David Russo, Tanz-Dozent an der Hochschule für Musik und Theater

„Aus der Bubble herauskommen“: David Russo und Magdalene Knappe von der der Hochschule für Musik und Theater im Interview

Bewegte Zeiten: David Russo, Tanz-Dozent an der Hochschule für Musik und Theater, und Studentin Magdalene Knappe verraten, worauf man sich bei der Biennale Tanzausbildung vom 19. bis 25. Februar freuen darf

Herr Russo, für eine knappe Woche kommen Tanz-Begeisterte, Studierende und Lehrende aus der ganzen Welt nach München. Wie bereitet sich Ihre Hochschule eigentlich auf so einen Ansturm vor?
David Russo: Die Aufregung ist natürlich sehr groß, insbesondere beim Organisationsteam und der Leitung. Eine solche Veranstaltung stellt für unsere Institution eine echte Herausforderung dar, da wir neben den alltäglichen Aufgaben die Vorplanung vieler Komponenten berücksichtigen müssen. Wir haben bereits 2019 angefangen, die Biennale Tanzausbildung in München zu planen.

Wie wichtig ist es, sich auch weltweit zu vernetzen?
Russo: Die Zielsetzung besteht in erster Linie darin, den Austausch zwischen den verschiedenen Studiengängen in Deutschland, die eine professionelle Tanzausbildung anbieten, in all ihren Fachrichtungen zu fördern. Allein dies sichert bereits eine sehr hohe internationale Quote, da viele ausländische Studierende an unseren Hochschulen eingeschrieben sind. Aber es war dem kuratorischen Team sehr wichtig, auch internationale Institutionen einzuladen, besonders nach der letzten Ausgabe in Stuttgart 2020, die aufgrund der Corona-Maßnahmen nur mit nationalen Hochschulen stattfinden konnte.

Wie gut tut dem Münchner Haus der berühmte Hauch der weiten Welt?
Russo: Ehrlich gesagt, ich persönlich finde, dass München bereits sehr viel Internationalität vorweisen kann. Die große Münchner Bühne bietet Raum für erstklassige Tanzensembles und beeindruckende Produktionen. Was München jedoch eher fehlt, ist ein zentraler Ort für den Tanz, an dem die gesamte Tanzszene, von der Ausbildung bis zu den Profis in Tanzensembles oder der freien Szene, aber auch Laien, Vermittlungsinitiativen und Tanzliebhaber*innen im Allgemeinen, sich vereinen können.

Wie knifflig war es, ein Begegnungsprogramm mit Workshops, Symposien, Vorträgen und nicht zuletzt Aufführungen zusammenzustellen?
Russo: Sehr, aber auch sehr erfüllend, indem wir versucht haben, das Thema der diesjährigen Biennale „Ideals and Role Models“ als ständigen Kompass bei der Programmgestaltung zu nutzen. Als Kuratorinnen-Team haben wir uns intensiv bemüht, eine vielfältige Auswahl an Gästen einzuladen, die bereichernd und inspirierend für die Teilnehmenden sind. Der Balanceakt zwischen wertvollen pädagogischen und künstlerischen Erfahrungen und der Berücksichtigung des übergeordneten Themas war definitiv eine Herausforderung, aber wir glauben, dass das Ergebnis die Mühe wert ist.

Tanz dürfte zu den ältesten kulturellen Leistungen und Freuden der Menschheit gehören. Was macht für Sie die anhalten- de Passion fürs Tanzen und auch das Weitergeben von Traditionen aus?
Magdalena Knappe: Das Schönste beim Tanzen ist für mich das Gefühl, das ich habe, wenn ich auf der Bühne stehe und tanzen darf. Dieses Gefühl der Freiheit, wenn all meine Gedanken und Probleme verschwinden und für die Zeit des Tanzes einfach weg sind. Mein Körper hat den Tanz und die Schritte, die wir Tag für Tag mit unseren Lehrerinnen üben, so verinnerlicht, dass ich ohne groß drüber nachzudenken einfach tanzen kann.

Was treibt die vielen Studentinnen und Studenten an, die sich Jahr für Jahr an der Hochschule und in Ihren Veranstaltungen einfinden?
Knappe: Wir alle haben ein gemeinsames Ziel: Wir wollen tanzen! Es ist vermutlich auch die Mischung aus der gemeinsamen Liebe zum Tanzen, die anstrengende und oft kräftezehrende Zeit des Übens und das gemeinsame Glücksgefühl, zum Beispiel dann den Auftritt zusammen erfolgreich geschafft zu haben. Dies alles zusammen macht fast schon süchtig danach, es wieder gemeinsam zu erleben.

Magdalena_Knappe_Foto_Carlos_Quezada_2
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Klingt spannend.
Knappe: Ich freue mich, dass in diesem Jahr die Biennale Tanzausbildung nach München kommt und uns großartige Möglichkeiten eröffnet. Wir bekommen die Chance, neue Leute mit der gleichen Leidenschaft kennenzulernen, sich auszutauschen und vor allem auch voneinander zu lernen. Nur durch den Austausch können wir uns weiterentwickeln und unseren Horizont zu erweitern, dafür bieten sich vor allem auch die geplanten Workshops an.

