Im August mit: Bonnie `Prince´ Billy, John Cale, Lankum, Beatsteaks, Madeleine Peyroux, Emiliana Torrini, Roy Bianco & die Abbrunzati Boys u.a.
Bonnie `Prince´ Billy, Nathan Salsburg & Tyler Trotter – Hear The Children Sing / The Evidence
Besonders schön an diesem Album ist u.a., dass man sich an die famose Dischord-Band Lungfish zurückerinnert. Dischord ist das 1980 von Fugazi-Frontmann Ian MacKaye und Jeff Nichols (Teen Idles, Minor Threat u.a.) gegründete Label, welches in Punkkreisen kultisch verehrt wird. Zu recht! Lungfish standen für psychedelischen Slow-Core-Post-Punk und Nathan Salsburg war immer schon Fan. Als junger Vater sang er seiner Tochter dann die Songs der Band aus Maryland vor und variierte die Längen zwischen 10 Minuten bis zu einer Stunde, bis die Kleine halt schlief. Daraus ist nun dieses Album hervorgegangen, auf dem die beiden Lungfish-Songs „Hear The Children Sing“ und „The Evidence“ jeweils 20 Minuten lang von Will Oldham aka Bonnie `Prince´ Billy mantraartig vorgetragen werden. Kann gut sein, dass da einige durchdrehen, auf mich hat es geradezu meditative ja hypnotisierende Wirkung. Sehr speziell.
John Cale – POPtical Illusion
Der Kollege Franz Furtner war im März in der ausverkauften Muffathalle beim Konzert des Art-Rock-Großmeisters und Ex-Velvet Underground-Helden John Cale und zeigte sich hemmungslos begeistert: „Zu all diesen Songs und ihren aktualisierten Versionen wäre viel zu schreiben und doch wären die Worte nur der Abglanz eines Versuches einer Annäherung an einen Bruchteil der erzielten Wirkung, daher mach ich es kurz: Alle waren sie, wie das gesamte Konzert: großartig!“ Und Franze, wie findest denn das neue Album? Darauf der Franz: „Großartig, hehe, manchmal ein bissl ziellos wabernd, aber alles in allem dann doch sehr songorientert, mag ich…“ Stimme dem vollumfänglich zu. Das electro-poppige, geradezu sonnige „God Made Me Do It (don’t ask me again)“ und „Davies And Wales“, welches in meinen Ohren sogar David Bowie für einen kurzen Moment wieder auferstehen lässt, weisen einem den Weg in ein wirklich gelungenes Album, das – wird man einst Cales gesamtes Oeuvre betrachten – sehr viel mehr ist als ein respektables Alterswerk zwischen ekstatischer Klassik und unaufdringlichem Rock, klassischer Songwriterkunst und elektronischen Neuinterpretationen.
Lankum – Live in Dublin
Bisher sind Lankum eher so an mir vorbeigegangen, bis der Kollege Joachim Hentschel letztens in der SZ über „Protest und völkischen Kitsch“ schrieb, und darüber wie man folkloristische Traditionen geschmackvoll bewahren kann ohne gleich ins reaktionäre Lager abzurutschen. Die Iren sind sich da ihren musikalischen Wurzeln zumeist besonders bewusst und selbst wenn fast keine Volksmusik so totgenudelt wurde wie die ihre, meistens hat das Hand und Fuß, ist aber auch nicht davor gefeit tendenziell eher „konservativ, nationalistisch, rückwärtsgewandt, weiß“ und tendenziell „politisch rechts“ zu sein. So zumindest diktierte das der Ex-Punk und Lankum-Bandleader Ian Lynch kürzlich dem Guardian, weswegen „volkstümliche Musik das Letzte war, was mich interessierte.“ Als ihm jedoch auffiel, dass die Songs oft über Renitenz, Widerstand und das Selbstbewusstsein sozialer Underdogs handelten, änderte er seine Meinung. Seitdem fühlt er sich geradezu berufen, „diese Musik nicht allein den Gestrigen zu überlassen … Das, so Lynch, sei nämlich „Kultur, und die haben keine Ahnung davon.“ Mit „Live in Dublin“ ist den Slow-Folk-Spezialisten von Lankum ein Meisterwerk gelungen, mit dem sie sich ab sofort gerne zwischen The Pogues, The Dubliners, Clannad und all den anderen Irish Folk-Helden einreihen dürfen. Holy Moly!
