Wasser-Klang-Therapie: Marlene Schuen von den Ganes möchte mit dem neuen Album „Or Brüm“ auch München wieder Kraft zufließen lassen.
Liebe Frau Schuen, liebe Marlene, klingt vielleicht etwas platt, aber ein neues Ganes-Album schafft es ja immer wieder, Fans, aber auch Neulinge zu verzaubern. Warum hat es seit dem letzten Mal so lange dauern müssen?
Danke, ja verzaubernd, dieses Wort fällt tatsächlich oft bei unserer Musik, wahrscheinlich weil wir Ganes nach den Wasserfrauen der Dolomitensagen getauft sind und die ladinische Sprache, in der wir singen von einer magisch-exotischen Aura umwoben ist. 😉 Aber zu den Fakten: Wir hatten 2019 als kreatives Jahr gewählt, in dem wir unser neues Album zum ersten Mal in Eigenregie selbst produziert und aufgenommen haben. Das war eine große Herausforderung, und dafür wollten wir uns genügend Zeit lassen. Dann haben wir es gerade noch geschafft in Fanes, in den Dolomiten, im tiefsten Winter, Fotos für unser Albumcover zu machen. Daraufhin kam es zu den ersten Shutdowns – und auch wir mussten Albumveröffentlichung und eine ausgiebige Tour verschieben…
Zwischenzeitlich ging die Welt aus den Fugen. Wie hat eigentlich Ihre Band die harte Corona-Zeit durchstanden und woran richteten Sie sich immer wieder auf?
Am Anfang fand ich die dazu gewonnene Zeit gar nicht so dramatisch. Man ist zur Ruhe gekommen, hat viel Zeit in der Natur verbracht und über das Leben nachgedacht, man war nicht mehr in diesem unaufhaltsamen Hamsterrad der Alltäglichkeit. Aber natürlich haben auch wir uns Gedanken gemacht um die Zukunft, um die Kultur, die so plötzlich in den Hintergrund gerutscht ist und auch ganz schön liegen gelassen worden ist. Es tut natürlich weh, wenn man ein Projekt jahrelang aufgebaut hat, das Glück hat davon leben zu können, den eigenen Beruf liebt und man so ausgebremst wird. Uns hat irgendwann der Kontakt zu den Menschen sehr gefehlt. Natürlich das gemeinsame Musizieren, wir wohnen ja nicht alle am gleichen Ort. Einige Hilfsgelder sind angekommen, andere nicht, da wir ja 2019 „nur“ ein Album geschrieben und produziert haben… Aber wir brauchen nicht viel. Ich glaube allgemein brauchen Künstler oft nicht viel Materielles, deswegen sind sie auch leicht zu besänftigen und leicht zu übergehen. Die Natur hat mir persönlich sehr geholfen durch diese Zeit zu kommen, die Freunde und natürlich die Kreativität und die Musik.
Wenn man Ihre Musik hört, träumt man sich ja sofort wieder in die majestätische Bergregion Ihrer Heimat – also dorthin, wo der Lauf der Dinge vermeintlich noch in Ordnung ist. Um wie viel mehr war Ihnen diese Kraftquelle in den letzten Monaten und Wochen wichtig?
Letzte Woche haben wir dort endlich mit unserer Band und unserem Tontechniker intensiv geprobt und das erste Konzert nach drei Jahren gegeben. Es war wirklich berührend. Im letzten Winter habe ich dort mehr als zwei Monate am Stück verbracht. Das kam nicht mehr seit meinem Abitur vor. Ich hatte das Gefühl, dass in den Bergen, mitten in der Stille, diese Zeit besser zu bewältigen ist. Ich konnte mich in der Natur frei bewegen, habe so viel Inspiration gefunden. In der Natur macht alles Sinn, alles ist perfekt miteinander abgestimmt und verbunden. Das Gefühl zu erfahren selbst Teil davon zu sein, ist sehr heilsam. Es ist wie eine riesige Umarmung.
Wie eng ist Ihre Bindung ins Dorf La Val eigentlich noch als Rückzugs- und Inspirationsort?
Oh, sie wird eigentlich immer stärker. Es war für uns natürlich wichtig, hinaus in die Welt zu gehen. Ich habe allerdings, obwohl ich früher nie Heimweh hatte, die letzten Jahre in Berlin, mich ganz schön entwurzelt gefühlt. Ich bin jetzt froh, wieder in München zu sein, das ist nah an den Bergen. Ich fühle mich hier zu Hause und habe wunderbare Freunde. Ich komme von hier sehr schnell nach La Val zu meinen Eltern und kann dort wunderbar weiter kreativ sein.
Was zeichnet eigentlich Ihre ganz persönlichen Lieblingsstellen zuhause aus und welche Klangmagie muss man sich dazu vorstellen?
