Die holländische Postpunk-Noiserock-Band Tramhaus verwandelt das Milla in ein schwitziges Tollhaus
Bassistin Julia Vroegh sieht ihre Band als “a platonic love affair between the five of us.” Und die hat es in sich – nicht umsonst wird die Band aus Rotterdam bereits als next big thing auf einschlägigen Seiten wie The Quietus oder kulturnewsgehandelt und hat sich nur mit mehreren Singles bereits eine internationale Fanbase aufgebaut, die bis nach Japan und den USA reicht. Kein Wunder: Wenn man erlebt, mit welcher Energie das Quintett seinen Post-Punk/Noiserock ins Publikum schleudert, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus.
So auch im gut gefüllten Milla: Vom ersten Ton an hat Sänger Lukas Jansen die ersten Reihen im Griff, im Laufe des Konzerts verwandelt sich der Kellerclub bis zum Mischpult in einen Pogo-Mob. Jansen erinnert mit seinen Moves stark an einen gewissen Mick Jagger in seinen besten Jahren – der androgyne Typus des schmächtigen Wirbelwinds wird durch einen (auch bei Drummer Jim Luijten, Gitarrist Micha Zaat und im Publikum) schwer angesagten Schnauzer kontrastiert. Dass er das Shure SM57-Mikrofon nicht Roger Daltrey-mäßig durch die Luft kreisen lässt, ist mit Sicherheit nur den beengten Räumlichkeiten geschuldet.
Damit wird aber bald Schluss sein – es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn die Band nicht eine ähnliche Karriere wie die britischen Idles oder die irischen Fontaines D.C. hinlegen würde und schon bald mindestens eine Venue-Nummer größer aufspielt. Auf dem soliden Drum- und Bass-Gerüst von Vroegh und Luijten greifen einen Songs wie der Opener „The Cause“ vom gerade erschienenen Debütalbum „The First Exit“ und das hinterher geschobene „I Don’t Sweat“ (Debütsingle) direkt ohne Vorwarnung an. Oha, denkt sich nicht nur der Rezensent.
Auch Vroeghs Achtel-Bass bei „Once Again“ lässt Erinnerungen an beste Pixies-„Surfer Rosa“-Zeiten und somit auch Kim Deal wach werden. Jansens Sprechgesang und die einfache Gitarrenmelodie bereiten den eruptiven zweiten Teil des Songs in Doubletime vor – überhaupt ist bei den meisten Stücken Dynamik Trumpf heute Abend. Bei „Semiotics“ zaubert der Shatter-Gitarrenhall ein bisschen Tarantino-Stimmung; die schnelle Uptempo-Nummer „Marwan“ von der EP „Rotterdam“ ist bester New Yorker Streetpunk und erinnert gar an Bands wie The Dictators, das gilt auch für „Karen Is A Punk“, B-Seite der Debütsingle.
Und wenn man denkt, es geht nicht mehr, kommt irgendwo die zweite Luft daher: Nach „A Necessity“ und der formidablen Pixies-Reminiszenz „Beech“, die einen wirklich wegbläst, halten Tramhaus mit „Minus Twenty“ kurz inne, bevor es mit „The Big Blowout“, das gar auch ein bisschen an The Fall erinnert, und dem Stampfer „Ffleur Hari“ und seinem mantraartig wiederholten Shoutout-Chorus „Waste/Distraction/Violence/Drugs/Sedated/Silence/Love“ in die Schlussgerade geht. Wahnsinnsbrett. Ohrenbrause. Verschwitze, glückliche überwiegend junge (und auch ein paar ältere) Menschen – Begeisterung pur.