Platten aus nah und fern: Unsere musikalischen Empfehlungen für den November 2024

Platten aus nah und fern von und mit: Thurston Moore, Bright Eyes, The Smile, Henny Herz, The Hard Quartet, Lady Blackbird, The Offspring, Max von Milland u.a.

Thurston MooreFlow Critical Lucidity

Dass jemand wie Thurston Moore Probleme mit der Menschheit als solches hat, wen wundert’s. Auf seinem immerhin auch schon neunten Soloalbum „Flow Critical Lucidity“ klagt er darüber, wie der sogenannte Homo sapiens die Ökosysteme zerstört. Exemplarisch dafür das mahnende „Rewilding“, welches  der ehemalige Sonic Youth-Mastermind der gleichnamigen britischen Umweltorganisation widmet. Beeindruckend zum Ende hin auch das achtminütige „The Diver“, eine psychedelische Klangmeditation mit ernstem Hintergrund: Moore behandelt hier den Tod eines Tauchers, der sich während der Aufnahmen zu diesem Album daran machte Umweltschäden zu erforschen und dabei im Genfer See ertrank. „Shadows“ klingt als hätte es Moore für seine Ex-Frau Kim Gordon geschrieben, erinnert es doch sehr an selige Sonic Youth-Zeiten und bei „Sand Limites“ darf dann auch noch Stereolab-Frontfrau Laetitia Sadier die Backingvocals singen. Nicht immer ganz einfach, das Ganze, aber auch hier: Wen wundert’s?!

Bright EyesFive Dice, All Threes

Geht gleich gut los mit „Bells And Whistles“. Ein klassischer Conor Oberst möchte man meinen: Hymnisch-melodischer, ausladend arrangierter Folk ohne Pauken dafür mit reichlich Trompeten. „El Capitan“ duckt sich in den Strophe ein bisschen – wenngleich angenehm – weg, bis es sich in den Refrains vor allem rhythmisch dynamisch entlädt. Auch hier werden zum Schluss die Bläser in Stellung gebracht, so dass man sich doch sehr an Calexicos Mariachi-Intension erinnert fühlt. Eine schöne Geschichte gibt es zum Song „Rainbow Overpass“. Hier läßt Oberst seinen Langzeitkumpel und Gelegenheits-Co-Autoren Alex Orange Drink von den Altpunks The So So Glos ans Mikrofon: „Alex … ist so etwas wie mein Hype-Man, der ein bisschen Beastie Boys in die Sache einbringt! Er ist in Brooklyn mit Punkrock und den Beasties aufgewachsen … Es erzeugt Energie.“ So ist also auf „ Five Dice, All Threes“ vom Punk bis zum Saloon-Piano und Country-Banjo („Bas Jan Ader“) wieder mal alles vertreten, was ein abwechslungsreiches und überaus hörenswertes Bright Eyes-Album so braucht.

The SmileCutouts

Kommen wir zum direkten Radiohead-Ableger mit den beiden Ehrenvorsitzenden Thom York und Jonny Greenwood, ohne dabei natürlich den vielseitig interessierten, dennoch aber eher im Jazz verwurzelten Schlagzeuger Tom Skinner zu vergessen. Der spielt u.a. neben Branford Marsalis auch schon mit der ehemals in München wahlbeheimateten, leider letztes Jahr verstorbenen, Jazzlegende Dusko Goykovich. Wie ein verspätetes Requiem für eben jenen klingt dann auch gleich „Instant Psalm“. Ein schöner Gedanke wie ich finde, auch wenn’s wahrscheinlich nicht stimmt. „Zero Sum“ nimmt dann spürbar Fahrt auf bevor sich dann in „Colours Fly“ und „Eyes And Mouth“ das filigrane Jazztalent in Skinners Schlagzeugspiel bemerkbar macht. Was ich meine, Greenwood und York sind freilich die beiden Prominasen, der Beitrag Skinners aber sollte bei The Smile niemals nur als Beiwerk abgetan werden. Der Mann ist ein grandioser Rhythmiker, was weitere Songs wie „The Slip“ und/oder „No Words“ nachdrücklich unter Beweis stellen. Post-Jazz trifft Psychedilia und einen Rest von Kraut-Pop. Meiner Meinung nach ganz famos. Schade im Nachgang, dass das Konzert im August wegen Krankheit abgesagt werden musste.

The Hard QuartetDito

Endlich mal wieder eine richtige Allstar-Truppe, die diesen Namen verdient und diesem auch noch spielend gerecht wird. Allesamt Koryphäen, die sich hier zusammengefunden haben. Als da wären Pavement-Chef Stephen Malkmus (auch Jicks, Silver Jews u.a.), Matt Sweeney (Chavez, Cat Power, Superwolf), der Will Oldham-Vertraute Emmett Kelly (Bonnie Prince Billy, Ty Segall) und der trommelnde PJ-Harvey-Intimus Jim White (zuletzt auch wieder mit Dirty Three aktiv). Und die vier lassen es ihrer musikalischen Sozialisierung entsprechend dann auch ganz schön krachen. Das atmet durchwegs rauen Punk-Vibe und reißt dann doch ab und an aus und verzaubert mit überschwänglichem 60s-Westcoast-Charme („Our Hometown Boy“), knarzig-rockigem Singer/Songwriter-Folk („Heel Highway“) und/oder countryesker Düster-Ballade („Killed By Death“). Alles in allem ein Riesenspaß für Puristen und Rock-Nostalgiker, sehr direkt, sehr ehrlich, sehr schön.