Beatsteaks – Please
Meine Bewunderung für die Beatsteaks war schon immer eine große. Allerdings seit ihrer Support-Aktion für autonome, antifaschistisch tätige Jugendzentren im Osten, ist sie noch um ein ganzes Stück gewachsen. Es reicht den Beatsteaks zufolge also nicht, nur gegen den Faschismus zu sein, nein, man muss ihrer Auffassung nach aktiv handelnder Antifaschist sein um eine wehrhafte Demokratie zu schützen. Zumal dann, wenn das schon die Gesetzgebenden in Deutschland nicht tun, die ja längst ein Parteiverbotsverfahren gegen jene – zumindest in weiten Teilen – gesichert als rechtsextrem eingestufte Partei hätten anstreben können, vielleicht sogar müssen. Also ist Zivilcourage mehr denn je gefragt und die Beatsteaks müssen sich in ein paar Jahren ganz bestimmt nicht anhören müssen, dass sie nichts getan hätten gegen die drohende Gefahr von rechts. Denn, ihre Juzen-Tour, führte sie im Juni 2024 genau dahin wo’s wehtut, nach: Bautzen, Cottbus, Halberstadt, Görlitz, Schwerin u.a. Auch auf ihrem neuen Album sind sie zuweilen da, wo’s manch einer/m wehtut, und zwar bei geschwind-zackigem Uptempo-Punkrock („Detractors“, „Magic Feel“) und akzentuiert-komprimiertem Riffrock („Dead Man“) wohingegen sich bei hymnischem Emo („Katharina“) und zärtlicher Pop-Ballade („Love Like That“) auch No-Punks wohlfühlen dürfen.
KURZ & KNAPP:
Madeleine Peyroux – Let’s Walk
Beeinflusst ist die sympathische Sängerin von Billie Holiday und Ella Fitzgerald. Ihr hochkarätiger Mix aus Chanson, Folk, Pop und Jazz ist formidabler Wohlklang mit Tiefgang. Alle Song hat die US-Amerikanerin diesmal zusammen mit dem Steel Dan-Gitarristen Jon Herington geschrieben, der das Album zusammen mit dem achtfachen Grammy-Gewinner Elliot Scheiner (Beyoncé u.a.) produzierte.
Emiliana Torrini – Miss Flower
Zuletzt musste ihre Show in München mangels Zuspruch abgesagt werden. Aber klar, zehn Jahre ist ihr letztes Album schon alt, Zeit also was Neues herauszubringen. Gesagt, getan: Torrini fasziniert mit spannenden, elektronisch fein verzierten Popsongs und Geschichten über Liebe und Begehren, Unabhängigkeit, Freiheit und weiblicher Selbstbestimmung.
Nathaniel Rateliff & The Night Sweats – South Of Here
Dem sympathisch knuddelige Folkmeister Rateliff wurde ja erst im Zusammenhang mit der Soultruppe The Night Sweats auch in Europa und vor allem hier bei uns ein bisschen mehr Aufmerksamkeit zuteil. Schade eigentlich, denn seine Soloalben sind allesamt fantastisch. Aber gut, auch die nächste Kooperation mit den Sweats ist definitiv hörenswert.
