Wie Tobias Staab, künstlerischer Leiter beim „Dance“-Festival, die Stadt vom 22. Mai bis 1. Juni in Schwingungen versetzt
Herr Staab, man kennt Sie in München, schätzt Ihre Arbeit sehr. Allerdings hat sich der Wirkungskreis jetzt enorm vergrößert. Wie vorfreudig haben Sie reagiert, als Ihnen die künstlerische Leitung des Dance-Festivals zugeteilt wurde?
Ich habe mich sehr gefreut. Das ist wie ein Nachhausekommen. Allerdings wurde mir die Stelle nicht zugeteilt, sondern ich hatte ja bei dem regulären Bewerbungsverfahren teilgenommen. Aber natürlich hat sich das Bewusstsein verändert mit jeder Runde, die ich weitergekommen bin und München wieder mehr und mehr zu einer Realität für mich wurde. Während der letzten beiden Jahre, in denen ich die Tanzbiennale vorbereitet habe, konnte ich wieder viel Zeit in der Stadt verbringen und ich genieße es wirklich sehr, hier in München zu sein. Ich habe vor kurzem eine Wohnung in Sendling bezogen und bin fasziniert, wie sich alles hier in den letzten Jahren verändert hat.
Schön zu hören. Nicht alle Münchner sehen das auch so.
2025 fühlt sich für mich wie das München-Jahr an: Das Festival rückt näher, ich inszeniere derzeit gemeinsam mit Lotte van den Berg meine erste Oper in der ehemaligen Reithalle (heute: Utopia). Und im Sommer werde ich noch eine Performance im Rahmen des Festivals der Zukunft zeigen. Auch wenn sich in den letzten Jahren mein Lebens- und Arbeitsschwerpunkt an andere Orte verlagert hat, sind die Verbindungen zu München nie abgerissen. Ich habe regelmäßig hier in der Stadt Veranstaltungen wie Ritournelle gemacht – in den Kammerspielen, später im Blitz Club. Und ich habe in München auch meine eigenen Arbeiten gezeigt und zum Teil produziert, vor allem im Muffatwerk. Außerdem leben viele meiner engsten und wichtigsten Freundinnen und Freunde hier.
Sie werden einiges neu, anders, spannender machen in diesem Jahr. Was ist die Grundidee, die für Sie hinter der Neukonzeption der Tanzbiennale steht?
Ich habe mich immer in einem Koordinatenfeld zwischen Musik, Tanz und Bildender Kunst bewegt. In den Zwischenräumen fühle ich mich am wohlsten. Und ich glaube, dass sich neue Verbindungen und Beziehungen schaffen lassen, wenn man über den eigenen Tellerrand hinausschaut. Außerdem habe ich viel in subkulturellen Kontexten gearbeitet, auch hier in München. Mir ist es daher sehr wichtig, dass sich das Festival auch gegenüber diesen Gruppen öffnet, die sonst eher nicht im Fokus der großen Institutionen stehen…
Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Ich bin nicht an einer elitären Hochkultur interessiert, die sich abgrenzt und nur „for those who know“ funktioniert. Eine solche Öffnung des Tanzes hat für mich eine politische Dimension: Ich habe das Gefühl, dass es heute sehr wichtig ist, Kontexte zu schaffen, in denen Menschen in die Lage versetzt werden, zusammenzukommen, sich zu spüren und miteinander in Kontakt zu treten. Das ist es, was Tanz vor allen anderen Künsten auszeichnet: Begegnungen werden möglich, in denen Körper zur gleichen Zeit gemeinsam in einem Raum sind. Man fühlt sich und die anderen – und das, was uns verbindet. Ohne den Umweg über die Sprache zu gehen, die voller Missverständnisse ist…
Schlägt politische Töne an: Tobias Staab (c) Luis Zeno Kuhn
Die Zeiten sind weltweit angespannt, die gesellschaftlichen Spannungen steigen. Wie groß ist Ihre Sorge, dass die Menschen da überhaupt noch Zeit, Herz und Offenheit für den Tanz haben?
Viele der politischen Entwicklungen der Gegenwart empfinde ich als absurd und schwer nachvollziehbar. Zudem habe ich das Gefühl, dass die Art und Weise, wie wir Informationen ausgesetzt werden, uns taub macht. Ich glaube deshalb an die Kraft der Kunst und vor allem des Tanzes, weil sie uns einerseits offen und empfindsam und zugleich kritisch und wach hält.
Viele Ihrer Formate vertrauen stark auf eine Öffnung und den vielbeschworenen Mut, Grenzen zu überwinden. Warum kann das gerade in der Kunst, beim Tanz gelingen?
Tanz kann Menschen begeistern. Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die noch nie mit Tanz in Kontakt gekommen waren, sich davon völlig faszinieren und hinreißen lassen können. Es gibt Kräfte, die in Körpern wohnen, von denen wir nichts oder nur wenig wissen. Aber sie sind real. Deshalb sind autoritäre politische Systeme ja auch immer daran interessiert, Körper zu kontrollieren und zu disziplinieren. Das Schöne ist: Der Tanz will nicht zum Besseren erziehen. Er hat keine moralische Funktion. Er verlangt keine Vorbildung. Tanz ist direkt und unmittelbar. Wenn Leute sich selbst fühlen, noch dazu im Verhältnis zu den anderen Menschen, die sie umgeben, dann ist es sehr viel.
Bei der ersten Vorstellung des Programms war die Rede von der Fähigkeit, die Andersheit der Anderen auszuhalten. Wie kann eine gute Dance-Produktion dabei helfen?
Das Problem ist heute oft, dass überhaupt kein Dialog stattfindet. Urteile werden gefällt, lange bevor die Sachlage klar ist und oftmals verhindert die eigene Ideologie, dem anderen überhaupt zuzuhören. Ich weigere mich zu glauben, dass Dialoge nicht mehr möglich sind. Und ich denke, dass es an den Künsten ist, Plattformen zu schaffen, auf denen Begegnungen möglich werden, die in der Politik vielleicht nicht mehr möglich sind.
Was ist Ihr Vorschlag?
Im Rahmen des Festivals versuchen wir, Räume zu schaffen, in denen sehr unterschiedliche Menschen zusammenkommen. Menschen, mit sehr unterschiedlichen Konzepten von Politik, Gesellschaft, Liebe, Körper und Religion… und trotzdem glauben und hoffen wir auf ein friedliches Miteinander. Wir verzichten weitgehend auf vordefinierte Platzkarten oder einen abgegrenzten Zuschauerraum, um sicherzustellen, dass Begegnungen wirklich stattfinden. Die Menschen können sich frei bewegen und müssen sich also selbst ein Verhältnis schaffen, einerseits zu den Performer*innen, andererseits zu dem anderen Besucher*innen. Das schafft eine Autonomie und zugleich eine Verantwortung für jeden einzelnen.
Interview: Rupert Sommer
ZUR PERSON: Kreativer Netzwerker: Die 19. Ausgabe des „Dance“-Fesivals setzt mit 11 Tagen, 19 Produktionen, 45 Aufführungen und 12 Spielstätten auf intensive Begegnungen und eine starke Präsenz in der Stadt. Dem neuen künstlerischen Leiter Tobias Staab, freischaffender Regisseur, Kurator und Dramaturg, der unter anderem an den Kammerspielen arbeitete, hat Institutionen und Orte mit ins Boot zu holen, die sich bislang noch nie am Fest beteiligt waren – darunter das Volkstheater, das Haus der Kunst, das Lenbachhaus oder das Utopia. Hingehen!