Jetzt steht es endgültig fest: Das beliebte Herzkasperlzelt wird heuer nicht auf der Oidn Wiesn vertreten sein – die Betreiber scheiterten mit einer Klage gegen die Zulassung der Boandlkramerei vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht. Nächstes Jahr könnten die Karten aufgrund neuer Bewertungskriterien neu gemischt werden.
Das Verwaltungsgericht München hatte bereits den Eilantrag der Herzkasperl-Wirte abgelehnt, die dagegen Beschwerde beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof einlegten. Die Anwälte von Josef „Beppi“ Bachmaier und Martin Jonas argumentierten, die Bewerbung des anderen Wirts hätte nicht berücksichtigt werden dürfen, da sie den Kulturkriterien des Stadtrats für ein Musikantenzelt nicht genügte. Die Auswahlentscheidung der Landeshauptstadt München sei rechtmäßig, urteilte nun der VGH laut dpa.
Ein Bewerber für das Musikantenzelt müsste zwar einen Entwurf für das Kulturprogramm vorlegen, unter anderem mit einer Tageskapelle, einer musikalischen oder tänzerischen Aktion am Nachmittag und einem abendlichen Highlight, erläuterte der VGH. Es sei den Anmeldebedingungen aber nicht zu entnehmen, dass die Musik- und Tanzbeiträge der genannten Künstler bereits verbindlich sein müssten. Die Ausschreibung ziele nicht auf die Festschreibung namentlich benannter Gruppen, sondern auf eine bestimmte Charakteristik des Musikprogramms. Das entspreche der Beschlusslage des Stadtrats, wie sie seit der Oidn Wiesn 2013 bestehe.
Damit ist der Vorwurf, dass die Boandlkramerei-Verantwortlichen bei der Bewerbung Gruppen und Künstler*innen für ihr Kulturprogramm aufgeführt haben, die zu diesem Zeitpunkt nach eidesstattlichen Erklärungen gar nichts wussten von ihrem Glück bei Festwirt Schöniger spielen zu dürfen, oder gefragt wurden, aber bereits abgelehnt hatten, vom Tisch. Laut VGH sei es den „Anmeldebedingungen nicht zu entnehmen, dass die Musik- und Tanzbeiträge der im Programmheft genannten Künstler mit einer bestimmten Verbindlichkeit angeboten werden müssen“. Auf gut deutsch: eine Absichtserklärung (!), was ungefähr stattfinden soll, ohne (zumindest vorläufige) Zusagen der beteiligten Gruppen und Künstler*innen zu haben, reicht für eine Bewerbung auf das Musikantenzelt bereits aus.
Dazu Martin Jonas, Programmdirektor und Mitbetreiber des Herzkasperlzeltes: „Leider wird mit dem Urteil und der Begründung des VGH unsere Arbeit seit über 10 Jahren, ein anspruchsvolles und bei vielen Münchner*innen beliebtes Programm zu gestalten, nicht gewürdigt und wohl scheinbar als bloßes Beiwerk bei einer Bewerbung betrachtet.“
Eher despektierlich („ausgekasperlt“) und ein bisschen arg übertrieben klingt das Statement in der neuen Presseerklärung der Boandlkramerei, dass der „aggressive“ Verlierer „den Kampf ums Wiesnzelt auf dem Rücken der Volksmusikszene austrägt“ (die bekanntermaßen, zumindest was die jüngere Szene betrifft, um die es ja wohl geht, seit zehn Jahren eine feste Heimat im Herzkasperlzelt hatte), das Oktoberfest unter „ein schlechtes Licht stellen würde“ und dem „internationalen Ruf des traditionellen und weltbekannten Volksfestes schaden würde.“ Schöniger glaubt aber, dass am Ende alles das Gleiche wollen: A friedliche Wiesn. Aha.
„Die Wiesn rauscht und sauft voll im Kommerz und diesmal die Oide Wiesn ohne Herz.“
Gerhard Polt & Well-Brüder
Was bisher geschah
Dass der Boandlkramer eine legendäre Volksfigur ist, wissen die meisten Theater- und Filmfreunde seit den legendären Darstellungen der bayrischen Variante des Gevatter Tod durch Toni Berger und jüngst Bully Herbig. Dass nun ein Zelt namens Boandlkramerei das Aus für das beliebte Herzkasperlzelt auf der Oidn Wiesn 2024 wird, grenzt an Ironie des Schicksals. Obwohl nicht ganz: Das Schicksal fußt hier auf einem Vorsprung von 28 Punkten bei der Bewertung der Bewerber für ein Zelt auf der Oidn Wiesn in 13 Kategorien, die Peter Schöniger von der Festhalle Bayernland, der hinter dem neuen Zelt steht, gegenüber dem Dauerbrenner Herzkasperlzelt von Fraunhoferwirt Josef „Beppi“ Bachmaier und Programmchef Martin Jonas für sich entscheiden konnte.
Beliebt bei den Münchnerinnen und Münchnern: Das Herzkasperl Festzelt
Für ein paar Wochen rauschte es im Münchner Presseblätterwald angesichts der drohenden Absage für das bei den Münchnerinnen und Münchnern beliebte Zelt – eine Facebook-Gruppe wurde für den Erhalt gegründet, eine Petition hatten über 12 000 Menschen unterschrieben. Eine endgültige Stadtrat-Entscheidung wurde vertagt, das Kulturreferat sollte noch eine Einschätzung abgeben, da das Kulturprogramm in der bisherigen Punktebewertung praktisch keine Rolle gespielt hat und damit eine zentrale Kernkompetenz des Herzkasperlzelts nicht zur Berücksichtigung kam. Obwohl dann doch ein paar „Kulturpunkte“ (11 für Bachmaier, 7 für Schöniger) in die Bewertungskriterien, deren Transparenz oft kritisiert wird, eingeflossen sind – es hat für das Herzkasperlzelt dieses Jahr nicht gereicht.
