Lesen! Unsere Buchempfehlungen im Februar

Neue Bücher von Johanne Lykke Holm, Jakob Hein, Anika Decker und Daniel Kehlmann

Johanne Lykke Holm – Rote Sonne (Aki)

»Es ist immer ein Omen, wenn etwas Vergessenes an einem unerwarteten Ort auftaucht«. In Johanne Lykke Holms neuem Roman »Rote Sonne« lauert das Unheimliche und Märchenhafte überall. Die Geschichte entzieht sich damit jeglicher Einordnung und den Lesenden alle Gewissheiten. Anspielungsreich und in sinnlicher und bildgewaltiger Sprache, die Hanna Granz kongenial vom Schwedischen ins Deutsche übersetzt hat, wird eine Liebesgeschichte erzählt, eine Ode an die Freundschaft, ein Schauermärchen und ein Weltuntergangsszenario à la Lars von Triers »Melancholia«. India und Kallas verlassen im brütend heißen Spätsommer ihre Wohnung, um das Wochenende im Strandhaus von Kallas Kindheitsfreundin Desma zu verbringen. Für Kallas ist es die Rückkehr in eine vertraute Umgebung. India begleitet ihn zum ersten Mal, auch wenn es sich anfühlt, als wäre es »etwas Umwälzendes, das sie beide mit einem Schlag aus ihrer gewohnten Umlaufbahn katapultiert«. Bereits auf der Zugfahrt beobachtet sie drei kleine Jungen, die am darauffolgenden Tag am Strand auftauchen und schließlich den Weg zu den Freunden ins Haus finden. Schleichend legt sich eine unheimliche Stimmung über die scheinbare Urlaubsidylle. Als sich in unmittelbarer Nähe Waldbrände ausweiten, füh- len sich India und Kallas für die offensichtlich verwaisten Kinder verantwortlich und nehmen sie mit zurück in die Stadt – eine Entscheidung, die sie herausfordert und verändert. Wer sind diese Kinder, und welche Abgründe eröffnen sie? »Rote Sonne« ist ein atmosphärisch dichtes, beinahe hypnotisches Werk über Elternschaft, Verantwortung und Erziehung, die blinden Flecken in jeder Biografie, das Unvorhersehbare und die Monster in uns allen. Johanne Lykke Holm erschafft eine faszinierende, beklemmende Welt, der man sich kaum entziehen kann. Alke Müller-Wendlandt

Jakob Hein – Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinah den Weltfrieden auslöste (Galiani)

Held der Arbeit! 1981. Grischa ist erfolgreicher Absolvent der Hochschule für Ökonomie Bernd Leuscher. Jetzt soll er die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Demokratischen Republik Afghanistan beflügeln. Die Afghanen wollen Bücher, Maschinen, Fahrzeuge, Dünger … haben im Gegenzug aber nur Schlafmohn und Cannabis zu bieten. Grischa hat da eine Idee, die sogar den Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission, Genossen Schürer überzeugt. Grischa, sein Chef, eine attraktive Biologin aus der Abtei- lung Wissenschaftliche Entwicklung und Forschung und eine verkniffene Genossin Oberleutnant aus dem MfS reisen in geheimer Mission nach Kabul. Zurück geht’s mit ein paar Kilo „Medizinalhanf“. Den man fortan, als West-Berliner, gegen D-Mark, am Grenzübergang Invalidenstraße ganz legal erwerben kann. Das Geschäft blüht, die Devisen fließen. Und das Rätsel um den 1983 von Bayerns Ministerpräsident Franz-Josef Strauß eingefädelten Milliardenkredit für den darbenden Osten findet eine schlüssige, herrlich bekiffte Erklärung. Geradezu „fundiert recherchiert“. Eine unterhaltsame Farce aus Jakob Heins Schreibwerkstatt, der mit „Hypochonder leben länger und andere gute Nachrichten aus meiner psychiatrischen Praxis“ schon einmal einen Bestseller landete. (erscheint am 13. Februar) Hermann Barth

Anika Decker – Zwei vernünftige Erwachsene, die sich mal nackt gesehen haben (dtv)

Mit den Drehbüchern für „Keinohrhasen“ und „Zweiohrküken“ brachte Anika Decker Deutschland zum Lachen und Til Schweiger mit einem Rechtsstreit um eine höhere Beteiligung an den Filmerfolgen zur Weißglut. Mit „Zwei vernünftige Erwachsene, die sich mal nackt gesehen haben“ legt die 49-Jährige ihren zweiten Roman vor. Nina, bald 50 Jahre, lebt in einer Anderthalbzimmerwohnung. Ihr Ex-Mann Phil betrog sie mit der juvenilen Influencerin Lulu, mit der er Zwillingstöchter hat. Auf dem Kindergeburtstag der Zwillinge in der Villa im Grunewald lernt Nina den um zwanzig Jahre jüngeren David kennen, sie schläft mit ihm und verliebt sich. Das Liebesdings lässt Ninas fragiles Liebes- und Lebensmodell wie ein Kartenhaus einstürzen. Es kommt zum Rosenkrieg: Ninas Kinder Marie und Ben zweifeln an der Liebe zwischen reifer Mutter und Jungspund David. Oma Karin kämpft nach einer Lungenentzündung ums Leben, Ninas Schwester Lena verlässt ihren Ehemann Flori, der in eine Me-Too-Affäre verstrickt ist. Nebenbei riskieren Nina und ihre beste Freundin Zeynep ihren Job für Schauspielerinnen, die Opfer sexuellen Missbrauchs wurden. Deckers famoser Familienroman erzählt mit Charme, Chuzpe und Happy End auf 464 Seiten vom einsamen Dasein einer geschiedenen Frau in der Menopause, von vernünftigen Kindern versus unvernünftige Eltern und fragt: Was ist das Leben wert, wenn es sich nicht mehr lebendig anfühlt? Prädikat: filmreif. Wolfgang Scheidt

Daniel Kehlmann – Beerholms Vorstellung (Zsolnay)

Tricksen, falsche Fährten auslegen, rätselhaft bleiben und immer schön lächeln dabei: Es ist das Aushalten-Müssen von Widersprüchen, dass dieses Spiel so begehrenswert macht. Wer eine Zaubershow besucht, weiß natürlich, dass dort nicht wirklich Assistentinnen zersägt werden können oder dass kein Kaninchen in einem komplett unsichtbaren Luftloch wartet, nur um sich plötzlich zu zeigen. Und doch hat es seinen masochistischen Reiz, sich hereinlegen zu lassen. Arthur Beerholm ist ein Meister darin, Mitmenschen zu manipulieren. Schon als Internatsschüler kommt er über seine Zahlen-Fixierung zum Kartenspiel, über die Geometrie von Blaise Pasqual zum Theologiestudium und von dort – keine echte Überraschung, oder doch? – zur Zauberkunst. Es folgt ein steiler Aufstieg, große Erfolge – und ein geheimnisvoller Abgang. Daniel Kehlmann, 1975 in München geboren und seit kurzem 50 Jahre alt, hält die Zeit für gekommen, ein wenig Rückschau zu halten. Zum neu aufgelegten Erstlingsroman hat er ein magisch funkelndes Nachwort verfasst, in dem er die eigenen Verführungs- kräfte freilegt. „Wer sich selbst zu täuschen vermag, der kann auch andere täuschen“, schreibt er da. „Und manchmal kann er auch, ohne selbst zu begreifen, dass er es tut, einen Roman schreiben.“ Gut geworden. Klar. Rupert Sommer