Thomas Bohnets französisches Popjahr 2023
Das Album des Jahres kommt für mich von einer 23jährigen Bretonin, deren prosaischer Name eher an eine Romanautorin, denn an eine Musikerin erinnert: Zaho de Sagazan war im letzten Jahr in Frankreich everybody’s darling und mit ihrem hübschen Werk „La Symphony des Eclairs“ die Newcomerin des Jahres. Irgendwo zwischen Chanson, Piano, French Pop, Filmmusik und dezentem Electro-Pop liegen die Songs der Sängerin mit der wandelbaren Stimme.
Auch international erfolgreich war das neue Werk des non-binären Künstlers Héloise Lettisier, der sich hinter Christine & The Queens verbirgt. „Paranoia, Angels, True Love“ ist fast 100 Minuten lang. Großer Pop zwischen Elektro und Opulenz, Nouvelle Chanson und Synthie-Pop. Keine Geringere als Madonna macht bei drei Songs mit.
Die Kanadierin Feist war zuletzt im Gespräch, als sie ihren Support für die kanadischen Arcade Fire abgesagt hatte, nach den Vorwürfen sexuellen Fehlverhaltens gegen Arcade-Fire-Sänger Win Butler. Klang Leslie Feists letztes Album sehr ungeschliffen, fast schon roh, wurde bei „Multitudes“ nun wieder etwas mehr „reinproduziert“.
„London KO“ ist das jüngste Werk der grandiosen malischen Songwriterin Fatoumata Diawara, die eine der aktuell wichtigsten Stimmen in Sachen Global Pop ist. Für ihr drittes Album hat sich die 40-jährige einige Gäste eingeladen. Allen voran den alten britischen Wegbegleiter Damon Albarn (Blur, Gorillaz), der gleich sechs der vierzehn Songs produziert hat. Musikalisch schöpft die Songwriterin aus dem reichen Fundus verschiedener Musikrichtungen Afrikas, Afro-Pop, Afro-Futurismus, Afropop, Jazz, Electro und HipHop. Das Beste: Fatoumata Diawara kommt am 22. Juni in die Region, zum Dachauer Musiksommer. Pflichttermin!
Auch die wunderbare französische Sängerin Fredda (Dastrevigne) kommt nach München: am 24.2 in die Milla. Dort stellt sie ihr sechstes Album „Phospène“ vor. Ein feines Album einer der interessantesten Stimmen des Nouvelle Chanson. Nach dem Konzert werde ich selbst bei der TOUR DE FRANCE-Party auflegen.
Ziemlich genau 40 Jahre nachdem Isabelle Ajdani mit „Pull Marine“ ein hübsches Album mit dem gleichnamigen Nummer-1-Hit unter Mithilfe des großen Serge Gainsbourg veröffentlicht hat, kommt die französische Filmikone mit einem neuen Album daher. Überraschend. Für die neue Platte hat die inzwischen 68-jährige nun mit etlichen französischen und internationalen Stars kollaboriert. Auf „Adjani, Bande Originale” hören wir zum Beispiel schöne Duette mit Etienne Daho, Benjamin Biolay und Louise-Attaque-Sänger Gaetan Roussel. Dazu u.a. Peter Murphy (Bauhaus), Simon Le Bon (Duran Duran), David Sylvian (Japan), Seal.
Nach sechs Jahren endlich wieder mal eine neue Platte des Parisers Pop-Stars Etienne Daho. „Tirer la nuit sur les étoiles“ wartet gleich mit einem hübschen Duett mit Vanessa Paradis auf. Die vorab erschienene Single „Boyfriend“ sei, in ihrer orchestralen Opulenz, vom unlängst verstorbenen Easy-Listening-Meister Burt Bacharach inspiriert – so war zu lesen. Daho-Fans werden die neue Platte – sein erst zwölftes
Album seit dem Debüt „Mythomane“ (1981) – lieben. Gut gemachter, orchestraler Pop mit reizvollen Arrangements.
Am britischen Indie-Pop der frühen Jahre orientieren sich En Attendant Ana, ohne dabei ihre französische Herkunft zu verleugnen. Auf „Principia“ treffen sich der Minimalismus der großen Young Marble Giants und der futuristische Retro-Wave von Stereolab, die ja ihrerseits von einer Französin, Laetitia Sadier, angeführt werden. En Attendant Ana singen auch englisch und begeistern mit feinem IndiePop, zugeschnitten auf die tolle Stimme von Sängerin Margaux Bouchaudon.
Thomas Bohnet ist Musikjournalist, Konzertveranstalter und DJ. Seit 23 Jahren gibt es seine TOUR DE FRANCE-Parties. Die nächste am 24.2. in der Milla mit Livegast FREDDA.