München schmückt sich ja gern mit dem Titel “nördlichste Stadt Italiens”. Kein Wunder also, dass das Musikgenre “Italo Disco” hier auf fruchtbaren Boden fiel und heute noch fällt.
Der Dokumentarfilm “Italo Disco” von Alessandro Melazzini lief kürzlich auf Arte und sorgte in der Szene für einigen Gesprächsstoff. Der Film schildert die Entstehung und Entwicklung eines facettenreichen Musikgenres, das ab 1978 für etwa zehn Jahre Millionen junger Menschen mit eingängigen synthetischen Klängen, teils bizarren englischen Texten und amüsanten Videoclips begeisterte. Italo Disco war der Glitzersound der 1980er-Jahre und München war alles andere als unschuldig, dass diese Musik so großen Erfolg hatte und in aufgefrischter Form immer noch hat.
Zwei wichtige Münchner Protagonisten kommen in dem Dokumentarfilm zu Wort: DJ Hell und Mathias Modica. Während Hell alias Helmut Geier in seiner Erinnerung vor allem von den italienischen Mega-Discotheken wie dem Baia degli Angeli bei Rimini und der wachsenden Bedeutung von DJs (“Italien war damals führend, was die DJ-Kultur betrifft”) beeindruckt war, hebt Modica das Visionäre des Italo-Disco-Sounds hervor: “Wenn man Musik wie diese alten Italo-Disco-Platten hört und dann hört man Daft Punk, dann ist es doch erstaunlich, wie ähnlich und wie verwandt diese Musik ist.”
Und trotzdem war auch viel Kommerz und Plastikpop bei den Produktionen vom Mittelmeer dabei, nicht alles war qualitativ hochwertig. Das sieht auch Modica so: “Deswegen muss ich von meiner Seite schon sagen, dass Italo Disco zum Teil für den unglaublichsten Trash steht und zum Teil für die totale Genialität”, erklärt er im Film. Die genialen Parts waren für ihn auch Vorbild für einige eigene Produktionen unter dem Künstlernamen Munk auf seinem ersten Label Gomma wie z.B. “La musica” oder “Il gatto”. Und auch bei seiner aktuellen Plattenfirma Toy Tonics hört man Italo-Disco-Reminiszenzen bei einigen Releases heraus.
Ein weiteres Münchner Label, das gern Musik in der Tradition von Italo Disco und Cosmic Music – ebenfalls ein italienisches Phänomen, das in den 90ern über die Alpen nach Bayern rüberschwappte – veröffentlicht, ist Permanent Vacation von Benjamin Fröhlich und Tom Bioly. Darüber hinaus hat auch DJ Hell auf seinem Gigolo-Label immer wieder mal Italo-Retro-Sound ins Rampenlicht gerückt und selber einen coolen Italo-Megamix zusammengeschraubt. Man sieht also, in München gibt’s schon ein paar Fans dieses speziellen Genres.
Ein Grund dafür ist sicherlich auch, dass der sogenannte “Sound of Munich” in den 70ern der Italo-Disco-Musik gewissermaßen den roten Teppich ausgerollt hat. Wichtigster Protagonist dieser Münchner Spezialität war der Südtiroler Giorgio Moroder, der mit seinen Musicland-Studios im Untergeschoss des Arabella-Hochhauses jahrelang die internationale Musikprominenz anlockte. Allein die Band Queen nahm in München-Bogenhausen fünf Alben auf. Für den speziellen Munich-Sound standen aber vor allem Moroders Produktionen mit Donna Summer wie “Love to love you baby” (1975), “I feel love” (1976) und “Hot stuff” (1978), die eindeutig auf den Dancefloor abzielten.
Dieser energetische Disco-Stil hat DJ Hell schon damals geprägt. Im Film erklärte er dazu: “Der Sound of Munich war eine Revolution, ein Vorgriff für fünf bis zehn Jahre in die Zukunft. Vor allem I feel love war ein Startschuss für eine neue musikalische Weltrevolution.” Diese Revolution erreichte kurz darauf auch Italien. Songs wie “Magic fly” von Space, “One for you, one for me” von La Bionda oder auch “The chase” von Giorgio Moroder boten bereits Ende der 1970er-Jahre einen Vorgeschmack auf die heranrollende Italo-Disco-Welle. Spätere Hits wie “Self Control” von Raf, “Vamos a la playa” von Righeira und “Dolce Vita” von Ryan Paris etablierten das Genre in den 80ern in ganz Europa und beeinflussten sogar die Entstehung von Housemusik in Chicago.
Italo Disco – den Namen prägte übrigens der Deutsche Bernhard Mikulski vom Label ZYX Music mit einer gleichnamigen Compilation – ist ein spannendes popkulturelles Phänomen, das bis heute kaum an Strahlkraft eingebüßt hat. Wer die Dokumentation noch nicht gesehen hat, findet sie in der Arte-Mediathek. Und im Anschluss kann man nahtlos weitermachen mit “Techno House Deutschland”, einer achtteiligen empfehlenswerten Reihe, die in der ARD-Mediathek (Link) abrufbar ist.
Autor: Alex Wulkow