ANGESPIELT – Die IN-München-Platten des Jahres 2024

Die Jahrescharts der IN-München-Musikredaktion – Top 20!

20. International Music – Endless Rüttenscheid

19. Ride – Interplay

18. Jonathan Rado – For Who The Bell Tolls For

17. Maximilian Hecker – Neverheart

16. Faye Webster – Undressed At The Symphony 

15. Adrianne Lenker – Bright Future

14. St. Vincent – All Born Screaming

13. Beth Gibbons – Live Outgrown

12. Villagers – That Golden Time

11. Bonny Light Horseman – Keep Me On Your Mind / See You Free

10. King Hannah – Big Swimmer

9. Richard Hawley – In This City They Call You Love

8. Jesper Munk – Yesterdaze

7. Tindersticks – Soft Tissue

6. Eels – Eels Time

Hier geht’s zu den IN-München-Songs des Jahres: https://open.spotify.com/playlist/1zpubZ9mKvSUFZvC5gbUIp?si=30aa415e821a40da&pt=39c5c6c6c3944783a3553b90f6f5d6de

5. The Smile – Cutouts

Kommen wir zum direkten Radiohead-Ableger mit den beiden Ehrenvorsitzenden Thom York und Jonny Greenwood, ohne dabei natürlich den vielseitig interessierten, dennoch aber eher im Jazz verwurzelten Schlagzeuger Tom Skinner zu vergessen. Der spielt u.a. neben Branford Marsalis auch schon mit der ehemals in München wahlbeheimateten, leider letztes Jahr verstorbenen, Jazzlegende Dusko Goykovich. Wie ein verspätetes Requiem für eben jenen klingt dann auch gleich „Instant Psalm“. Ein schöner Gedanke wie ich finde, auch wenn’s wahrscheinlich nicht stimmt. „Zero Sum“ nimmt dann spürbar Fahrt auf bevor sich dann in „Colours Fly“ und „Eyes And Mouth“ das filigrane Jazztalent in Skinners Schlagzeugspiel bemerkbar macht. Was ich meine, Greenwood und York sind freilich die beiden Prominasen, der Beitrag Skinners aber sollte bei The Smile niemals nur als Beiwerk abgetan werden. Der Mann ist ein grandioser Rhythmiker, was weitere Songs wie „The Slip“ und/oder „No Words“ nachdrücklich unter Beweis stellen. Post-Jazz trifft Psychedilia und einen Rest von Kraut-Pop. Meiner Meinung nach ganz famos. Schade im Nachgang, dass das Konzert im August wegen Krankheit abgesagt werden musste.

4. Kim Deal – Nobody Loves You More

Wenn man sich die Solo-Karriere von Black Francis alias Frank Black so anschaut, wird schnell klar: Ihm fehlt(e) nach dem Ende der Pixies die bessere Hälfte. So perfekt die beiden lange Zeit harmonierten und gemeinsam musizierten, so durchwachsen war sein musikalischer Output danach. Was ich meine: Kim Deal hatte maßgeblichen Anteil an der Genialität der Pixies, was nicht nur aber eben auch bei den Breeders deutlich hörbar wurde. Und auch jetzt wieder, wenn Deal ihr Solodebüt vorstellt, zeigt sich ihr unerschöpflicher Erfindergeist. Etwa im beschwingten „Coast“, welches sich vom frühen Ska beeinflusst um Deals Erfahrungen in Hochzeitstanzkapellen dreht. Sehr persönlich auch „Are You Mine?“, eine an die 50er Jahre erinnernde Schnulze, in der sie die Demenzerkrankung ihrer Mutter thematisiert. Wunderschön auch der verträumte Midtempo-Schleicher „Wish I Was“ oder das spürbar entspannte „Summerland“, in dem sie auf nostalgisch-schwelgerische Weise von ihren Winterferien in den Florida Keys berichtet. Gäste auf „Nobody Loves You More“ sind u.a. Schwester Kelley Deal, sowie alte Weggefährten von Bands wie den Breeders, Teenage Fanclub, Raconteurs oder Savages. Der Schlusstrack „A Good Time Pushed“ entstand noch unter der Aufsicht des kürzlich viel zu früh verstorbenen Steve Albini (Nirvana, PJ Harvey u.a.).

