Forever Young Soul Rebels: Kevin Rowland und seine Dexys beweisen in der Muffathalle, dass man das Herz mit Soul berührt
Die wenigsten können sich erinnern, ob Kevin Rowland mit seiner Band, die früher mal Dexys Midnight Runners hieß, überhaupt schon mal in München war – der BR klärte auf und sendete, anlässlich des Konzerts der jetzt Dexys genannten Formation in der mit gut 400 Leuten etwas schwach besuchten und teilbestuhlten Muffathalle, einen Radiomittschnitt von 1982 aus dem Schwabinger Bräu im Vorfeld. Danke dafür. Obwohl der Autor damals dort großartige Konzerte von Ramones bis Echo & The Bunnymen gesehen hat: Bei Rowlands Truppe war er nicht dabei. Lag es an dem zu Tode genudelten „Come On Eileen“ oder dem lässigen Northern Soul dieser Band, der so gar nicht zum langsam in düsterere Gefilde abdriftenden persönlichen Musikgeschmack passte – ich weiß es nicht mehr. Nur ein paar Jährchen später dann die Selbstbekehrung bei einer Party, während das Debüt „Searching For The Young Soul Rebels“ lief: Der Haken des Northern Soul war gesetzt und bis heute ist die Stimme Kevin Rowlands Gradmesser, in guten wie in schlechten Zeiten sozusagen, für gelungene weiße Soulmusik. Es war nicht ganz einfach der Karriere dieses Mannes zu folgen, der sich dann 1999 mittels eines Skandal-Fotos auf seinem Cover-Solo-Album „My Beauty“, auf dem er halbnackt in Stockings posiert, zu seiner weiblichen Seite bekannte und dafür in diesem Aufzug damals auf dem Reading Festival mit Flaschen beworfen wurde. Einfach: mutig! Dass seine Version von Whitney Houstons „The Greatest Love Of All“ die vielleicht beste Coverversion aller Zeiten ist, greift dieser Konzertkritik in subjektiver Huldigung Rowlands bereits voraus.
Jahrzehnte mussten die eingeschworenen Fans warten, Reisen zu Konzerten, die dann doch nicht stattfanden, nach London, Glasgow und sonst wo auf der britischen Insel wurden erwogen, gebucht und frustriert gecancelt. Und plötzlich ist es soweit: Die Dexys kommen nach München! Und das mit neuer Platte nach dem letzten großartigen Album „One Day I’m Going To Soar“, das immerhin schon 13 Jahre zurück liegt, dazwischen das schwächere „Nowhere Is Home“ und ein weiteres Album, „The Record Show“, bei dem Irisches und Country Soul gecovert wurde. Dazu später mehr. Das heuer erschienene „The Feminine Divine“ ist Dexys‘ fünftes oder sechstes Album, und diesmal mit Konzept: Kevin Rowland huldigt dem weiblichen Geschlecht in einer persönlichen Metamorphose vom ehemaligen Macho zum devoten Bewunderer. Live wurde das Werk im ersten Teil des Konzerts in Gänze als eine Mischung aus Northern Soul Dancehall, Comedy Show und auch ein bisschen Provinztheater präsentiert. Was bei anderen auch aufgrund einer mit Cowboyhut, Matrosenhütchen und Karohemd kostümierten Band – Mike Timothy und Sean Read (keys, synth, sax, voc), Tim Weller mit Schlips am Schlagzeug und Posaunist Alistair Whyte -, schlüpfrigen Dialogen, die nicht so wirklich zünden wollen (Claudia Chopek ist doch mehr Geigerin als Domina) – eher peinlich wirken würde, macht hier auch aufgrund einer coolen Britishness, die sich wenig um Konventionen schert, richtig Spaß. Blue Eyed Soul („The One That Loves You“) mischt sich mit Music Hall („It’s Alright Kevin – Manhood 2023“) bevor ein bisschen elektronischer New Wave-Funk mit „Goddess Is“ dazu kommt. Nach der live eher aus bereits erwähnten Gründen verunglückten S/M-Fantasie „My Goddess Rules“ dann mit „My Submission“ eine Teardrop-Ballade für die Ewigkeit: Recht viel besser kann man nicht singen, Bobby Vinton grüßt von oben, Roy Orbinson klatscht daneben Beifall. Gänsehaut. Selbst die Band lauscht ergriffen. Pause.
Im zweiten Teil des Konzert dann Songs vom Debüt und dem gerade wiederveröffentlichten zweiten Album der Dexys Midnight Runners „ Too-Rye-Ay“, „Plan B“, „I’ll Show You“, „All In All“, „Until I Believe in My Soul“ und plötzlich ist es da: „Come On Eileen“ reißt die Fans, die eh noch nicht stehen, von den Stühlen, es ist wieder 1982 auf der Schulparty, wo sind sie hin, die letzten 41 Jahre? Ganze Lebenslinien könnte der BR hier abdrehen, und es geht Schlag auf Schlag weiter mit „Geno“ und dem Van Morrison-Cover „Jackie Wilson Said (I’m In Heaven When You Smile)“. Mit seiner Version des irischen Traditionals „Carrickfergus“, vielleicht einem der schönsten Folksongs aller Zeiten, sorgt der Sänger nochmal für eine kollektive Gänsehaut: „Come all ye young men and lay me down“ – zum Glück sind das nicht die letzten prophetischen Zeilen, die wir von Kevin Rowland hier zu hören bekommen, denn für eine letzte Zugabe kommt er mit „When My Light Turns Green“ nochmal zurück. Gott und der göttlichen Weiblichkeit sei Dank.