Der schottische Sänger beweist mit seiner fantastischen Band in der Roten Sonne, dass die Clubbühnen bald zu klein sein dürften.
Schon oft wurde vom Autor dieser Zeilen behauptet, das „nächste große Ding“ entdeckt oder zumindest gesehen zu haben, und nicht selten wurde die Euphorie auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt – sei es durch die Mechanismen einer sich im steten Wechsel und/oder auch im freien Fall befindlichen Musik-„Branche“, eine Verkettung unglücklicher Umstände (Alkohol/Drogen/Beziehungen/Depressionen/Gier) oder einfach durch eine (Selbst-)Überschätzung der Kunstschaffenden.
Mit Hamish Hawk steht ein neuer Kandidat für den eingangs erwähnten Begriff bereit. Doch der 1991 in Edinburgh geborene und in einem musikalischen Haushalt aufgewachsene Künstler, der bereits vor dreizehn Jahren seine Debüt-EP veröffentlichte, ist vielleicht einfach zu gut für die aktuelle musikalische ADHS-Welt, in der nach 30 Sekunden meist das nächste Schweinchen durchs Streaming-Dorf getrieben wird. Seine wunderbaren Geschichten sind nicht in Snippets zu erzählen, obwohl sie selten die Zeit für den perfekten Popsong von 3:30 Minuten überschreiten.
Eins vorweg: Hamish Hawk braucht in der ordentlich besuchten Roten Sonne nur wenige Minuten, um sein Publikum zu begeistern. Mit dem Opener „Juliet as Epithet“ und den Zeilen „He said, ‚Death-wise I wanna be cremated‘/I said, ‚That sounds like something the Ramones—‘“ startet er in ein knapp einstündiges Konzert, das wenig Wünsche offen ließ – vorausgesetzt, man steht auf die lyrischen und gesangstechnischen Kapriolen eines Morrissey, auf die Grandezza von Scott Walker, den exhibitionistischen Pop-Appeal von Brandon Flowers, die homoerotischen Exkursionen von Stephin Merritt (u.a. The Magnetic Fields) und die cineastischen Sujets eines Neil Hannon aka The Divine Comedy.
Begleitet von seiner formidablen Band, die – bis auf die neu hinzugekommene Bassistin und Backgroundsängerin Lizzy Reed – auch auf seinen drei Alben spielt, präsentiert Hawk einen Querschnitt seines bisherigen Schaffens mit Fokus auf das aktuelle Album „A Firmer Hand“, aus dem auch live die nächsten Songs folgen: Das düster-magische „Machiavelli’s Room“, der funkige New-York-Queer-Disco-Stomper „Big Cat Tattoos“, der auch auf dem legendären „Cruising“-Soundtrack glänzen würde, sowie „Nancy, Dearest“, eine todsichere Top-Ten-Single – in einer ebenfalls hier schon oft beschworenen besseren Welt.
In nahezu perfektem Deutsch stellt sich Hamish seinem Publikum vor, erzählt launig vom Schüleraustausch in München, besser gesagt in Neuperlach. Die Affinität zu Land und Leuten habe ihn nicht losgelassen, wie der Schotte bei einem anschließenden Small Talk zu berichten wusste – zehn Jahre habe er die Sprache sogar studiert. „In Berlin, on a rooftop/In Lansing, in a bookshop/In London, on a long walk/In Dresden in a big square/In Austin, on the warm air“, singt er in „Bridget St. John“ vom 2023 veröffentlichten Album „Angel Numbers“, eine seltene Midtempo-Nummern, in diesem sonst eher hochenergetischen Konzert.
Nicht nur beim Ausnahmesong „You Can Film Me“ läuft Gitarrist Andrew Pearson zu großer Form auf – seine druckvollen Riffs werden von einer markanten Single-Note-Effekt-Gitarre kontrastiert. Für Indierock-Fans: Das Spektrum reicht hier von Frank Black bis Thurston Moore. Dass der Mann auch noch als Regisseur für drei „A Firmer Hand“-Videos zuständig ist – geschenkt, allein die exzessive Live-Performance lässt staunen.
Das gilt auch für den Sänger: Ähnlich wie die bereits eingangs erwähnten, ja, Vorbilder, oder der ebenfalls mit einem neuen Album überzeugende belgische Kollege Maarten Devoldere aka Warhaus, gelingt es Hawk, mit seinem raumfüllenden Bariton und einer charismatischen Mimik (die oft gar an Ulrich Tukur erinnert!) seine oft autobiografischen Short Stories zwischen dunkler Begierde und knisternder Erotik den Zuhörenden nahezubringen. Schon als kleines Kind wusste Hawk: „Ich will auf die Bühne, ich will performen“, erzählte der schottische Musiker kürzlich in einem radioeins-Interview.
Witzig, dass am Vorabend die Synthiepop-Helden von Heaven 17 wieder einmal in der Stadt waren: Hamish Hawk wirkt nicht nur optisch wie eine Reinkarnation des jungen Glenn Gregory, auch musikalisch hört man bei „Think Of Us Kissing“ oder „Disingenuous“ deutlich Hawks Vorliebe für die Musik der Achtzigerjahre heraus.
Mit dem elegischen „The Mauritian Badminton Doubles Champion, 1973“ und der vorherigen Ansage, dass es kein „Rauf und Runter von der Bühne zur Zugabe“ geben wird, geht ein Konzertabend zu Ende, der, wie gesagt, wenig Wünsche offen ließ – außer, dass er bitte möglichst bald wiederholt werden sollte. Gerne auch eine Nummer größer – zum Beispiel als Support für Robbie Williams?