Platten aus nah und fern

Platten aus nah und fern: Unsere musikalischen Empfehlungen für den Juli 2024

Neue Alben von The Avett Brothers, La Luz, Eels, Konstantin Wecker, Bonny Light Horseman, Richard Hawley, Sleepwalker’s Station, The Decembrists und King Hannah

The Avett BrothersDito

Der Trappistenmönch Thomas Keating, so erfahren wir im aktuellen Info von The Avett Brothers,  sagte einst: „Stille ist die erste Sprache Gottes – alles andere ist eine schlechte Übersetzung.“ Eine schöne Metapher fürwahr. Demzufolge sakral geht’s auch gleich los mit einem „Vocal Prelude“ welches in der wunderschönen, ebenso betulichen wie besinnlichen Folkballade „Never Apart“ mündet. Dann der folkpoppige Up Tempo-Weckruf „Love Of A Girl“ bevor beim „Cheap Coffee“ und dem Country-Schleicher „Forever Now“ schon wieder die Füße einschlafen. Was  ganz und gar angenehm und positiv gemeint ist, wohl gemerkt. Es ist also wieder mal alles dabei, was die Brüder und Schwestern der Avett-Gemeinde so gerne hören wollen: Atmosphärisch-spiritueller Americana-Folkrock, ein bisschen (zu) glatt, ein bisschen (zu) brav, dennoch aber stimmungsvoll produziert vom Hohepriester Rick Rubin.

La LuzNews of the Universe

Und was die Avett Brothers können, können die La Luz-Sisters allemal. Und so starten auch sie mit einem spirituell anmutenden A-cappella-Gesang bevor sie in den ebenso kratzigen wie rau startenden 60s-Psy-Pop rübermachen, der dann aber doch gleich wieder mit Mehrstimmigkeit und die Seele wärmenden „BaBaBa“-Chören versöhnlich stimmt. Keine Frage: Hab mich schockverliebt. Und zwar in diesen wirklich überaus charmanten, schlauen, umwerfenden, aber auch hier und da mal kräftig mit den Augen zwinkernden und den Wimpern klimperndem Surf-Pop-Doo-Wop-Neo-Psychedilia-Rock dieser vier wahrlich unbeschwert aufspielenden vier Frauen aus Seattle. Kann das nur wirklich all den rockkraftmeiernden Frauen-können-das-nicht-Nörglern dringend empfehlen. Denn: Ihr habt keine Ahnung! Was für ein clever-smartes Rock- und Pop-Kleinod. So, so, so: TOLL!

EelsEels Time

Nun. Keine Ahnung, wie man eine Kritik beginnen soll, über jemanden, der mich seit gut und gerne 30 Jahren musikalisch beglückt, begeistert und mir so viele wundervolle Stunden voll von allerbester Musik beschert(e). Zumal dann, wenn man, in dem Fall ich, am 9. Mai um 15.09 MEZ via  Facebook erfahren musste, dass er gerade dem Tod von der Schippe gesprungen war. Mark Oliver Everett musste sich nämlich einer komplizierten Herzoperation unterziehen und hat überlebt und dies wie folgt kommuniziert: „And I’m fine now, thanks to Dr.s Bowdish and Cohen making sure my heart started back up, and thanks to … all the nurses and other doctors…“ Everett vergißt niemanden und all jenen gilt nun auch mein Dank, dafür, dass sie das gute Herz dieses Ausnahmesängers und -Songwriters weiter schlagen lassen. Also, genießt „Eels Time“, es ist ganz und gar nicht selbstverständlich, dass wir hier wieder solch einen großartigen Mix aus Minimal-Slow-Folk („Time“, „We Wan’t See Her Like Again“), Indierock („Goldy“), balladeskem John Lennon-Gedächtnis-Pop („Haunted Hero“), Alternative-Strange-Psychedelia („If I’m Gonna Go Anywhere“, „Lay With The Lambs“), Easy Listening („Sweet Smile“), eels-typischem 50-to-60ies Retro-Kammerpop („And You Run“) zu hören kriegen. Jeder Song eine kleine Wiederauferstehung. „I’m a lucky guy“ schrieb „E“ noch und: „I’m so glad I got to say hi again.“ Und ich erst!

Bonny Light HorsemanKeep Me On Your Mind / See You Free

Anaïs Mitchell, Josh Kaufman und Eric D. Johnson alias Bonny Light Horseman beschäftigen sich ausschließlich mit Elementarem: Liebe und Verlust, Hoffnung und Trauer, Gemeinschaft und Familie, Veränderung und Zeit. Darf’s sonst noch was sein? „Eine Ode an das gesegnete Durcheinander unserer Menschlichkeit“ schlägt das Info vor und trifft so dermaßen den Nagel auf den Kopf, dass man fast ein bisschen neidisch ist, hätte man dieses wunderschöne Resümee doch gerne am liebsten selber erfunden. Musikalisch ist dabei alles klar: Unter die Haut gehender Folk, Pop, Rock, gesungen von den derzeit wundervollsten Stimmen der Szene. Ich bin so dermaßen geflasht, dass mir fast ein bissl die Spucke wegbleibt und sich die Finger vor lauter Lobes- und Liebeshymnen auf dieses faszinierende Album gegenseitig im Weg umgehen. Deswegen höre ich hier auf und ihr bitte zu…