Dass die Kriterien für die Oide Wiesn, die ja praktisch bewusst als Gegenentwurf zur „normalen“ kommerziellen Wiesn (auch auf aufgrund einer Unterschriftensammlung im Herzkasperlzelt im Jubiläumsjahr 2010) einen ab- und eingegrenzten Platz am Rande des größten Volksfestes der Welt fand, nicht schon vor Jahren geändert wurden, halten auch Ex-Stadtrat Helmut Pfundstein (CSU) oder Oide Wiesn-Miterfinder Karl-Heinz Knoll (Festring e.V., Festzelt Tradition) für ein schwerwiegendes Versäumnis, das nun zu Ungunsten des Herzkasperlzelts zum Tragen kommt.
Dass der amtierende Wiesnchef und Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner (CSU) laut SZ nicht unbedingt mit Sympathien für Bachmaiers Zelt glänzt und eher in dem Beitrag durch Schulvergleiche (?) und einem angedeuteten Zweifel an den Fähigkeiten des Fraunhofer-Wirts (der dort dieses Jahr sein 50stes Jubiläum feiert!) auffällt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Punkte-Lage eindeutig ist. Und dass man nach dem Abgabeschluss nicht die Kriterien ändern kann, versteht sich von selbst – wobei wir wieder bei den angesprochenen Versäumnissen wären.
Das Ergebnis würde ihr wehtun, gestand Wiesn-Stadträtin Anja Berger (Grüne) gegenüber der AZ. Es sei aber für dieses Jahr nicht mehr zu ändern. Die Fraktionen Grüne und SPD haben Mitte April, viel zu spät, beantragt, die Bewertungskriterien für die Oide Wiesn zu ändern -greifen wird diese Regelung, so sie denn durchgeht, allerdings erst für das Oktoberfest 2025.
Nun gilt es den neuen Betreiber Peter Schöniger laut eines Zitats in einer Pressemitteilung, die bereits einige Minuten vor der Verkündung der Entscheidung die Redaktion erreichte, beim Wort zu nehmen: „Viele bekannte Gesichter der Volksmusikantenszene und junge neue Talente, die einen frischen Geist und Musikstücke mitbringen, werden für schöne Überraschungsmomente sorgen.“ Bleibt zu hoffen, dass sich diese nicht auf einen Auftritt des Festzelt Bayernland-Stars Mickie Krause im Dirndl beschränken. Und sein Kulturbeauftragter Winfried Frey ergänzt auf die Frage, was das Publikum in der Boandlkramerei erwarten darf: „Ein urbayerisches, generationenübergreifendes Lebensgefühl … zu den gegenwärtigen Klängen und Rhythmen der Volksmusikszene“. Namen von auftretenden Künstlerinnen und Künstlern wurde bisher keine genannt – aber sollten wenigstens ein paar Gruppen und deren Ausrichtung nicht schon in einer Bewerbung stehen, die ja bekanntlich gegen die angeblich „dünne“ Bewerbung Bachmaiers (laut Berger) punkten konnte? In der Pressemitteilung spart Schöniger nicht mit emotionalen Worten, unter anderem mit dem Boandlkramerei-Motto: „Genieße dein Leben, solange du es hast und feiere und habe Freude dabei!“ Aha. Ok.
Ein Kommentar
Boandlkramer statt Herzkasperl – Der eigentliche Skandal dieses Münchner Possenspiels ist (nicht nur laut Pfundstein und Knoll) das Versäumnis des Münchner Stadtrats inkl. Oberbürgermeister und Wiesn-Stadträtin und Kulturreferat, die Bewertungskriterien für die Oide Wiesn seit Jahren nicht geändert zu haben – spätestens seit der Neuvergabe des Zeltes „Zur Schönheitskönigin“ von Gerda Reichert, die punktemäßig gegen Lorenz Stiftls „Schützenlisl“ verloren hat, hätten diese zugunsten einer weit höheren Wertung in Sache Kultur geändert werden müssen. Dass das Referat für Wirtschaft und Arbeit auch in Zukunft für diese besondere Aufgabe auf der Oidn Wiesn federführend zuständig ist, müsste ebenfalls überdacht werden – auch mit neuem Referenten.
Dem Stadtrat sei hiermit eine ebenso akribische Bewertung des neuen Zeltes bei laufendem Betrieb auch hinsichtlich weiterer Kriterien empfohlen, die das Herzkasperlzelt bei vielen Münchnerinnen und Münchnern sehr beliebt gemacht haben: Jeden Nachmittag Kindertheater, ein großer Tanzboden statt Biertischen, die größte vegane, vegetarische Karte der ganzen Wiesn und eben ein Kulturprogramm, das anderswo als eigenes echtes Volksmusik-Festival mit über 60 Gruppen aus Bayern und der Welt durchgehen würde. Übrigens: Dass auch die Sicherheit der Besucherinnen und Besucher ein Kriterium im Punktekatalog sein sollte, wäre ebenfalls nicht abwegig. Dann würde das Herzkasperlzelt wohl bestens abschneiden, denn in all den Jahren gab es keinen einzigen Polizeieinsatz wegen einer Schlägerei.
Beppi Bachmaier gibt sich übrigens kämpferisch und wird sich nächstes Jahr wieder bewerben. Sein Kultur-Programm dürfte jetzt schon stehen.