3. Nick Cave & The Bad Seeds – Wild God

„Ich hoffe, das Album hat auf die Hörer die gleiche Wirkung wie auf mich“, gab Nick Cave bei Erscheinen von „Wild God“ damals zu Protokoll. Und, dass es ihn mitreißt, wenn er sich die Platte anhört. Unterschreibe ich sofort, denn ja „Wild God“ packt einen vom ersten Takt an und: es euphorisiert geradezu. „Es scheint, als wären wir glücklich“ fügte Cave noch hinzu. Er, der seine beiden Söhne zu Grabe trug und (nicht erst, aber dann verstärkt) seither auf der Suche nach Gott, Erlösung und Sinnhaftigkeit ist. Glaubt man Wilhelm Gottfried Leibniz hat Gott einst die beste aller möglichen Welten geschaffen. Da gehört Schmerz nunmal unweigerlich dazu. Zusammen mit seinen Bad Seeds bewegt sich Nick Cave zwischen wohl nötigen Konventionen und – zugegebenermaßen – nicht allzu waghalsigen Experimenten. Nimmt Umwege in Kauf, erzählt wie gehabt in üppigen, faszinierenden Bildern und lässt seinen Emotionen freien Lauf. Vor sechs Jahren habe ich Nick Cave & The Bad Seeds im toskanischen Lucca auf dem Piazza Napoleone live erlebt, es ist bis heute das wahrscheinlich wichtigste Konzert, das ich jemals gesehen habe. Ok, ganz schlecht war das im Oktober in der Olympiahalle nun auch nicht… egal: I can feel your heartbeat Mr. Cave! Beeindruckend!

2. Fountains D.C. – Romance

Beginnen wir chronologisch mit dem an Nummer eins gesetzten Titelsong zu „Romance“. Ein getragener, dystopisch anmutender Track, zwischen Verletzlichkeit und Verlustangst: „Into the darkness again. In with the pigs in the pen. God knows I love you. Screws in my head. I will be beside you. ’Til you’re dead.“ Kein Wunder also, dass mit „Starburster“ ein extrem intensiver Song folgen muss, der in diesem Fall von einer Panikattacke inspiriert wurde, die Leadsänger Grian Chatten im Londoner Bahnhof St. Pancras erlitt. Hilft nur tiefes Einatmen, was man hier akustisch eindrucksvoll festhielt. Es folgt, logisch: Ausatmen und zwar bei „Heres The Thing“, was ebenfalls deutlich hörbar gemacht wurde. Bombenstark der ebenso hymnische wie hypnotische Schleicher „Desire“. Ganz großes Post-Punk-No-Wave-Kino dann auch „In The Modern World“ gefolgt vom eher akustischen Folk-Punk-Rocker „Bug“. Besonders mag ich auch den Shoegaze von „Sundowner“. Ganz allgemein: Tolle Platte! Wahrscheinlich die beste der Fontaines D.C.

1. Father John Misty – Mahashmashana

Im Prinzip fängt Father John Misty exakt da an, wo er am 3. März 2023 in der Berliner Columbiahalle aufgehört hat: Orchestraler Breitband-Pop, episch in der instrumentalen Darbietung, dennoch aber lässig in der gesanglichen Darbietung des brillanten Zeremonienmeisters. Aber langsam: „Chloë And The Next 20th Century“ aus dem April 2022 war ein ebenso opulentes wie vielseitiges Meisterwerk, welches Josh Tillman nicht in München aufzuführen gedachte, woraufhin wir uns bemüßigt sahen nach Berlin zu pilgern. Es hat sich gelohnt, es war genial. Jetzt aber „Mahashmashana“, was aus dem Sanskrit kommt und „großer Feuerbestattungsplatz“ bedeutet. Der gleichnamige Opener, ein sage und schreibe 9.20 Minuten dauernden Auftaktkoloss, kommt einer Ekpyrosis gleich. Der „Weltuntergang“ (dem ein Neuanfang folgen kann) ist üppig ausstaffiert mit allem was ein gefühlt 100-köpfiges Orchester so zu bieten hat. Manchmal geht das freilich auch über die Pathos-Schmerzgrenze hinaus, wenn Streicher und Bläser (allen voran des Saxophon) eskalieren, wahlweise auch explodieren. Es folgt mit „She Cleans Up“, ein schnoddrig hingerotzter, von akzentuierten Jangle-Gitarrenriffs dominierter Midtempo-Rocker. Beim psychedelisch anmutigen „Josh Tillman And The Accidential Dose“ traut man sich endlich wieder atmen und ist geradezu hingerissen ob der Schönheit, dieses großen Songs. Es folgt das nostalgisch swingende, mit sanften Streichern und Holzbläsern unterlegte „Mental Health“, das so auch im Ballroom-Duktus von „Chloë…“ seine Berechtigung gehabt hätte. Das immer wieder zum bombastischen Noise-Stampfer anschwellende „Screamland“ trägt seinen Namen zu recht und die versöhnlich Pianoballade „Summer’s Gone“ hat das Zeug zum Klassiker und steht ab sofort in einer Reihe der großen Crooner-Songs irgendwo zwischen „Summertime“ von George Gershwin und Bert Kaempferts „Strangers In The Night“.