Dirty Three – Love Changes Everything
Bad Seeds-Kapellmeister Warren Ellis hat wohl mal ein paar Tage von seinem Chef Nick Cave freibekommen, die er dann gleich gut nutzte. Seit 2012 haben er und seine Mitstreiter Mick Turner und Jim White kein Album mehr gemacht. Noise und Stille, Chaos und Ordnung, alles an seinem Platz und doch immer unerwartet. Instrumentalmusik mit Geige, Piano und Schlagwerk für fortgeschrittene Indienerds.
The Folk Implosion – Walk Thru Me
Der alte Dinosaur Jr.- und Sebadoh-Schlawiner Lou Barlow hat neben seiner noisigen auch eine folkige Seite, die er regelmäßig mit seinem kongenialen Partner John Davis auslebt. Wie erwartet kein Feelgood-Folk, schneidige Schräglagen sind also vorprogrammiert…
Fink – Beauty In Your Wake
Man meint das Rauschen des Atlantiks förmlich zu hören. Fin Greenall und seine Fink verschlug es für die Aufnahmen in ein kleines Dorf in der Grafschaft Cornwall. Zu hören ist eine gewissen kreative Aufgeräumtheit und eine Lo-Fi-Folk-Energie irgendwo zwischen frühmorgendlichem Aufbruch und melancholischem Sonnenuntergang.
HEIMSPIELE:
Roy Bianco & die Abbrunzati Boys – Kult
Von 0 auf 1. Hurra! München hat wieder eine Nr. 1-Band in den deutschen Albumcharts. Geschafft haben das freilich Roy Bianco & die Abbrunzati Boys. Im besten Sinn zeitloses reiht sich das neue Album in die begonnene Serie der vorherigen zwei Alben „Greatest Hits“ und „Mille Grazie“ ein und vollendet so das gesamtkünstlerische Triptychon. „Eskapismus à la bonne heur“ steht völlig zu Recht im Info, denn unbeschwerter klang Weltflucht in den letzten Wochen und Monaten nur selten. Musikalisch haben sich die Boys dabei wenigstens ein bisschen neu erfunden, weswegen diesmal das Italo-Schlager-Flair mit diversen Stilarten von Britpop über Indie bis Polka und Hardrock angereichert wurde. Manchmal klingt das – mit kräftigem Augenzwinkern wohlgemerkt – nach gewohnt seichter Unterhaltungsmucke, manchmal aber auch nach tiefgehender Auseinandersetzung mit dem Hier und Jetzt. Der Italo-Schlager, eingefleischte Fans wissen das, bietet ein weites Feld von Möglichkeiten und Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys setzen ihm und sich mit „Kult“ erneut ein Monument für die Ewigkeit. (15.11. Olympiahalle)
Victoryaz – Befremdlich
Die Münchner Soulpop-Sängerin Victoria Zapf aka Victoryaz wagt mit ihrer neuen EP erstmals den Schritt in Richtung Deutschpop. Die teils forschen, teils tiefgründigen, immer aber überzeugend selbstbewussten Texte auf einer wohl temperierten elektronischen Produktionen rücken den neuen Sound, der sich aus Trap, HipHop, R&B, Pop und EDM gleichermaßen speist, mehr denn je in den Mainstream, ohne sich jemals anzubiedern oder gar dem Zeitgeist zu ergeben. Zeitgemäß und mit dem Finger nah an der Wunde referiert Victoryaz in den hier verewigten vier Tracks über die Hürden des Alltags im Allgemeinen und der Musikbranche im Besonderen. Inhaltlich setzen sich ihre oft auch sehr intimen Texte mit mentaler Gesundheit („2 kleine Pillen“), Familienverhältnisse („Scheiss auf verzeihen“), jeder Menge Herzschmerz („Hoffe, dir geht’s mies“) und der Rolle einer jungen Frau in der Musikindustrie („Ey, du bist im Showbiz“). Nach dem Release ihrer auch schon formidablen EP „Bed“ im vergangenen Jahr, ein weiterer bemerkenswerter Schritt einer Künstlerin von der man in Zukunft noch einiges erwarten darf. (2.8. Milla, Support: Titus Martinu)