Dazu haben wir eigentlich einen Soundtrack komponiert, das „An cunta che“.Album, das ja von den ladinischen Dolomitensagen inspiriert worden ist. Dolasila reitet traurig im Herbstlicht durch die Armentara-Wiesen. Ihr Herz ist so schwer wie der Heilig Kreuz Kofel, weil sie ihr Wort dem Geliebten Ey de Net nicht halten kann…
Eigentlich ist unsere Musik sowieso oft atmosphärisch, geprägt von der Landschaft, von Bildern, Flötentriller und Streicherteppiche malen die Weite, das Hackbrett imitiert ein Echo in den Bergen… Und auch bei „Or Brüm“ spielt diese Landschaft eine Rolle. Es tropft und fließt, glitzert und schwebt.
Ihr neues Album feiert – auf Ladinisch – das Wasser, das „blaue Gold“. Wie sind Sie auf diesen Titel gekommen?
Nachdem wir viel Freude und Inspiration beim Schreiben unseres vorletzten Albums „An cunta che“ hatten, wollten wir noch einmal mit einem Thema arbeiten, einem Faden, der uns durch die Stücke leitet. Ganes sind ja diese Wasserfrauen, die in vielen Dolomitensagen vorkommen. Unser Haus ist am Rü dla Gana (Fluss von der Gana, Singular für Ganes). Wasser ist faszinierend, wandelbar, kann so viele Formen einnehmen, fließt von den Bergen bis zum Meer und wieder zu den Wolken… Wir haben Sagen unterbringen, poetische Stücke schreiben aber auch wichtige Themen ansprechen können. Wem gehören die Ressourcen und wie gehen wir mit ihnen um? Was für einen Planet hinterlassen wir den nächsten Generationen? Wasser ist auch Weihwasser. Woran glauben wir?
Wie schafft man es eigentlich, die Klangwelt Ihrer Songs so federleicht, oft trotz der starken Energie auch friedlich zu halten: Sind Sie auch untereinander in der Band immer so nette Menschen, oder flogen bei Ihnen zuletzt auch mal die Fetzen?
Haha, nicht nur zuletzt… Das gehört dazu und kann sogar auch die Kreativität fördern. Es ist nicht immer leicht Familie, Freundschaft und Beruf alles in einem zu haben und trotzdem auch Grenzen ziehen zu können. Aber es hat natürlich auch große Vorteile.
Verraten Sie doch ein bisschen: Wie schreiben Sie eigentlich die neuen Songs und was wirkt dabei besonders beflügelnd?
Früher haben wir oft auch zu dritt geschrieben. Jetzt wohnen wir ja nicht mehr alle in München, und jede schreibt für sich. Das klappt auch ganz gut. Man kann, wann man will und inspiriert ist an den Songs arbeiten, auch um zwei in der Nacht. Dazwischen kommen natürlich auch Zweifel, und man fängt wieder von vorne an oder lässt es bleiben… Manchmal hat man auch diese Flow-Momente, wo alles hinausströmt. Ich mag gerne herumbasteln. Nehme eben irgendwelche weiten Streicherteppiche auf oder mehrstimmigen Gesänge, lass sie herumwirbeln und mich inspirieren. Die Stimmung führt mich dann zum Song und zum Text.
Manche Songs haben wir auch mit unseren Musikern zusammen geschrieben. Wenn man dann durch Höhen und Tiefen gewandert ist und sich an einem warmen Sommerabend die neuen Songs mit einem Glas Wein unter den Sternen anhört, dann bekommt man tatsächlich Flügel. Das ist ja was die Musik macht und warum wir weiterhin Musik in unserem Leben brauchen. Sie lässt uns fliegen, sie tröstet und begleitet uns durch schwere Zeiten.
Irgendwann muss man ja mal wieder herunter von den Bergen und zurück in die hektischen Städte: Wie groß ist die Vorfreude, das neue Album mal wieder vor Publikum vorzustellen?
Gerade haben wir in Gröden in einer wunderschönen Kirche gespielt, die Atmosphäre war unglaublich. Die Welt hat sich verändert. Wir spüren, dass wir als Künstler jetzt mehr denn je eine Mission haben, Menschen träumen zu lassen, Musik als Zuflucht, als Schutz anzubieten, wie bei unserem Lied „Assosta“. Musik bietet auch Schutz vor der Großstadthektik.
Und dann natürlich noch: Wann geht’s wieder los mit dem Vorarbeiten, damit die Wartezeit auf neue Platten nicht wieder so arg wird?
Jetzt haben wir viele Konzerte vor uns und wir freuen uns sehr darauf! Am 12.12 spielen wir im Volkstheater. Und die Inspiration für neue Songs ist auch schon da!
Ihr aktuelles Album „Or Brüm“ gibt’s bei Sony/Capriola. Am 12. Dezember stellen sie es im Volkstheater vor. Alle Infos: http://ganes-music.com/