Platten aus nah und fern für Dezember

Neuerscheinungen von und mit: Kim Deal, Father John Misty, Cass McCombs, Berq, Byde, G.Rag & die Landlergschwister, Monobo Son, Florian Paul und WellBrüder

Kim DealNobody Loves You More

Wenn man sich die Solo-Karriere von Black Francis alias Frank Black so anschaut, wird schnell klar: Ihm fehlt(e) nach dem Ende der Pixies die bessere Hälfte. So perfekt die beiden lange Zeit harmonierten und gemeinsam musizierten, so durchwachsen war sein musikalischer Output danach. Was ich meine: Kim Deal hatte maßgeblichen Anteil an der Genialität der Pixies, was nicht nur aber eben auch bei den Breeders deutlich hörbar wurde. Und auch jetzt wieder, wenn Deal ihr Solodebüt vorstellt, zeigt sich ihr unerschöpflicher Erfindergeist. Etwa im beschwingten „Coast“, welches sich vom frühen Ska beeinflusst um Deals Erfahrungen in Hochzeitstanzkapellen dreht. Sehr persönlich auch „Are You Mine?“, eine an die 50er Jahre erinnernde Schnulze, in der sie die Demenzerkrankung ihrer Mutter thematisiert. Wunderschön auch der verträumte Midtempo-Schleicher „Wish I Was“ oder das spürbar entspannte „Summerland“, in dem sie auf nostalgisch-schwelgerische Weise von ihren Winterferien in den Florida Keys berichtet. Gäste auf „Nobody Loves You More“ sind u.a. Schwester Kelley Deal, sowie alte Weggefährten von Bands wie den Breeders, Teenage Fanclub, Raconteurs oder Savages. Der Schlusstrack „A Good Time Pushed“ entstand noch unter der Aufsicht des kürzlich viel zu früh verstorbenen Steve Albini (Nirvana, PJ Harvey u.a.).

Cass McCombsSeed Cake On Leap Year

Mit dieser Sammlung – früher, bisher unveröffentlichter Songs – kehrt Cass McCombs in den wohlig warmen Schoß der Domino-Familie zurück. Wo wenn nicht hier, ist noch Platz für einen wie ihn? Wo finden sich noch offenen Ohren für solch großartige und gleichzeitig ebenso unangepasste wie zeitlos schöne Musik wie die seine? McCombs ist tief verwurzelt im traditionellen Americana-Folk, im Blues, im Country und in Teilen sogar im Gospel. Wer mag, kann das aufgrund von sorglos gestimmten Gitarren und dutzender anderweitig schräger Beiträge, auch Anti-Folk nennen. Branchenführer wie Adam Green, Herman Dune oder Turner Cody, würden keinesfalls widersprechen. Aufgenommen zwischen 1999 und 2000, in der Wohnung von Papercuts-Bandleader Jason Robert Quever in San Franciso, offenbart die Singer/Songwriter-Ikone McCombs hier einen besonders ungekünstelten Zugang zu den musikalischen Wurzeln seiner kalifornischen Heimat rund um die Bay Area. Am Ende sind hier zehn, sehr raue, weitgehend aber meditativ wirkende, minimalistische und durchweg unter die Haut gehende Lo-Fi-Indie-Folk-Exkursionen verewigt, die einen deutlich vor Ohren führen, dass es kein Zufall ist, dass Cass McCombs mittlerweile in Fachkreisen so hohes Ansehen genießt.


Berqberq

Das mit den Wunderkindern ist ja immer so eine Sache. Viele kamen, viele gingen, übrig blieben nur wenige. Im Falle des damals 18-jährigen Felix Dautzenberg alias Berq allerdings war man sich von Beginn an sicher: Der wird sich halten. Nicht nur, weil er gleich am Anfang seiner Karriere mit der bestens in Erinnerung gebliebenen „Rote Flaggen“-EP von Herbert Grönemeyer über den Schellnkönig gelobt wurde und gleich mal mit seiner hübschen Stimme in die Kameras von Jan Böhmermann und Ina Müller singen durfte. Auch weil schnell klar war der ist was Besonderes. Und man klopft sich selber auf die kundigen Kritiker-Schultern, hat man doch die eben schon erwähnte EP sehr wohlwollend an selber Stelle besprochen. Na, wie auch immer, jetzt ist sein selbstbetiteltes Debütalbum erschienen und es hält spielend all das was man ihm bereits vorhersagte. Dabei überzeugt Berq mit hochwertigen Kompositionen, die sowohl musikalisch wie auch textlich zu überzeugen wissen. Ganz großes Kino aber ist die Produktion von David Bonk, die mit klassischen Streichersätzen und epischen Chor-Arrangements ebenso aufwartet wie mit chansoneskem Klavierspiel, einfühlsamem Sprechgesang und Breakbeats. Klingt schauderhaft? Vielleicht! … ist es aber nicht. Berq ist das große Versprechen an ein gutes Deutschpop-Gewissen, wie man es seit Balbina nicht mehr für möglich gehalten hat. (15.12. Backstage, ausverkauft)

