Jens Poenitsch schaut auf die Disco-Ära zurück – mit klarem Blick nach vorn!
Herr Poenitsch, was für ein Schatzkästchen Ihr Buch – mit so vielen Erlebnissen, Fundstücken, Originalfotos, Augenzeugenberichten. Man spürt, wie so etwas in jemandem gearbeitet haben muss, der seine Stadt und die Musik liebt. Wie lange schon gärte das Buch in Ihnen?
Es sind, glaube ich, zwei Energieströme, die da verpackt wurden. Der erste ist tatsächlich, dass einer meiner „Besties“, Moses Wolff mich darauf brachte. „IN“-Lesern ist er natürlich als unser Kolumnist bestens bekannt. Moses verfolgte schon seit vielen Jahren meine musikalische Karriere, als Musiker, dann später als DJ. Er wollte schon vor rund zehn Jahren mal ein Buch mit mir und über mich schreiben.
Und warum kam’s dann anders?
Damals war ich vielleicht ein bisschen brüsk.
Wie das?
Ich hatte Moses gesagt: Ich bin noch nicht tot! Ich bin zwar alt, aber in dieser Zitrone ist noch viel Saft. Buchschreiben fühlt sich für mich wie so eine Art Rentenbescheid an. Es passiert bestimmt doch noch so viel.
Darauf kann man sich bei Ihnen verlassen.
Damals zwang mich Moses Wolff aber ganz geschickt, mal über mich nachzudenken. Er sprach mich damals auf dem Höhepunkt meiner Münchner DJ-Karriere an. Ich hatte die Transformation vom Sänger und Musiker aus NDW, Wave- und Disco-Zeiten zum DJ vollendet und wollte nie mehr zurück. Jetzt sehe ich das längst wieder ganz anders. Wir haben dann trotzdem viel zusammen gemacht. Tatsächlich entstand eine tolle Platte: „Bitte kommen Sie nackt“. Das war – mit Augenzwinkern – eine Munich-Disco-Referenz. Doch das Buch war erst mal vergessen – und ich war eigentlich froh darüber.
Warum?
Mein Job ist das Auflegen, das Singen, Song-Schreiben, Musik machen, Produzieren. Machen – und nicht darüber schreiben! Aber trotzdem ließ mich das Projekt nicht los: Ich liebe natürlich meine Stadt, auch wenn ich herumgekommen bin und teilweise in New York und London gelebt habe. Ich bin aber immer wieder gerne nach München zurückgekommen. Hier sind meine Wurzeln. München ist ja, gerade während der Pop-Hochzeit, die im Buch ja auch vorkommt, sehr international ausgerichtet gewesen. Als eine Einfallschneise für internationale Stars.
In der Münchner Disco-Ära?
Den Glamour der Stadt befeuerten damals die Musicland Studios, die großen Discos, die bis zum heutigen Tag immer noch cool wirken. Dann kam der zweite große Ausbruch des Munich Sounds. Die Welle war für mich am stärksten Mitte der 90er, als München plötzlich über Nacht mit Clubs in Riem, dem Kunstpark Ost und den ganzen neuen Labels einen eigenen Munich Glam ausstrahlte. Während der Rest der Deutschen Republik mit düsterem Techno Furore machte, war München hip und cool – mit House und auch wieder mit Disco.
Etwa die typische Michael-Reinboth-Lebensfreude?
Heiterkeit und Hedonismus – während die anderen schon wieder eher nihilistisch und eher düster unterwegs waren. Die Münchner Linie gefällt mir natürlich viel besser.
Kam daher der zweite Atem für das Buch?
Exakt. Dann kam nämlich Martin Arz auf mich zu, der Verleger vom Hirschkäfer Verlag.
Auch junge Leser, die nicht so weit in der Pop-Geschichte zurückblicken können, haben Sie ja sicher ganz schnell, wenn Sie von Falco erzählen können. Wer kann schon von sich behaupten, Falco nicht nur als Fan, sondern auch als Mit-Musiker aus nächster Nähe erlebt zu haben?
Ich kam durch Zufall an die Arbeit mit Falco – genauso wie vorher an meine Begegnung mit Freddie Mercury. Den Kontakt ermöglichte mir Gerd Augustin.
Einer der ersten DJs Deutschlands und seinerzeit doch auch zeitweise Manager und Produzent von Ike und Tina Turner.
Gerd war damals eine legendäre Figur: ein Fernsehproduzent, Plattenproduzent, Manager, eine Art Tausendsassa. Gleichzeitig war Gerd Augustin auch ein ziemlich wilder und umtriebiger Typ – auch mit einem Diven-Ruf. Mich mochte er aber. Und dann sagt er plötzlich zu mir: Du siehst gut aus, du hast gerade Hits gehabt – mit Zero Zero oder mit deinem Solo-Disco-Projekt.
Gute Visitenkarte.
Er hat mich also abgegriffen, als ich gerade aus dem Musicland rauskam. Typisch Münchner Glamour Mitte der 80er halt. Gerd Augustin verfügte über einen engen Draht zu Falcos Manager. Die waren ganz offen: Falco hatte damals zwar Kontakt zur DrahdiwaberlBand, sagten sie mir – fügten aber an: Die sind alt, fett und hässlich!
Fies. Aber vermutlich genau das, was manche Manager eben so festhalten.
Die Devise war: Wir brauchen was Junges und Geiles, es ist das MTV-Zeitalter! Also hatte Falco sich nicht nur mich, sondern auch zehn andere Kandidaten ins Auge genommen – darunter übrigens auch Ali Khan. Aber auch Victoria Miles, eine bildhübsche schwarze Sängerin, die aussah wie Nofretete. Falcos Manager hat sich aus der Münchner Szene die schärfsten Charaktere rausgesucht – aus einer Welt zwischen – Disco und Punk. Wir sollten die Videoband für Falco werden. So kam das zustande.
Charmant!
Falco und sein Manager waren Profis: Sie haben natürlich nur Leute genommen, die auch richtig spielen konnten.
Und was war Falco für ein Mensch?
Falco war ein Ehrenmann – ganz im Gegensatz zu seinem arroganten Image. Ich erinnere mich an ihn als einen sehr sensiblen, feinen Menschen, der sich dann auch manchmal öffnete. Und er mochte mich: Ich trat innerhalb seiner Band anfangs sehr extrovertiert auf. Falco hat mich nicht zurückgepfiffen, sondern sich das einige Zeit einfach angesehen und dann gesagt: Jens, du brauchst aber nicht so viel zu machen. Wenn du im Raum bist, dann brennt die Luft. Das reicht schon. Ich kann mir kein schöneres Kompliment vorstellen.
Immer in Bewegung: Jens Poenitsch, DJ, Sänger, Songschreiber und Texter (Zero Zero, Jakopic & Poenitsch) bewegt sich schon lange im Dunstkreis der großen Produzenten, der legendären Musicland Studios im Arabella-Hochhaus und natürlich rauf und runter im Münchner Nachtleben. Sein Erfahrungsbericht „Munich Sounds Better With You“ ist aktuell im Hirschkäfer Verlag erschienen – natürlich mit einer Playlist und vielen YouTube-Video-Anspieltipps.