Richard HawleyIn This City They Call You Love

Haha. Beim Opener „Two For His Heels“ erinnert mich Richard Hawley doch tatsächlich an den eben besprochenen Mark Oliver Everett. Der Song, der Sound, die Stimme. Das ultra verzerrte Gitarrenriff, dazu das kratzig-raue Organ – wunderschön. Mit „Have Love“ ist der Mann aus Sheffield dann schon wieder etwas näher bei sich und man schmelzt beim samtig-sonoren Timbre förmlich dahin. Wunderschön auch die an Elvis Presley erinnernde 60s-Schnulze „Prism In Jeans“ inklusive der schwelgend-schönen Streicher. „Heavy Rain“, „People“ und „Deep Waters“ hätten auch schon auf dem vor gut 15 Jahren erschienenen – von mir über alles geliebten – „Truelove’s Gutter“ sein können. Sommerlich unbeschwert und unvergleichlich einlullend dann der soulige Dub-Swing von „Do I Really Need To Know“ während einen dann das minimalistisch Schlaflied „’Tis Night“ vollumfänglich glücklich in die Nacht entlässt. Nach langer Zeit für mich mal wieder ein Volltreffer. Thank you Mr. Hawley, can’t wait to see you live!

King HannahBig Swimmer

Den Titelsong als Opener zu platzieren kommt immer mehr in Mode, wie es scheint. Auf alle Fälle machen das nun auch Hannah Merrick und Craig Whittle aka King Hannah. Und sie tun gut daran, stimmt er doch gebührend auf die nächsten round about 50 Minuten Spielzeit ein. Sie waren viel in Amerika unterwegs, spielten mit Kevin Morby, Kurt Vile und Thurston Moore. Da schreit natürlich alles nach Slacker, Lethargie und nach zum Teil – zumindest aufs erste Hören – auch recht uninspiriert wirkenden Noise-Orgien. Eingetaucht aber, entfaltet sich ein ganz und gar vereinnahmender Klangkosmos, den Produzent Ali Chant (PJ Harvey, Aldous Harding, Perfume Genius) ganz wunderbar einzufangen wusste.

The DecemberistsAs It Ever Was, So It Will Be Again

Long time no hear. Und: Wow. Wunderschön gleich wie die Gitarren perlen, das Schlagzeug dann die Richtung vorgibt und Sänger Colin Meloy mit seiner so unvergleichlich angenehmen Stimme einen hochkarätigen Folkrock-Diamanten durch die Boxen schickt. Sechs Jahre pausierten The Decemberists, dabei klingen sie als wären sie nie untergetaucht. Schon der Bossa-Samba-Swing-Flair inklusive Mariacchi-Gebläse bei „Oh No!“ Begeistert von Beginn an. Westcoast-Country-Atmosphäre dann in „Long White Vile“ bis eine akustische Irishfolk-Miniatur einem gewissen „William Fitzwilliam“ huldigt. Es folgen noch etliche gute, zugegebenermaßen aber nicht allzu überraschende Songs, bis dann ganz zum Schluss doch nochmal Spannung aufkommt, wenn das sage und schreibe fast 20-minütige Folkrock-Epos mit dem blumigen Titel „Joan In The Garden“ zu einem Gedankenausflug in zuweilen üppig blühende Psychedelic-Landschaften einlädt.

Sleepwalker’s StationManitoba

Gar nicht soweit entfernt von The Decemberists: Sleepwalker’s Station aus München. Obwohl, so viel wie Daniel del Valle mit und ohne Band in ganz Europa, Asien, Australien sowie Süd- und Nordamerika unterwegs ist, sollte man ihn vielleicht doch lieber als musikalischen Weltbürger mit Münchner Wurzeln bezeichnen. Über seinen Mix aus Folk- und Volksmusik, Bossa Nova, Indiepop und dergleichen mehr, singt er seine Texte dann doch mal auf Spanisch und Italienisch, oft auch auf Englisch und gelegentlich sogar auf Deutsch. So wie in seiner Hymne über seine Heimatstadt in der er wirklich kein Klischee ausläßt von Isar über Flaucher und Watschndanz-Juchzer bis Brezn-und-Radieserl-Verherrlichung. Mir ist die ehrlich gesagt dann auch ein bissl zu kitschig und oberflächlich verbrämt geraten, was bestimmt damit zusammenhängt, dass ich nicht so viel in der Weltg’schicht’ unterwegs bin wie del Valle. Wer ständig weg ist neigt – vielleicht auf Grund von Heimweh – zu Überhöhungen, selbst wenn München natürlich für uns alle äußerst lebens- und liebenswert ist, so lange man es sich leisten kann…

Konstantin Wecker – Der Soundtrack meines Lebens (Tollwood München – Live)

Für alle, die dabei sein durften, konnten, what ever, war es ein unvergleichlicher und überaus denkwürdiger Konzertabend: Der große Poet und Liedermacher Konstantin Wecker präsentierte in einer sage und schreibe dreistündigen Liveperformance den einzigartigen und opulenten Sound seiner Filmmusiken. All dies begleitet von seiner fulminant aufspielenden Band und dem formidablen Orchester der Bayerischen Philharmonie. Das Publikum, egal ob jung oder alt sowie die vielen anwesenden Schauspielerinnen und Schauspieler, die Regisseure und Musikerkollegen unter den Gästen waren begeistert. Fragt nach bei Mario Adorf, Friedrich von Thun oder Jo Baier, minutenlangen Standing Ovations inklusive! Jetzt ist dieser unvergessliche Abend auf Tonträger erschienen.