Die Stadt München hat drastische Kürzungen im kulturellen Sektor angekündigt. Eine Einordnung und ein Aufruf:
Zu Beginn ein klein wenig Dystopie: Stellen wir uns vor, in der Früh um 7 Uhr klingelt ihr Radiowecker, Bayern 2 schaltet sich an. Sie wischen sich gerade noch so den Schlaf aus den Augen, da hören Sie die sonore Stimme Knut Cordsens. Doch anstatt der gewohnt erlesenen morgendlichen Musikauswahl moderiert er plötzlich Nico Santos, Pietro Lombardi oder anderen seelenlosen RTL-Castingshow-Pop an. Ungläubig lassen sie das Lied vorüberplänkeln und schieben den Ausrutscher in der Programmgestaltung auf die eigene vom Restschlaf noch beeinträchtigte Wahrnehmung, da ist der Song vorbei und sie hören den Moderator sagen: „Das waren Santos & Lombardi mit ihrem neuen Stimmungshit „Senorita te quiero, Bussi Bussi 4 ever“, heute Abend beginnen die Beiden ihre Residency in den Münchner Kammerspielen, wo sie alle zwei Abende -alternierend mit den erfolgreichen Monstertruckshows- der Stadtgesellschaft den gesamten nächsten Monat ihr neues Album vorstellen werden…“
„München ist Kultur“ – Offener Brief an den Stadtrat. In einem offenen Brief wenden sich Kulturschaffende an den Stadtrat
Fakten über die Einsparungen
Ok, lassen wir das. Was den Kulturbeflissenen, also Ihnen liebe Leser*innen, hier als kleines Alltagshorrorszenario zugemutet wurde, ist nur eine mögliche übertriebene Version der Zukunft, die sich auftut, wenn Theater, Rundfunkanstalten etc. immer mehr in den Mainstream gedrängt werden, weil der Kulturetat der Stadt immer weiter gekürzt wird, wie aktuell angekündigt. Die Stadt München will nächstes Jahr 200 Millionen Euro einsparen, 17 Millionen davon im Kulturreferat. Dabei handelt es sich um 8,5 Prozent der gesamten Summe, obwohl der Kulturanteil bei den städtischen Gesamtausgaben nur drei Prozent beträgt. Eine unverhältnismäßig hohe Einsparung, die darin begründet liegt, dass Kunst und Kultur als „komplett freiwillige Aufgabe gesehen wird“, während in anderen Referaten Beträge für gesetzlich festgeschriebene Ausgaben aus der Etatkalkulation genommen werden, so der Kulturreferent Anton Biebl im Interview mit dem BR.
Der Aufschrei ist groß
Der Aufschrei ist logischerweise groß: Christian Stückl, Intendant vom Volkstheater, Ute Gröbel, künstlerische Leiter der freien Spielstätte HochX artikulieren ihre Bedenken im selben Gespräch mit dem BR. Barbara Mundl, Intendantin der Kammerspiele, die aktuell ein Minus von 6,2 Millionen Euro zu erwarten haben, im Interview mit der Süddeutschen: Das wäre „unser gesamter künstlerischer Etat und zusätzlich mindestens 40 Arbeitsplätze“. Auch die Stadtbibliotheken, das Lenbachhaus, die Münchner Philharmoniker und viele weitere Institutionen des Münchner Kulturlebens mehr bangen dem was da kommen möge.
Petition
Gerade kurz nach der Corona-Pandemie die Bühnen, Museen und Co. darben ließ, in Zeiten großer Kriege und des weltweiten Rechtsrucks sind Kürzungen dieser Art auch Wasser auf den Mühlen und Bestätigung von Thesen populistischer, antidemokratischer Parteien, wie der AfD.
Gute Kunst zeigt nicht zuletzt neue Perspektiven auf, fördert Denkprozesse, stößt Diskurse an und bringt Menschen unterschiedlichster Hintergründe in verwirrenden Zeiten zusammen. Ein Verdienst der schwer zu beziffern, aber gerade heute unverzichtbar ist. Betrachten Sie unser monatlich erscheinendes Heft und alles, was auf dieser Webseite steht als Manifest für Kunst und Kultur. Wir stehen in voller Solidarität mit denen, die sie erschaffen.
Wer sich selbst gegen die Kürzungen stark machen will, unterschreibt am besten diese Petition.