Spieli, spieli: Rainald Grebe präsentiert sein neues Programm „ Die Band“ mit der Kapelle der Versöhnung im Backstage
Die Truppe steht! Ein sichtlich aufgeregter, wild um sich fuchtelnder Rainald Grebe kann es gar nicht oft genug betonen. War ja auch viel los in den letzten Jahren, Schicksalsschläge, Schlaganfälle und dann verstirbt auch noch Drummer Martin Bauer.
Nun ist Grebe mit der Truppe wieder da, auf Tour, auch das wird fortlaufend thematisiert in Erinnerungen und Vorahnungen von Plastikkaffee, Sanifair-Nasszellen, Ibis-, Etap-und Hilton-Aufenthalten, letztere leider nicht für Tontechniker Franz, der zwischendurch sehr trocken oft seinen Senf von der Mischpultkanzel in der praktisch ausverkauften Backstage Halle in Sachen Bühnenanweisung (Mikroständer) und alten Zeiten dazu gibt. Wer als Kopfmensch-musiker mit über 50 in einer Adidas-Sporthose (lang) und weißem Anzughemd auf der Bühne steht, hat eigentlich alles richtig gemacht: Im Publikum warten die mit ihm gealterten Fans sehnsüchtig auf den Überhit „Brandenburg“, musikalisch ein bisschen Randy Newmans „Birmingham“ für Berliner Superironiker*innen – heute Abend kommt das Publikum zum Tourstart des neuen Programms „Die Band“ zumindest in den Genuss des ähnlich gewichteten „Prenzlauer Berg“, auch schön.
Wer vom Arzt den guten Rat bekommt nach einem Schlaganfall etwas kürzer zu treten, heißt nicht Rainald Grebe: der Mann wütet und tobt, muntert seine Musiker lautstark mit „Spieli, spieli“ auf, zerreißt erst kürzlich geschriebene Texte, schwadroniert zwischen Dada und Sparkasse und seziert mit blanker Klinge die deutsche Befindlichkeit, nicht nur in „Typisch Deutsch“. In der ersten Hälfte des Programms gibt es viel ganz Neues zu hören, aber auch Songs wie „Der Bass muss laufen“ (schneller, schneller!) und „Seit ich eine Bauernregel bin“ sorgen für Begeisterung für diese einzigartige Mischung aus Helge Schneider und Georg Kreisler.
Vieles wirkt trotz des höchst versierten Spiels der Kapelle der Versöhnung-Regulars Marcus Baumgart (git) und Serge Radke (bass), nebst dem dynamischen neuen Drummer Markus Lingner, sympathisch improvisiert, mit dem postapokalyptischen Kinderlied „Der Mensch ist weg“ (wird zumindest im teils hoch gequäkten Refrain gesungen) präsentiert Grebe einen vorläufigen Höhepunkt. Nach einer Pause geht er mit Haarteil ins „20. Jahrhundert“, singalong, eine kleine Showeinlage mit dem in der Reha geübten „Kondom über den Kopf ziehen/aufblasen“ misslingt (zum Glück), dafür driften alle in „Die 90er“, freuen sich über die Selbsterkenntnis des „alten Brauereipferds aus einer anderen Epoche“. Dass ein zugegeben schöner Song wie „Der Konsument“, geschrieben für eine Insolvenzfeier von „Galeria Kaufhof“, leider wenig neue Erkenntnisse außer der erwarteten Kapitalismuskritik suggeriert und etwas gestrig wirkt, dass sich Grebe AUSLEBEN muss, und zum Schluss den goldenen Oktober auf der A2 in dem weiteren Tourlied „Burn Out“ besingt, geschenkt.
Schön, dass er wieder da ist und jeden Menge zu sagen und zu singen hat. Bei zweiundeinhalb Stunden und Tourauftakt sind da zwangsläufig ein paar Durchhänger dabei, aber auch genügend Highlights. Ach, ja: „Brandenburg“ wurde zwar viel erwähnt, aber nicht gespielt. Cool.
Rainer Germann