Lassen eine Ära ausklingen: Daniel Ott (links) und Manos Tsangaris (rechts)

Münchener Biennale-Macher zum Abschied: „Kunst ist immer politisch“

Unterwegs in neuen Klangwelten: Daniel Ott und Manos Tsangaris verabschieden sich von der Münchener Biennale – feurig, wie man sie kennt.

Herr Ott, Herr Tsangaris, die Welt ist natürlich in Bewegung, auch in friedloser Unruhe. Wie kamen Sie denn auf Ihr „On the Way“-Motto und wie gut passt das für eine Veranstaltung, die ja vielleicht eine Tür in etwas Neues ist?
Manos Tsangaris: Wir finden, dass die Biennale immer auf dem Weg sein sollte. Und sie ist auch ständig unterwegs. Wenn unsere Nachfolgerinnen dann das Ruder übernehmen, wird sie wahrscheinlich auch mal wieder woanders hingesteuert. Auf jeden Fall soll es aber unbedingt weitergehen. Weil wir das Festival wichtig finden.

Unbestritten. Doch wie kommt es diesmal zum roten Faden?
Tsangaris: Wir verfolgten bislang unterschiedliche Vorgehensweisen, um den Übertitel für die jeweilige Biennale-Ausgabe zu ermitteln. Bei der diesjährigen war es so, dass wir schon an bestimmten Projekten interessiert waren – unabhängig von einem übergeordneten Thema. Dann stellten wir fest, dass das Unterwegssein genau das ist, was alle diese Beiträge gemeinsam haben – wir haben unser Motto also „auf dem Weg“ gefunden.
Daniel Ott: Unser diesjähriges Thema hat aber auch eine politische Dimension: Es geht um Migration, Ortswechsel und die Unterscheidung, wann ist man freiwillig und wann ist man unfreiwillig unterwegs. Zusätzlich geht es um die Frage: Was heißt Mobilität? Was heißt das Unterwegssein jetzt? Was heißt es in 20 Jahren? Außerdem waren die angefragten Kunstschaffenden sehr kreativ bei der Arbeit mit unserem Motto.

Wie meinen Sie das?
Ott: Es gab zum Beispiel einen Arbeitstitel für ein Projekt, der lautete zwischenzeitlich: „Der Weg des Kapitals“. Es ging um Geldkreisläufe. Bei einem anderen Projekt geht es um Nahrungskreisläufe. Da interessiert uns: Was macht der Weizen aus Brasilien, bis er hier angekommen ist? Zunächst schien unser Hauptthema, das im Motto anklingt, so einfach zu sein. Dann haben wir gemerkt: Es ist doch sehr komplex.
Tsangaris: Es geht uns eben auch um Transformationsprozesse. Soll heißen: Es sind nicht nur äußere Wege, die gegangen werden und die es nachzuverfolgen gilt. Auch unsere Gesellschaft befindet sich im Moment auf einem Weg – wohin auch immer! Offensichtlich benötigen wir Veränderungsprozesse.

Ihre Arbeit zeichnet eigentlich von Anfang an aus, dass sie sich den Herausforderungen der Zeit stellen. Aber hätten Sie jemals geahnt, dass die Münchner Biennale sich einmal mit sehr politischen Fragen beschäftigt?
Ott: Für mich ist Kunst immer politisch. Sogar wenn sie behauptet, sie sei nicht politisch. Dann ist sie nämlich gerade besonders politisch. Aber Sie haben natürlich recht: Diese unruhigen Zeiten, in denen wir uns jetzt befinden, haben wir uns nicht gewünscht. Das Auseinandersetzen mit der Realität halte ich für wichtig. Aber genauso finde ich, dass die Kunst das Recht dazu hat, eine gewisse Distanz zu wahren.

Wie muss man das verstehen?
Ott: Auch Musiktheater muss die Möglichkeit zum Reflektieren haben – um von außen auf die Dinge zu blicken. Der Alltag lässt uns für diesen Abstand manchmal fast keine Zeit mehr.

Was macht Sie sicher, dass Musiktheater oder die Beschäftigung mit Formen der zeitgenössischen Musik für solche Fragestellungen überhaupt geeignet ist?
Tsangaris: Es kann keine Kunst geben, egal in welchem Fach oder in welcher Form, die sich nicht doch mit unseren Lebensverhältnissen befasst – also mit der „Polis“, mit den gesellschaftlichen Umständen und unser aller Miteinander. Wir glauben, dass gerade das Musiktheater in seiner Vielstimmigkeit, in seiner strukturellen Vielfalt, besonders geeignet ist, unsere aktuellen Lebensverhältnisse kritisch zu reflektieren.
Wir leben in extrem polyphonen Verhältnissen. Da stellt sich doch die Frage: Wie gehen wir damit um?

Was heißt das fürs Programm-Machen?
Tsangaris: Technologie spielt eine so große, immer wichtigere Rolle. Das führt dazu, dass die Öffentlichkeit nicht mehr einfach nur der offene Raum ist, die „Agora“. Es ist vielmehr so, dass die Öffentlichkeit nach uns greift – vom Handy aus. Vom News-Browser aus. Von den verschiedenen Endgeräten aus.

