Lesen! Unsere Buchempfehlungen im März

Neue Bücher von Clemens Meyer, Wolf Haas, Bela B Felsenheimer und David Finck

Clemens Meyer – Die Projektoren (S. Fischer)

Eins vorweg: Für dieses Buch braucht man Zeit. Und eine gewisse Affinität zum Werk des deutschen Fabulierers Karl May kann auch nicht schaden. Wer dies mitbringt, wird überwiegend reich belohnt in diesem über 1000 Seiten starken Roman, der mit dem Bayerischen Buchpreis prämiert wurde. Meyer unternimmt einen bildgewaltigen Ritt von Titos Partisanenkrieg gegen die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg über die post-jugoslawischen Bürgerkriege und den NATO-Einsatz in den 1990er Jahren bis zu den nordsyrischen Konflikten im 21. Jahrhundert.

Er schreibt von Suchenden und Vermissten: dem „Cowboy“ genannten Ex-Partisanen, der als Statist in den Karl-May-Verfilmun- gen auftrat und dort Lex Barker und Pierre Brice kennenlernte, oder dem jungen deutschen Neonazi Georg, der dem Söldnerruf nach Serbien folgte. Die Handlungsstränge mäandern wie Bachläufe durch das Velebitgebirge, wechseln von einer Heilanstalt in Leipzig, in der auch schon Dr. May behandelt wurde, in ein Natives-Reservat nach Amerika, schlängeln sich durch blutgetränkte Schützengräben und rasten an Krankenbetten und Lagerfeuern. Meyer springt zwischen Zeit und Ort, verirrt sich manchmal in fast seitenlangen Sätzen, um dann klar und – ja, brutal – vor allem in den Schilderungen der zahlreichen Kriegshandlungen, prägnante Akzente zu setzen.

So sehr die Verknüpfung von Realität und Fiktion zu faszinieren vermag, hinterlässt das Buch, auch aufgrund diverser Wieder- holungen, zum Teil den Beigeschmack eines überbordenden Werkes, das (zu) viel erzählen möchte und dabei öfter den Faden verliert. Aber: Manche Bilder wird man nicht mehr los – die (Film-)Projektoren haben sie einem eingebrannt.
Rainer Germann

Bela B Felsenheimer – Fun (Heyne)

Der 62-jährige Ärzte-Drummer Bela B Fel- senheimer blickt mit seinem zweiten Roman „Fun“ in den Maschinenraum der toxischen Deutsch- rocker nbl/nbl aka Nabel Nabel. Dabei ist – Zwinkerzwinker – alles erfunden und noch viel mehr daran wahr. Im Spiegel-Interview betont er, inhaltliche Überschneidungen mit Rammstein seien allenfalls zufällig. Das fiktive Protokoll des einwöchigen Tour-Trips mit drei Gigs in der Sasenheimer Provinz erinnert an die realen Vorfälle um Till Lindemann: Der Securitychef Bassey castet laszive Lolitas für Aftershowpartys, beim Speeddating mit der Band sind Drinks und Drugs inklusive. Nach dem Köln-Gig wird die 18-jährige Ljilja vom Schlagzeuger Krass und Bassisten Hüsker gegen ihren Willen gleichzeitig penetriert – Krass informiert sich per ChatGPT, ob Frauen dabei Schmerz empfinden. Auf 368 Seiten schildert Bela B das Machtmissbrauchssystem von Sex, Drugs und Rock’n’Roll bis zur Schmerzgrenze. On top gibt es alltägliche, misogyne Machtspiele: Der Apotheker Guido will der Azubine Irissa an die Wäsche, während seine Tochter Maila den nbl/nbl-Sänger Maler Meister anhimmelt. Polizistinnen mutieren zu Groupies, Tourmanager, Juristen und Journalisten waschen ihre Hände in Unschuld. Alle Männer sind Schweine, es wimmelt an Zufällen und Zusammenhängen, bis alles in einer surrealen Mittelalter-Posse im Wald endet. Ein Buch voller Schmerz, Schmutz und Scham – perfide patriarchale Strukturen bleiben vage, ohne hinterfragt zu werden. The Show Must Go On. Wolfgang Scheidt

Bela B liest am 31. März im Theatersaal des Deutschen Theaters.

