Beim „Phre Festival“ und beim „Unchained Festival“ fallen die üblichen Festival-Rahmenbedingungen weg – mit „Goldie“ kommt die Lichtgestalt des Drum’n’Bass nach München
Der August beginnt mit einer guten Nachricht für alle Elektronik-Aficionados, die gerne Festival-Luft schnuppern, dabei aber lieber auf die üblichen Begleitumstände verzichten. Denn wer in diesem Monat eine gewaltige Anzahl elektronischer und halbelektronischer Acts sehen will, muss weder das Zelt einpacken noch eine längere Anreise planen – die Festivals kommen diesmal einfach in die Stadt.
Da wäre etwa das einmonatige Phre Festival im Import Export, das mit einer Vielfalt aufwartet, die man so erst mal zusammenkuratieren muss. Vom 1. August bis zum 31. August wird dort eine Riesenschar an lokalen und internationalen Künstlerinnen und Künstlern auftreten, die alle an den Nahtstellen zwischen Pop und Experiment agieren. Gar nicht so leicht also aus einer Fülle von 30 Bands und DJs jemanden herauszupicken, doch da es hier ja um Acts aus dem erweiterten elektronischen Kontext gehen soll, sei zumindest eine kleine Auswahl präsentiert.
Sie startet am 3. August, an dem mit Le Cri du Caire ein Trio auftritt, das auf der Basis elektronischer Loops für mystische Trance-Zustände sorgen wird. Steht hier doch mit dem Ägypter Abdullah Miniawy ein Sufi-Sänger im Zentrum, dessen spiritueller Vortrag den Sound der Band zwischen Cello und Saxofon in Sphären treibt, die eine wunderbare Form der musikalischen Entgrenzung mit sich bringen.
Nicht minder spannend dürfte es am 10. August werden, wenn sich mit dem Kollektiv Balaclava ein elementarer Teil der tunesischen Underground-Techno-Szene präsentiert oder mit dem libanesischstämmigen Franzosen Arabian Panther ein DJ auflegt, der vom Ambient bis zum Breakbeat ein musikalisches Spektrum abbildet, das für maximale Weltoffenheit steht.
Und dann wäre da noch der Songwriter Massimo Silvero, der aus der norditalienischen Grenzregion Karnien stammt und seine Songs stets im Dialekt seiner Heimat schreibt und singt. Zwischen analogen und elektronischen Elementen entfaltet er dabei Soundpanoramen, die man ob ihrer elegischen Schönheit gar nicht hoch genug hängen kann, weshalb sein Konzert am 29. August ebenfalls zu den Höhepunkten des Festivals zählen dürfte.
Damit erst mal zurück in den regulären Betrieb, der am 2. August in der Milla einen Termin von einer Künstlerin bereithält, von der womöglich noch viel zu hören sein wird. Fügt sich der elektronisch grundierte Pop-Noir von Victoria Zapf alias Victoryaz auf ihrer neuen EP „Befremdlich“ doch mit einer textlichen Offenherzigkeit zusammen, die bei der Münchnerin weder Schlaflosigkeit und Depressionen („2 kleine Pillen“) noch schonungslose Abrechnungen mit dem Ex-Partner („Hoffe dir geht’s mies“) ausschließt. Aufregend abgründig!
Eine herrliche Form sommerlicher Leichtigkeit liegt hingegen den Tracks zugrunde, die der mexikanische Produzent Iván Jaque alias Tunkuy am 8. August in der Glockenbachwerkstatt präsentieren wird. Was er da etwa auf seinem jüngsten Album „Pulmari“ veranstaltet, indem er Elemente aus dem Dub und dem Afrobeat auf elektrifizierte Weise mit lateinamerikanischer Rhythmik kreuzt, bringt derart viel Schwung mit sich, dass man sich jetzt schon aufs Tanzen in der Glocke freuen darf.
Womit wir auch schon beim nächsten großen Festival-Event wären, denn das steigt mit der dritten Ausgabe des „Unchained Festivals“ am 10. und am 11. August im Blitz Club. Über 32 Stunden wird dort von Samstagabend bis in den frühen Montagmorgen auf vier Floors zu einer Outdoor- und Indoor-Party geladen, deren Highlight hier natürlich nicht verschwiegen werden soll. Bekommt man ein audiovisuelles Live-Set der Ambient-House-Großmeister The Orb doch schließlich nicht alle Tage zu hören, beziehungsweise zu sehen. 1988 als Duo gegründet, hat das britische Elektronik-Projekt seither ebenso viele personelle wie klangliche Veränderungen erfahren, während zwei Konstanten bis heute Bestand haben: Alex Paterson als entscheidender musikalischer Genius hinter dem Ganzen – und eine Psychedelik im Sound, die bis heute durch ihre Einzigartigkeit glänzt.
Zum Abschluss noch kurz zu einem anderen Briten, den ebenfalls der Nimbus der Einzigartigkeit umgibt. So wird sich in Gestalt von Clifford Jordan Price, besser bekannt unter dem Namen Goldie, am 16. August niemand anders als die Lichtgestalt des rasenden Drum’n’Bass im Blitz Club die Ehre geben. Unterstützt wird der 58-Jährige dabei von seinem Landsmann Paul Woolford aka Special Request, was als Kombination zu einem Abend führen dürfte, der gewiss nicht nur Breakbeat-Nostalgiker ins Schwitzen und Schwärmen bringt.