Genau ein Jahr nach dem coronabedingten Lockdown wollen wir mit den betroffenen Betreibern, Veranstaltern und Kreativen über die damaligen Geschehnisse, ihre aktuelle Situation und über die Zukunft sprechen.
Mit der Veröffentlichung des Ministerialblatts „Veranstaltungsverbote und Betriebsuntersagungen anlässlich der Corona-Pandemie“ vom 16. März 2020 mussten die meisten kulturellen Einrichtungen im vergangenen Jahr Ihren Betreib einstellen… viele bis heute.
Im ersten Teil unserer Interviewreihe haben wir Richard Distler von der CRAFT Veranstaltungs AG, die mit der Nachtgalerie und dem Neuraum die besucherstärksten Clubs in München betreiben, zum Gespräch gebeten
Hättest du dir das im März 2020 ernsthaft vorstellen können, dass ihr ein Jahr später immer noch geschlossen habt?
Zu Beginn der Pandemie gingen wir (meine sechs Partner und ich) von maximal zwei bis drei Monaten aus. Mit einem Hauch Naivität und natürlich mit einer großen Portion Hoffnung war das für uns überschaubar. Doch dann holte uns die Realität schnell ein. Mit vielen Hochs und leider mindestens genauso vielen Tiefs ging das Jahr nun doch schneller vorbei als gedacht. Aber ganz nüchtern betrachtet, hätten wir das niemals für möglich gehalten vor 12 Monaten.
Siehst du dich um dein Lebenswerk gebracht oder welches Gefühl überwiegt aktuell bei dir?
Ganz klar Nein, denn mein und unser Lebenswerk ist noch nicht beendet. Wie schon erwähnt, betreiben wir ja zu siebt seit mehr als 20 Jahren unsere Clubs. Und wir treffen uns regelmäßig zu unseren Meetings (seit mehreren Monaten leider digital). Wir nennen nur unser Meeting nicht mehr Betreibersitzung, sondern es ist das Treffen der Selbsthilfegruppe Craft … aber Spaß beiseite, die ganzen Schwierigkeiten und Probleme der aktuellen Krise lasten bei uns auf 14 Schultern und nicht auf zwei oder vier. Es hilft ungemein die Sorgen untereinander zu teilen und sich gegenseitig zu helfen. Und das positive Denken habe ich noch nicht verlernt.
Nagt diese Ungewissheit, diese wackelige Öffnungsperspektive eigentlich besonders an einem?
Das größte Problem in der aktuellen Situation ist, dass man nur reagieren und nicht aktiv seine eigene Zukunft planen und gestalten kann. Von einer wackeligen Öffnungsperspektive kann man Stand heute noch nicht einmal reden. Es gibt sie nicht! Unsere Branche war die erste, die geschlossen wurde und wird leider wohl eine der letzten sein, die wieder öffnen darf. Wir sind leider nicht systemrelevant! Und dieser fehlende politische Rückhalt und die dadurch fehlende Perspektive nagt natürlich an einem. Doch Achtung! Nach einem Gewitter folgt auch wieder Sonnenschein. Und wenn man uns Clubbetreiber endlich wieder von der Leine lässt, bin ich mir sicher, dass wir kreative, pandemisch wasserdichte und vor allem schnelle Strategien entwickeln und Lösungen umsetzen werden und können.
Was erwartest du in den nächsten Wochen und Monaten konkret von der Politik?
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass leider die Pandemiepolitik der Bundesregierung und die daraus erfolgten Entscheidungen stark beeinflusst werden durch die Bundestagswahlen Ende September. Es wird Politik gemacht für die Wählerschaft 40+. Über 70 Prozent der Wahlberechtigten sind 40 Jahre oder älter. Sie interessieren sich kaum für Veranstaltungen in Clubs oder Ähnliches. Das macht uns zu einem nicht systemrelevanten Business. Und um keine Stimmen der großen wahlberechtigten Altersgruppen zu verlieren, wird unsere Branche einfach nicht erwähnt oder gar politisch unterstützt. Das würde Wählerstimmen kosten!