Die Biennale ist in diesem Jahr so modern, dass Sie sich sogar – augenzwinkernd – den „drängenden Energieerzeugungsproblemen“ widmen. Es heißt, dass sie etwa im Projekt der Gruppe Novoflot musiktheatrale Kraftwirkungen erzeugen wollen. Wird die Energie dann ins Stadtwerke-Netz eingeleitet?
Ott: (lacht) Wieviel Energieeinspeisung möglich sein wird, kann ich noch nicht genau sagen. Die Grundidee ist, sich einen Bahnhof der Zukunft vorzustellen. Es dreht sich bei unserer Produktion „The Gates are (nearly) open“ am Max-Joseph-Platz alles um die Frage: Wie werden wir in 20 oder 50 Jahren durch die Welt gondeln? Das Publikum hat die Möglichkeit, zum ersten Mal in einem Abfertigungsbahnhof der Zukunft zu stehen. Was dann dort aber weiter mit uns passiert, will ich noch nicht verraten. Die Vorbereitungen waren jedenfalls sehr spannend.

Mit einem Festival-Ticket kann man ein wenig besser die Zukunft vorausplanen, weil man schon Einblicke erhält, was möglicherweise kommt?
Tsangaris: Es ist eigentlich ein prophetisches Festival!

„Wir wollen, dass Leute, die sich üblicherweise kein Ticket etwa für die Philharmonie kaufen würden, quasi über unsere Produktionen im öffentlichen Raum stolpern …“

Daniel Ott

„Defekt“ klingt nach einem spannenden, aber vermutlich am stärksten fiktionalisierten Stück. Sie lassen darin von einem Raumschiff erzählen, das die Erde verlassen möchte. Wie kam das zustande?
Tsangaris: Es ist als Format eigentlich das „konventionellste“ unserer diesjährigen Projekte. Das ist eine „richtige“ Aufführung, mit einem Opern-Ensemble, wie man es kennt – mit einem gemischten Künstlerteam aus Darstellerinnen sowie einem Orchester. Wir gehen damit ins Muffatwerk, setzen uns hin und sind als Publikum vor allem innerlich beteiligt. Es ist also eine Veranstaltung der tradierten Form. Allerdings: Inhaltlich hebt das komplett ab – in Richtung einer interstellaren Zukunft, deren Effekte wir noch nicht genau studieren können.

Viele Ihrer Biennale-Produktionen suchen ja bewusst den öffentlichen Raum. Soll das die Nahbarkeit für das Münchner Publikum erhöhen? Sie verstecken sich nicht unter den Kronleuchtern und in der Guckkastenbühne, die man mit klassischen Opernproduktionen verbindet.
Ott: Es ist schön, dass Sie das so beschreiben. Der Ansatz trifft nämlich genau unsere Absicht. Es war uns von Anfang an ein großes Anliegen, nach außen hin sichtbar zu sein. Auch, wenn nicht bei jeder Ausgabe bislang der öffentliche Raum gleich stark präsent war. Diesmal ist das Auftreten in aller Öffentlichkeit für uns zentral.
Wir finden es wichtig, dass es Kulturräume und Rückzugsräume gibt, wo man über die Welt nachdenken darf. Genauso wichtig ist uns das Niederschwellige. Wir wollen, dass Leute, die sich üblicherweise kein Ticket etwa für die Philharmonie kaufen würden, quasi über unsere Produktionen im öffentlichen Raum stolpern – einfach, wenn sie in der Innenstadt unterwegs sind. Vielleicht interessiert unsere Arbeit dann eben doch den einen oder anderen. Und wenn die Passanten unsere Arbeiten nicht interessieren, können sie einfach weitergehen. Wir belästigen niemanden.
Tsangaris: Das ist im diesjährigen Programm besonders wichtig, weil es uns stark um die Frage der Bewegung an öffentlichen Orten geht. Es gibt also eine Konkurrenz zwischen inhaltlicher und formaler, struktureller Ebene.

Ihr Stück „Searching for Zenobia“ befasst sich mit Migration und dem Spannungsverhältnis von Aufbrechen, Ankommen sowie dem nicht wirklich Loslassen-können. Lassen Sie da eine Gedankenreise erzählen, die zwischen dem Hier und Heute sowie der syrischen Vergangenheit spielt?
Ott: Der Vorschlag dazu kam von der Komponistin Lucia Ronchetti selbst an uns. Sie hat viel Erfahrung mit dem Überschreiben von alten Opernstoffen. Diesmal geht es um eine doppelte Überschreibung.

Inwiefern?
Ott: Es gibt diese Geschichte aus dem alten Syrien. Dazu existiert eine Barock-Oper, die Lucia erneut überschrieben hat. Sie arbeitete dafür mit zwei syrischen Musikerninnen zusammen, die sie quasi als Mitkomponierende in den Entstehungsprozess ihres Werks einbezieht. Es geht ihr um Gegenüberstellung des historischen Kontexts: Schon vor 2.000 Jahren wurden dort Menschen verfolgt. Und gleichzeitig sehen wir die Tragik der Syrer von heute, die aus dem Land vertrieben werden.

Für Sie rundet sich mit dieser Biennale-Ausgabe einiges. Es ging für Sie immer wieder mal auch durch unruhige Zeiten. Nun scheinen Sie dem Abschied aber auch mit Gelassenheit entgegenzublicken. Und Sie sprechen schon von künftigen gemeinsamen Projekten. Wie genau begehen Sie Ihr Finale?
Tsangaris: Irgendeine Art von Flasche machen wir ganz sicher auf. Und es gibt auch eine Staffelübergabe. Wir veranstalten am letzten Abend ein Fest und übergeben an Manuela Kerer und Katrin Beck. Dann überreichen wir Ihnen auch die Biennale-Fackel.