Father John MistyMahashmashana

Im Prinzip fängt Father John Misty exakt da an, wo er am 3. März 2023 in der Berliner Columbiahalle aufgehört hat: Orchestraler Breitband-Pop, episch in der instrumentalen Darbietung, dennoch aber lässig in der gesanglichen Darbietung des brillanten Zeremonienmeisters. Aber langsam: „Chloë…“ aus dem April 2022 war ein ebenso opulentes wie vielseitiges Meisterwerk, welches Josh Tillman nicht in München aufzuführen gedachte, woraufhin wir uns bemüßigt sahen nach Berlin zu pilgern. Es hat sich gelohnt, es war genial. Jetzt aber „Mahashmashana“, was aus dem Sanskrit kommt und „großer Feuerbestattungsplatz“ bedeutet. Der gleichnamige Opener, ein sage und schreibe 9.20 Minuten dauernden Auftaktkoloss, kommt einer Ekpyrosis gleich. Der „Weltuntergang“ (dem ein Neuanfang folgen kann) ist üppig ausstaffiert mit allem was ein gefühlt 100-köpfiges Orchester so zu bieten hat. Manchmal geht das freilich auch über die Pathos-Schmerzgrenze hinaus, wenn Streicher und Bläser (allen voran des Saxophon) eskalieren, wahlweise auch explodieren. Es folgt mit „She Cleans Up“, ein schnoddrig hingerotzter, von akzentuierten Jangle-Gitarrenriffs dominierter Midtempo-Rocker. Beim psychedelisch anmutigen „Josh Tillman And The Accidential Dose“ traut man sich endlich wieder atmen und ist geradezu hingerissen ob der Schönheit, dieses großen Songs. Es folgt das nostalgisch swingende, mit sanften Streichern und Holzbläsern unterlegte „Mental Health“, das so auch im Ballroom-Duktus von „Chloë…“ seine Berechtigung gehabt hätte. Das immer wieder zum bombastischen Noise-Stampfer anschwellende „Screamland“ trägt seinen Namen zu recht und die versöhnlich Pianoballade „Summer’s Gone“ hat das Zeug zum Klassiker und steht ab sofort in einer Reihe der großen Crooner-Songs irgendwo zwischen „Summertime“ von George Gershwin und Bert Kaempferts „Strangers In The Night“. 

BYDETanaco

Einen knackigen Mixmax aus melodischem Post-Pop und punkigem Indie-Core haben sich drei alte Hasen aus dem Münchner Untergrund einfallen lassen: Marc Bücherl (voc, b), Björn Blaseg (dr) und Andi Blab (g) können allseits auf Karrieren in Bands wie InPalumbia, Man Afraid Of His Horse, G.Rag y los Hermanos Patchekos, Carrera oder Sitter verweisen und orientieren sich nun in ihrem gemeinsamen Projekt BYDE (gesprochen wird es Bude) an all ihre Helden von XTC über Fugazi und Pixies bis hin zu No Means No und Jesus Lizard. Jede Menge bittersüße Melodien und Krach inklusive.

G.Rag & Die LandlergschwisterIns Freie

Das mittlerweile auch schon sechste Album der Blaskapelle um Bandleader Andreas Stäbler aka G.Rag spannt einen weiten, einen wirklich sehr weiten Bogen von Bayern nach Lateinamerika nach Äthiopien und von Köln über Kanada bis Japan und noch viel weiter… Die wahrscheinlich wunderbarste Blasmusik aus Bayern trifft auf kosmopolite Kompositionen von Mulatu Astatke, Feist, Can oder Malphino. Hier versammeln sich Musizierende der Hermanos Patchekos, denen ebenfalls der umtriebige Tausendsassa G.Rag namens gebend vorsteht, mit Mitglieder von The Notwist, What Are People For? u.a.

Monobo SonBitte Meer!

Einen Tacken moderner interpretieren Songschreiber Manuel Winbeck und seine Monobo Son die hiesige Blasmusik. Hier groovt das schon mal discomäßig und auch das gesamte Sounddesign schielt eher Richtung Popmusik. Winbeck blickt mit seinen neuen Songkreationen hinein, in sich, die Band und die Zustände, die das Leben der Menschen um ihn herum beherrschen. Doch Trübsal blasen gilt freilich auch hier nicht und so sprühen die acht Tracks vor Energie und Lebenslust. Tanz den Eskapismus, jetzt! (27.12. Ampere)

Florian Paul & Kapelle der letzten HoffnungAlles wird besser

So soll es sein! Ob man Florian Paul nun eher in die Singer/Songwriter-Kiste packt oder für ihn und seine bemerkenswert tiefgründigen Lieder eher die Chanson-Pop-Schublade aufzieht, mag ein/e jede/r für sich selbst entscheiden. Ist auch gar nicht von großer Bedeutung, denn egal wo man ihn einsortiert, Florian Paul spielt ja doch in seiner eigenen Liga. Besonders deutlich ist das u.a. bei der reduzierten, schlicht großartigen und zutiefst bewegenden Pianoballade „Wohin du willst“ zu hören. (8.12. Muffathalle)

Well BrüderBayern Unplugged

2012 löste sich die Biermösl Blosn auf. Ein tragischer Verlust (bis heute) für die subversiven und staatskritischen Geister in unserem Bayernland. Die drei Brüder Stofferl, Michael und – anstelle von Hans Well, der im Unguten schied – Karl Well, machen sich nun mit ihrem neuen Album auf an die alten Zeiten anzuschließen. So laden die drei, die sich oft auch als musikalische Begleiter von Gerhard Polt Bayern in Szene zu setzen wissen, zu einer nonkonformen, satirischen und stets auch humorvollen Spritztour in die Unwägbarkeiten der Alpenregionen, irgendwo zwischen Skilift, Alpinismo Tropical, Heimatverbrechen, Scheinheiligkeit und Betonisierung. Well played, Buam!