Wolf Haas – Wackelkontakt (Hanser)

Du erlebst mehr, wenn Du liest! Im neuen Roman des Wiener Kultautors Wolf Haas wartet Trauerredner Franz Escher auf den Elektriker und liest ein Buch. Darin wartet Ex-Mafioso Elio Russo im Gefängnis auf seine Entlassung und liest ein Buch, darin wiederum Escher auf den Elektriker wartet, der einen Wackelkontakt beheben soll… Immer schneller bewegen sich die beiden Stories aufeinander zu, wie man es von den verblüffenden Zeichnungen M.C. Eschers kennt, der für Haas‘ Geniestreich Pate gestanden hat. Der Roman-Escher, nicht zufällig Namensvetter des Täuschungskünstlers, hat sich auch einmal als Schriftsteller versucht. Sein Buch „Eine traurige Angelegenheit“ ist eine geheime Liebeserklärung an Kollegin Nellie Wieselburger, aber beides floppt. Die Hübsche führt ein ‚Doppelleben‘ als Kunsthistorikerin mit Dissprojekt. Trifft sich, dass Escher die halbe Kunstgeschichte in seiner Puzzlesammlung hat. Caravaggios „Geburt Christi“ etwa, die in Palermo gestohlen und zerschnitten wurde, was im Roman noch eine Rolle spielt. „Wackelkontakt“, seit Januar Bestseller Platz 1, hat alles, was ein echter Haas braucht: übermütige Erzählexperimente, einen haarsträubend komischen Plot mit furiosem Finale, höchst lebendige Figuren und als Zugabe eine der schönsten Love & Peace-Botschaften. Wie der Meister das wieder gemacht hat? Elio Russo alias „der Elektriker“ würde sagen: „Trick 17“ oder „mit dem Einserschmäh“.
Eveline Petraschka

David Finck – Der Schwindel (Piper)

Ein Leseabenteuer, das buchstäblich über tödlichen Abgründen hinweg turnt: Anstatt endlich mal zur Ruhe zu kommen, ist Ras- mus mal wieder auf der Hut. Wem erzählt er gerade noch so viel von sich, dass keine weiteren Nachfragen aufkommen? Gerade erst hat sich der Deutsche im hintersten Eck Frankreichs ein neues Versteck gesucht, in einem sturmumtosten Häuschen hoch oben auf einer bretonischen Klippe. Trotzdem: Der Blick bleibt unruhig, alle Fluchtoptionen werden durchgespielt. David Finck erzählt von einem Mann, der das Verschwinden, das Tricksen, das Manipulieren seiner Mitmen- schen perfektioniert hat. Es ist seine Überlebensnotwendigkeit. Erst nach und nach erfährt man mehr: Schon als Jugendlicher war Rasmus, der eigentlich aus Düsseldorf stammt, einfach abge- hauen. Am Meer lernt er eine bezaubernd eigenwillige junge Frau kennen, verliebt sich – und bringt sich und sie in höchste Gefahr. Wieder ist es ein Felsabsturz. Und eine Handbremse, die nicht richtig greift, so dass ein eleganter kleiner Sportwagen plötzlich zu rollen und zu stürzen beginnt. Eine Tragödie, die ein Leben abwürgt und ein weiteres überschattet. Finck erzählt in gestaffelten Schüben, die Perspektiven brechen sich und verursachen Unsicherheit. Kann man einem Schwindler überhaupt trauen? Selten war die alte Frage, was wirklich passiert ist und was noch pas- siert, so spannend wie hier.
Rupert Sommer