Die „Wohohooos“ der Band im Hintergrund lassen uns schwelgerisch an die Misfits denken, ohne dabei den eigenen Charakter der Songs zu verwerfen. Auch textlich decken sie ein weites Feld ab. Egal ob über Liebe und Alltag (Denver To Boston) oder Politik und Polizeigewalt (Eric Garner) gesungen wird – Die Dringlichkeit der Themen kommt dermaßen rüber und man will mit dem Kopf nicken, tanzen und auf die Straße gehen gleichzeitig. Völlig verdient haben die fünf Punks ihr Album auf dem Label Gunner Records unterbringen können, wo es das Album auch auf farbigem Vinyl gibt. Zum Sammeln und Tauschen. Was it a good night? Wenn dieses Album lief schon!
Für Fans von: Misfits, Blondie, Le Butcherettes, The Murder City Devils und einem gepflegten Wechsel zwischen Pogo und Bootyshaking!
Dollars For Deadbeats auf Bandcamp, Facebook und Youtube. Gibt’s auch auf Spotify!
3. Triebe – Pausenbrot (Self-released)
Punky Noiserock mit deutschen Texten ist dank guter Bands wie Die Nerven und Friends of Gas (aus München, Jucheee!) aktuell ja schwer angesagt. In eine ähnliche Kerbe schlagen auch die drei Burschen von Triebe. Fabi (Gitarre und Gesang), Manne (Bass) und Ju (Schlagzeug) beweisen auf den vier Songs ihrer neuen EP Pausenbrot eine enorme Bandbreite im Songwriting. Während „Festbeißen“ noch recht freundlich und NDW-mäßig daherkommt, wird der Fuzz-Bass auf Songs wie dem erstaunlich groovigen „Sprich mit mir“ so hart malträtiert, dass Assoziationen an US-Kultbands wie KARP ins Hirn gedrechselt werden. Die Texte sind dabei so schön abstrakt anklagend, dass man sie gut für sein eigenes Dagegensein benutzen kann, auch wenn man sie nicht ganz versteht. Ich freu mich sehr, wenn diese Band nach der Apokalypse endlich mal irgendwo live zu ihrer eigenen kleinen Apokalypse lädt.
Für Fans von: KARP, Shellac, Mclusky, und einfach generell ungezähmten Shit.
Triebe auf Bandcamp, Facebook und Youtube. Gibt’s auch auf Spotify!