Kurz & Knapp

Lady BlackbirdSlang Spirituals

Black Acid Soul-Produzent Chris Seefried bettelt förmlich um den Zuschlag für den neuen James Bond-Titelsong. Und klar, wer den dann singt: Lady Blackbird. Mir fällt grad niemand ein, die prädestinierter wäre. Was für eine Stimme! (24.11.2024 Muffathalle)

The OffspringSupercharged

Dexter Holland und sein Kapelle feiern dieses Jahr ihr 40-jähriges Bestehen. Grund genug um mit „Supercharged“ das wohl beste Album ihrer Karriere zu veröffentlichen! Kein Witz, denn auch Holland ist der Meinung, dass „wir nie besser geklungen haben“. Produziert hat’s im Übrigen Bob Rock (Metallica u.a.). (30.10.2025 Olympiahalle)

Maximo ParkStream Of Life

Nichts Neues von Paul Smith und seinen Kollegen: Straighter, auf Zack und Melodie getrimmter Gitarren-Indie-Rock. Immer wieder schön von Maximo Park zu hören, andererseits etwas berechenbar und am Ende leider auch ein wenig austauschbar. (13.11.2024 Technikum)

Joan As Police WomanLemons, Limes & Orchids

Im Kern so Joan Wasser sei ihr Album eines über „Liebe und Verlust … eine Hommage an das Durchhalten in einer brüchigen, schnelllebigen Welt, inklusive kollektiver Orientierungslosigkeit.“ Ok, dafür schon mal 100 Punkte… auch für ihre Art Popmusik interessant und gehaltvoll zu gestalten.

Antilopen GangAlles muss repariert werden

Wie Recht sie doch haben – Danger Dan, Koljah und Panik Panzer – mit ihrem Albumtitel. Es liegt so viel im Argen, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Also muss „Alles“ wirklich ALLES repariert werden. Ihr Mix aus Punk, Pop und Rap motiviert, es anzupacken, sehr sogar! (10.01.2025 TonHalle)

Jamie XXIn Waves

Ganz verstehe ich den Hype ja nicht. Die Herausforderung für den The xx-Produzenten/Musiker Jamie Thomas Smith bestand angeblich darin den „Zustand der Transzendenz herauszudestillieren und neu zu erschaffen.“ Dafür kommt’s relativ bodenständig daher, nämlich als Disco-House-Meditation für Tanzwütig.

Heimspiel

Max von MillandHOI

Es war im Dezember 2010, als ich den Maxi das erste Mal auf einer Bühne sah. Als Support war er da, im Circus Krone, solo mit Gitarre vor den Sportfreunden Stiller, die an zwei Tagen ihre „New York“-Akustik-Konzerte aufführten. Getroffen hab ich ihn dann zufällig nach seinem Set auf der Toilette, kurze Gratulation, ohne Hände schütteln, versteht sich. Danach kreuzten sich unsere Wege hie und da und über die Jahre haben wir uns zwar etwas aus den Augen verloren, wenn wir uns aber treffen, ist es als wären wir gestern erst zuletzt miteinander abgehangen. Der Südtiroler Singer/Songwriter ist ein ganz besonders liebenswerter Zeitgenosse und im vergangenen Jahr hat er viel Zeit mit sich selbst verbracht. Gar von „einem klostergleichen Rückzug“ wird berichtet. In seiner Wahlheimat München begab der sich mit dem Produzenten Kilian Reischl (Cosby) ins Studio, wo die nun erschienene EP „HOI“ entstand. Die neuen Songs sind eine Art Potpourri aus folkloristischen Traditionen mit alternativen Klangstrukturen irgendwo zwischen Pop und Rock und – man lese und staune – auch Rap. (20.03.2025 Ampere)

Henny HerzWe All Heal At Night

Dahinschmelzen möchte man. Am liebsten sofort ins Bett gehen, Decke drüber und gut is’. Und HEILEN! Natürlich… Dabei ist es völlig egal ob nachts oder tagsüber, denn auch bei Helligkeit vermag es die famose Singer/Songwriterin und klassisch gebildete Musikerin Henny Herz Trost zu spenden und Geborgenheit zu geben. Wer da Defizite hat hört sich am besten „We All Heal At Night“ die kommenden dumperen Monate in der Dauerschleife an. Darauf zartbesaiteter, filigran komponierter Folk-Pop, der einem behutsam die Hand auflegt, durchs Haar streichelt und einen behütet. Aus ihrer minimalistischen Herangehensweise resultieren jede Menge Lebensmut, Ruhe, und ja: Kraft! Der Herbst kommt, der Winter auch und bis es mal wieder etwas freundlicher und wärmer wird einfach dieses wunderschöne Album hören.