Doch gerade für die 18- bis 29-jährigen, die nur rund 14 Prozent Wahlberechtigten stellen, sind wir mindestens relevant. Gerade in diesem Alter hat man besondere Bedürfnisse und diese werden aktuell nicht bedient. Mein Appell an die Politiker: Vielleicht sollte man sich öfters an seine eigene Jugend erinnern, um Verständnis für deren Bedürfnisse und Wünsche zu haben. Wirklich erschreckend ist für mich die Vorstellung, Mitte März 2020 volljährig geworden zu sein. Ich empfinde höchste Empathie für diese Jugendlichen und Erwachsenen.
Zusätzlich muss das „Fahren auf Sicht“ beendet werden und ein klarer Fahrplan für die Zukunft erstellt werden (nicht nur auf einem DIN-A4-Blatt). Großbritannien hat uns das gezeigt, dort gibt es einen klaren Fahrplan.
Zuletzt wünsche ich mir mehr Mut zu wahlkampfunabhängigen Entscheidungen vom Bund und dem Land Bayern und dadurch mehr Freiheiten für die Kommunen. Mecklenburg-Vorpommern und Rostock machen uns das vor. Und die Stadt München wäre bestimmt bereit, mit uns neue Wege zu gehen, da bin ich mir sicher.
Impfpass oder aktuelle negative Testergebnisse könnten ein Türöffner sein. Wie viel Hoffnung setzt du darauf oder auch auf Apps wie „Luca“ von Smudo?
Bereits seit Oktober 2020 gibt es Pläne und ein Strategiepapier zur Öffnung der Clubs in München. Dort waren die Schnelltests und eine exakte digitale Nachverfolgung bereits der Kern des Konzepts. Ich bin sehr froh, dass Schnelltests und die App Luca politisch und medial thematisiert werden. Eine Kombination aus Impfpass, Schnelltests und einer deutschlandweit akzeptierten App wie Luca wird der so dringend benötigte Gamechanger werden, wenn man sich nur traut. Schnelltests vor dem Club, Hygienekonzept und Registrierung über die App, los geht´s. Wir würden das Ganze in 24 Stunden umsetzen können!
Mit welchem Zeitrahmen rechnest du im Moment, wann könnt ihr wieder öffnen?
Leider rechne ich erst nach den Bundestagswahlen mit einer Öffnung.
Plant ihr als ersten Schritt zurück zur Normalität auch wieder Dinner-Abende im Club? Oder welche Alternativen schweben euch vor?
Die Dinner-Abende im Neuraum 2020 waren für uns eine wunderbare Zeit. Aber ich glaube, 2021 werden wir eher den Weg nach draußen nehmen. Frische Luft tut gut und lässt mehr Freiheiten für unsere Gäste zu. Unabhängig davon freuen wir uns, wenn unser Konzept „Whatthefit“ wieder starten kann. Zusammen mit ehemaligen Barkeepern von uns haben wir ein wunderbares Fitness-Konzept entwickelt. Bei WTF Club Cycle bekommt man ein Full Body Workout im Neuraum. Hier trifft Partyfeeling auf Fitness, und das Ganze „Corona-konform“.
Werden das Nachtleben und die DJ-Kultur einen irreparablen Schaden erleiden oder wird sich das alles wieder einpendeln?
Leider werden einige und einiges auf der Strecke bleiben. DJs, Musiker, Techniker, Servicekräfte, Barkeeper, Securities, Reinigungskräfte, Garderobenpersonal, Barversorger (-innen) und viele weitere Nachteulen sind ja nun seit über 1 Jahr ohne Jobs und Aufträge. Da werden leider nicht mehr alle wieder in das Nachtleben eintauchen können. Da ich für das DJ-Booking zuständig bin, kann ich aber unseren Resident-DJs garantieren, dass Sie bei uns wieder spielen können. Das ist für mich selbstverständlich.
Was hast du in der Corona-Krise für dich persönlich gelernt?
Dankbarkeit, Hilfsbereitschaft und Ehrlichkeit (gerade meiner Familie und meinen Partner gegenüber) bleiben immer die wichtigsten Säulen in einer Partnerschaft, sowohl privat als auch geschäftlich. Das kann auch Corona nicht ändern. Und für das Phrasenschweinchen habe ich auch noch was: „Not macht erfinderisch“, „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, „Der Weg ist das Ziel“ und „Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt“. Think positive – stay negative!!!!