Wie viel von den aktuellen Identitätsdebatten, aber auch Fragen rund um „Body Positivity“ steckt im aktuellen Motto der Biennale?
Russo: Die Mitglieder der AK|T (Ausbildungskonferenz Tanz) pflegen eine Grundhaltung der Akzeptanz und fördern aktiv diverse Diskurse im Bereich von Diskriminierung, Inklusion und Solidarität. Daher bildet dies hoffentlich die Grundlage für bereichernde Gespräche und Austausch. Am Freitag, dem 23. Februar, wird ein öffentliches Symposium über tradierte Ideale, potenzielle neue Vorbilder und unseren Umgang mit diesen in der Gestaltung neuer Diskussionen und Foren stattfinden.

Was beeindruckt Sie selbst am meisten, wenn Sie auf die unterschiedlichen Schulen, Kulturen und Weltregionen blicken, aus denen Ihre Gäste kommen?
Russo: Ich freue mich am meisten auf die Reaktionen der Studierenden. In den vergangenen Editionen, an denen ich teilnehmen durfte, konnte ich immer eine deutliche Erweiterung der Horizonte und eine gesteigerte Aufgeschlossenheit als zusätzliche „Nebenwirkung“ bei all unseren Studierenden beobachten. Plötzlich erlebten sie eine viel positivere Selbstwahrnehmung und spürten vielleicht ein bisschen weniger Druck als sonst. Es ist wichtig, ab und zu aus der eigenen Bubble herauszukommen.

Die Zeiten könnten politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich kaum ernster sein: Kann sich eine Kunst wie der Tanz da überhaupt abkoppeln oder vielleicht ganz im Gegenteil auch gute Antworten finden?
Russo: Ich betrachte Tanz als mehr als nur eine darstellende Kunst. Eher als menschlichen Ausdruck und Grundbedürfnis, sowohl für Zuschauerinnen als auch für Akteurinnen. Tanz spricht eine globale Sprache. Er setzt kaum Grenzen – im Gegenteil. Er schlägt Brücken mit körperlichen, ästhetischen und kraftvollen Interpretationen und Darlegungen. Er inspiriert, findet seine Anregungen in allen erdenklichen Geschehnissen und bietet Raum für Dialog. In Zeiten der Krise und des Krieges werden Brücken von noch größerer Bedeutung für uns alle als Künstlerinnen, Pädagoginnen und als Gemeinschaft.

Die vielen Veranstaltungen verlangen für die Studierenden, für Sie, aber vermutlich auch für Beobachter von außen ein gutes Zeitmanagement: Bleibt bei so viel Verdichtung überhaupt noch Platz für einen Feier-Anteil im Festival?
Russo: Ich hoffe sehr darauf. Am Montag wird ein erster Empfang nach der Premiere stattfinden. Es sind einige Rahmenveranstaltungen geplant, darunter auch kleine Ausflüge für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Zum Beispiel ist am Donnerstagabend der Besuch von „La Bayadère“ in der Bayerischen Staatsoper, „Giselle“ im Gärtnerplatztheater und „Radical Cheerleading“ von Zufit Simon im Schwere Reiter geplant. Am Freitag während des Symposiums sind einige Formate für soziales Miteinander vorgesehen. Am Samstag steht eine Abschlussfeier an, und jeden Abend wird eineinhalb Stunden gemeinsames Dinner hoffentlich für ausreichend Austausch- und Feiermomente sorgen.

Wie werden die Stücke ausgewählt, die die Zuschauer in der Muffathalle sehen werden?
Russo: Die Auswahl der Stücke und die Reihenfolge werden vom Kuratorinnen-Team gestaltet. Dabei spielen verschiedene Kriterien eine Rolle, darunter ein ausgewogener Wechsel zwischen klassischer und zeitgenössischer Fachausrichtung, die Anfahrtszeiten der Gäste, die Probenplanung auf der Bühne so- wie die Anzahl der Performerinnen.

Gibt es so etwas wie einen roten Faden bei den Schau-Vorstellungen?
Russo: Alle Institutionen wurden gebeten, einen künstlerischen Beitrag zum Thema der Biennale „Ideals and Role Models“ vorzubereiten. Dies wird unseren roten Faden darstellen.

Was sollte man Ihrer Meinung nach auf keinen Fall verpassen?
Russo: Für die Zuschauer*innen gibt es vier öffentliche Veranstaltungen: Am Montag und Dienstagabend die Präsentationen aller teilnehmenden Institutionen. Am Mittwochabend das Gastspiel von „Cracks“ der Kompanie Urban Arts Ensemble Ruhr, dem ersten deutschen staatlich finanzierten Hip-Hop-Ensemble. Am Freitag ganztägig findet das Symposium statt, und am Abend wird eine Improvisationsperformance mit Gästen aus der Freien Szene München veranstaltet.

Worauf freuen Sie sich ganz persönlich am meisten?
Russo : Auf Austausch und auf neue Impulse.

Letzte Frage: Man unterstellt ja gern, dass Menschen wie Sie ganz genau wissen, was man sich und dem eigenen Körper abverlangen kann. Wie viel Kilo Muskelmasse und wie viel Transpiration kostet eigentlich so eine Tanz-Großveranstaltung?
Russo: Sagen wir es so, unsere Studierenden absolvieren teilweise ein 30-Stunden-Programm in der Woche regelmäßig, und die Kalorien werden in der Biennale-Woche sicher anders verbrannt als in ihrem Alltag. Aber sie werden bestimmt damit klarkommen, da sie es gewohnt sind, in Bewegung zu bleiben. Außerdem bin ich zuversichtlich, es wird genug zu essen und zu trinken geben, damit wir alle regeneriert eine tolle Woche voller Begegnungen und Inspiration erleben können.