Der erfolgreichste weibliche Popstar Italiens reißt in einer dreistündigen Show das Publikum von den Stühlen in der Olympiahalle.
Eine Show wie diese hat man lange nicht mehr gesehen in der leider nur gut zur Hälfte gefüllten und bestuhlten Halle – Laura Pausini erfüllt trotzdem höchst professionell und sympathisch alle Kriterien, die einen Megastar ausmachen, der sie in ihrem Land und in Südamerika ist und dort Stadien füllt. Eine neunköpfige Truppe aus Tänzer*innen, Backgroundsänger*innen und Musikern begleitet die 50-jährige Sängerin, die vom ersten Moment an das Publikum von den Stühlen reißt. Gigantische Projektionen bilden den visuellen Background für ihre Songs, Pausini selbst nutzt einen blitzförmigen Laufsteg, der vom Publikum schon bald umlagert wird, um direkten Kontakt herzustellen.
Was bei anderen, auch aufgrund der Security, sich auf ein gelegentliches Shake Hands reduziert, führt hier zu Umarmungen und Small Talk – natürlich darf auch ein Superfan mit auf die Bühne, zur längeren Interaktion mit dem Star. Pausinis Security ist auffallend zurückhaltend – auch die Ordner*innen in der Halle verweisen zwar dann und wann das Publikum wieder auf die Plätze, meist strömt dieses aber, Smartphone im Anschlag, beim nächsten Hit wieder gen Bühne, um die Nähe dieser Sympathieträgerin im Gewand eines Popstars zu suchen, die ihre Fans mit Video-Einspielungen an ihrem Leben teilhaben lässt.
Das ist in: Auch Adele hat mit Fotos aus Kindertagen ihren Fans das Gefühl vermittelt, the normal one zu sein: Schaut her, ein ganz normales Kind war ich, genau wie ihr – damals. Pausini lässt dazu in München die Tränchen, vor allem bei den weiblichen Fans, kullern: Jahre hätte sie versucht, ein Kind zu bekommen, 2013 hat es dann endlich geklappt: Ein Wunder wäre das gewesen, un miracolo. Dazu erscheint ein Homevideo der Familie Pausini mit Ehemann und Gitarrist Paolo Carta und der damals wohl zweijährigen Tochter Paola, dazu singt sie „Il nostro amore quotidiano“, unsere tägliche Liebe.
Ja, das geht ans Herz. Überhaupt trägt die Frau, die bereits mit Größen wie Pavarotti, Michael Bublé, Ray Charles, Kylie Minogue, Juanes und natürlich Gianna Nannini zusammengearbeitet hat, dieses auf der Zunge, beziehungsweise auf den Stimmbändern. Anders als bei Kollegin Helene Fischer – und es gibt (zum Glück nur ein paar) Lieder im Programm, die durchaus an den Schlagerpop der Deutsch-Russin erinnern –, springt einen Pausinis leicht angerauter Mezzo-Sopran direkt an – Italopop und Canzone in Reinkultur sozusagen, auch wenn’s oft knapp am Kitsch vorbeischrammt oder die Rockattitüde bei Nannini glaubwürdiger klingt.
Die großen Powerballaden sind Laura Pausinis Heimat, und an solchen mangelt es nicht an diesem Abend: „Durare“ und „A buon inizio“ vom neuen Album gleich mal als zweite und dritte Nummer, eins für die Ewigkeit, eins für einen neuen Anfang. Dann leider schon das erste Medley, von denen noch zwei weitere folgen sollen und verstümmelte Versionen von Hits wie „Frasi a metà“, „Io canto“ und „Un’emergenza d’Amore“, „Lato destro del cuore“, „Non ho mai smesso“ und „In assenza di te“ beinhalten. Frühe Hits wie „E ritorno da te“ und „Resta in ascolto“ dann wieder zum Glück in Gänze, genau wie „Primavera in anticipo (It’s My Song)“, das zusammen mit James Blunt 2007 den internationalen Durchbruch Pausinis beschleunigte.
Insgesamt wird sechsmal das Outfit gewechselt, mal im grünen Glitzermantel, im wallenden weinroten Samtkleid, mal eher Klamottenkiste mit südamerikanischem Wandteppichmuster oder mit Game of Thrones-Kettenhemd und Lack-Overknees. Und es geht munter weiter mit einem Querschnitt durch ihre über 70 Millionen verkauften Tonträger: „Scatola“ (2022), „Benvenuto“ (2011), „Simili“ (2015) oder einer der schönsten neueren Italo-Schlager überhaupt, „Tra te e il mare“ (2000), „zwischen dir und dem Meer“, singt sie da, und plötzlich weht eine sommerliche Brise durch die Halle. Pausini gibt die One-Woman-Coldplay beim Schutz der Natur mit „Sorella Terra“, macht sich glaubwürdig mit ihren Tänzerinnen für die „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung stark.
Sie grüßt die überraschend große lateinamerikanische Community, bevor mit „Se fue“ eine leider ziemlich danceschlagermäßige, neue spanische Version ihres Überhits „Non c’è“ durchs Rund schallt – samt Einspielung des 26-jährigen puerto-ricanischen Gesangspartners Rauw Alejandro und reichlich Autotune auf der Stimme. Auch „Zero“ vom neuen Album geht schwer in die Dancepop-Richtung, aber immer wieder werden diese Ausflüge durch Breitwand-Pop wie „Invece No“ oder ganz frühe Balladen wie „Incancellabile“ (1996) und „Strani amori“ und „La solitudine“ (1993) auf der Schlussgeraden gebrochen. Drei Stunden dauert diese quietschbunte, mal futuristische, mal retrovisionäre Show, für die die Halle fast schon ein bisschen klein wirkt und die mit einer Reprise-Version des Sommerhits „Ciao“ zu Ende geht.
Laura Pausini hatte viel zu erzählen, auf Englisch und noch mehr auf Italienisch, macht sich auch darüber lustig, dass sie so viel redet, aber lässt keinen Zweifel daran, dass sie ihr Publikum liebt und das wirklich hautnah – molto simpatico.