Sie sind die Guten: Coldplay feiern mit einer quietschbunten Show im Olympiastadion eine Kindergeburtstagsparty zur Weltrettung
Radlfahren und Hüpfen auf speziellen Matten vor dem Stadion soll man, damit die kleinste der drei Bühnen bei der nächsten Show mit der gewonnenen Energie versorgt werden kann; die berühmten Armbänder, die ans Publikum beim Einlass ausgegeben werden und die einen nicht unerheblichen Teil der optisch wie auch akustisch beeindruckenden Show ausmachen, möchten bitte beim Verlassen des Stadiums zur Wiederverwertung wieder abgegebenen werden – wer gedacht hat, dass ein Coldplay-Konzert im Jahre 2024 nicht wenigstens zum Teil ökologisch nachhaltigen Kriterien folgt, wird spätestens nach einer Ansage von Chris Martin (vom Band) vor der Show eines Besseren belehrt.
Das Publikum würde mit seinen Eintrittsgeldern auch alle möglichen Klima- und Naturschutz-Projekte unterstützen, diverse Videos zum Thema werden praktisch zwischen den Supports Wilhelmine und Maggie Rodgers als weiteres Vorprogramm über die kreisförmigen Screens in Dauerschleife gejagt. Klar, Shows in dieser Größenordnung verbrauchen normalerweise Energie wie ne Kleinstadt am Wochenende, dutzende Trucks sind auf der Straße und natürlich sind die meisten der auswärtigen Gäste für die drei ausverkauften Konzerte im Münchner Olympiastadion nicht in einer dreiwöchigen Fahrradtour angereist wie ein Superfan, den Martin erwähnen wird, sondern aus zum Teil fernen Ländern mit dem Flugzeug.
Wäre Chris Martin nicht der netteste Popstar der Welt (aufmerksame Leser*innen werden bemerken, dass sich der Autor im „Sommer der Superlative“ immer mehr zu solchen hinreißen lässt), dann würde man der Band ein sogenanntes greenwashing unterstellen. Macht man aber nicht, denn es gibt wohl keine/n Band/Act, die/der sich mehr für Friede, Freude und Klima einsetzt und dies mit einer musikalischen HappyGoLucky-Attitüde seit Jahren durch die Stadien dieser Welt trägt.
Einst gestartet als relativ brave Britpopband gelang dem britischen Quartett eine beispiellose Karriere: Anfangs noch als die neuen U2 gefeiert, setzten Chris Martin, Jonny Buckland, Will Champion und Guy Berryman schon bald ganz eigene musikalische Maßstäbe, vermischten Radio-Mainstream- und Pathospop mit Weltmusik, HipHop und R&B, immer gekrönt von der markanten Stimme Chris Martins, der sich vom schüchternen Sänger am bunt bemalten Klavier zum Zeremonienmeister einer globalen Kindergeburtstagsparty zur Weltrettung gewandelt hat, die er nun seit bald zwei Jahren mit seinen Kollegen unter dem spirituell aufgeladenen Motto „Music Of The Spheres“ in größerer Runde feiert.
Dass weniger oft mehr ist, kann man hier nicht behaupten: Nach diversen Intros (u.a. John Williams’ „Flying Theme“ aus E.T.) werden bei „Higher Power“ gleich mal die Lampen, bzw. die Armbänder angedreht, joy is electric, das Stadion erstrahlt in den nächsten zwei Stunden bei jedem zweiten Stück im Glühwürmchen-Armee-Modus in allen erdenklichen Farben. Überhaupt ist das Konzert ein dermaßen quietschbunter Farbenrausch, dass man fast schon an LSD im Trinkwasser/Bier denken könnte, wäre man nicht bei Coldplay. Aber die Fans wollen auch spielen und schon werden bei „Paradise“ gleich mal riesige bunte Bälle ins Publikum geworfen, was für ein Spaß. Sympathische Ansage in Deutsch, der Chris ist vorbereitet und München mag er auch, Eisbach, Adele, schöne Stadt, tolle Menschen, alles gut und friedlich.
Bei „The Scientist“ wechselt der Screen-Modus kurz stimmig auf Schwarzweiß, Charmebolzen Chris Martin bedankt sich mit einer kurzen Einlage von „Someone Like You“ bei Adele, dass sie heute nicht spielt und ihnen das Feld überlässt, we love you, tosender Applaus, warum auch nicht. Erster Akt vorüber, Umzug auf die mittelgroße Bühne im vorderen Teil der Arena mit „Wohohohoho“, stop, das Stück heißt ja „Viva La Vida“; im Hintergrund das Riesenrad und der Olympiaturm, wie bestellt, oder zumindest hin projiziert. „Hymn For The Weekend“ ebenfalls auf der Center Stage, dann „Don’t Panic“ als Duett mit einer jungen Dame, die ein besonderes Plakat hochhält, aber nicht gern singt, Chris lacht und übernimmt. Danach verwandeln sich Coldplay plötzlich in eine ROCKband bei „God Put A Smile Upon Your Face“ mit Shalala-Call & Response und dem ganzen Gedöns. Bam!
Bei „Yellow“, dem frühen Hit, das ganze Stadion natürlich Gelb gepunktet, singt wieder alles mit, wunderbar. Nächster Akt: Das gefühlige „Human Heart“ als Duett mit einer Muppets-ähnlichen Puppe wird an Schräglage noch getoppt von der ganzen Band mit Alien-Masken (!) bei „Something Just Like This“ – hier muss man einfach britischen Humor oder eine Residents-Hommage (legendäre US-Avantgardeband, gern googeln!) unterstellen, alles andere wäre gemein. Gegen Ende des Sets der Aufruf bei „Sky Full Of Stars“ auf die Handys zu verzichten, nur „wir und ihr“, sagt Chris, und danach könnte ja wieder weitergefilmt werden, ist schließlich ein freies Land, Deutschland.
Beim letzten Akt auf der noch kleineren C-Stage (die mit dem geradelten und gehüpften Strom versorgt wird) wird es bei „Sparks“ auch mal richtig intim im Stadion, es folgen Danksagung (Publikum, Crew, Technik) und Bandvorstellung, dann das große Finale mit einem formidablen „Fix You“ inklusive Stargastauftritt von Shawn Mendes, dem funky „Good Feelings“ und der neuen Single „feelslikeimfallinginlove“. Die Armbänder blinken nochmal um die Wette, Konfetti, Feuerwerk, das Publikum geflasht von einer gigantischen Popshow, die vielleicht auf Dauer etwas zu quietschbunt war, aber dafür viel Spaß gemacht hat. HappyGoLucky. Die Welt ist schließlich schlecht genug.