Ins Herz getroffen: Der deutsche Chansonnier Tristan Brusch beeindruckt solo im schönen Silbersaal
Und da ist er schon gleich, der griechische Wein, gleich beim ersten Stück „Akropolis“ taucht er natürlich auf, in bester Schlagertradition, aber nur, wenn man Chansons mit Schlager verwechselt. Seit seinem Album „Am Rest“ von 2021 gehört der mittlerweile 34jährige Tristan Brusch zu den spannendsten Vertretern eines Genres, das in Frankreich wohl „Nouvelle Chanson“ genannt wird und so illustre Stars wie zum Beispiel Benjamin Biolay hervorgebracht hat. Gerade auf den älteren Alben des Franzosen hört man wie beim deutschen Kollegen eine Vorliebe für Cohen über Gainsbourg und Brel bis Scott Walker heraus – dass Brusch oft in einem Atemzug mit Rio Reiser und Sven Regener genannt wird, ist nicht nur der Provenienz geschuldet.
Letzten Herbst war er bereits mit seinem aktuellen Album „Am Wahn“ hier im barocken Silbersaal des Deutschen Theaters zu Gast, nun eine Zugabe, ganz ohne Band, an Gitarre und Klavier. Als charmanter, und nach eigener Aussage „gefühlsbetonter“, Support, die Sängerin Mina Richmann; kurze Pause, in der kommt der schwer vermummte Sänger aus der Kälte und zehn Minuten später im lockeren grauen Anzug auf die Bühne. Wer „Bäume sehen“ auf „Chemo spüren“ reimen kann, um dann den Coming Of Age-Topos des nächtlichen Schwimmens in einem Pop-Refrain namens „Baggersee“ zu destillieren, kann kein Schlechter sein – und spätestens beim darauffolgenden „Mirage“ ist sie dann auch da, die Verbindung zu Biolay, ein kurzer Ausflug in eine frankophile (Pop-)Leichtigkeit. Es folgen das sehnsüchtige „So weit weg“ und ein früher Höhepunkt mit „Seifenblasen platzen nie“. Cohens Susanne wartet zwar immer noch unten am Fluss, aber „getanzt, gefickt und gebetet, gestritten, dann gelacht“ wurde in einem Jahr Pandemie, und das ist noch nicht so lange her.
„Am Herz vorbei“ trifft mitten in dasselbe, ein abgründiges Chanson noir über einen Eifersuchtsmord, das lose auf „You Missed My Heart“ von Mark Kozelek basiert, oh ja. Die Erkundung der dunklen Seiten der Liebe ist Konzept auf „Am Wahn“, das ganze Album ist einer schwierigen Trennung geschuldet, in „Wahnsinn mich zu lieben“ liefert der Sänger die Erklärung: die Partnerin soll zugleich Engel, Hure und Vertraute sein, immer wissen, was man will, alle Wünsche erfüllen, denn „möchtest du mich lieben, musst du nur den Verstand verlieren“ – ok, dass hält niemand länger aus. Wechsel ans Klavier, das eher streng-morbide „Ein Wort“ und danach „Wieder eine Nacht“, ein großes deutschsprachiges, sagen wir mal, Kunstlied, das man gerne von Hildegard Knef oder gar der Dietrich gehört hätte. „2006“ klingt fast wie Bosse, obwohl, „du warst noch lange, lange, lange … noch nicht tot“.
Nach „Zuckerwatte“ und „Fisch“ im Medley nimmt das Set mit den bisschen nach kriminellen Elementen klingenden Gassenhauern (sic!) „Oh, Lord“ und „Monster“ nochmal Fahrt auf; ein schaurig-schönes „Am Rest“, das vor allem auch live nicht nur aufgrund der rasenden Picking-Gitarre immer an Leonard Cohens „Avalanche“ erinnert, beschließt den Hauptteil dieses intimen Konzerts. Eine kleine Zugabe darf es noch sein: das berührende „Für Theo“ ist dem gleichnamigen Sechsjährigen gewidmet, dem es „egal ist“, so Brusch, bevor er mit seiner eigenen Kindheits- und Jugenderinnerung „Das Leben ist so schön“ ein versöhnliches, tröstliches Ende findet in diesem zur Zeit wohl schönsten Saal dieser Stadt, der zudem auch noch fantastisch klingt.
Ein eindrucksvolles, trotzdem fast lässiges Solokonzert, die formidablen Songs bestechen auch in ihren minimalistischen Versionen. Bitte hoffentlich demnächst dann wieder mit Band, denn die Arrangements auf den Platten sind einfach hörenswert. Und: Ein paar tolle Songs wie „Ein guter Mensch“ und „Marie“ von dem neuem Album mit der Bühnenmusik von „Woyzeck“ hätte man auch gern gehört. Wie gesagt, das nächste Mal.