Electro & Beatz im März: Neue Welle, alte Meister

Queere Faschingsgaudi, Disco- und New-Wave-Wiedergänger und unerschrockene Klassik-
Experimentalisten

Rosenmontagsdiscoball in der Roten Sonne

Fasching feiern oder nicht, das ist besonders in diesem Jahr eine Frage, die letztlich jeder für sich selbst beantworten muss. Nach dem Attentat in der Maxvorstadt und der Absage sämtlicher Großveranstaltungen durch die Stadt hat sich das Angebot ohnehin erheblich reduziert, im kleineren Rahmen wird dennoch weiterhin an verschiedenen Orten gefeiert. So etwa beim Rosenmontagsdiscoball, den die queere Partyreihe „Garry Klein“ am 3. März mit den House-DJs Leon Haller und Mrti in der Roten Sonne steigen lässt. Verkleidungen sind dort zwar kein Muss, aber ausdrücklich erwünscht – und das beste Drag-Kostüm wird durch Drag Artist Janisha Jones mit einer Flasche Schampus und der Möglichkeit zu einer eigenen Performance belohnt.

Theodor

Eine wunderbar smooth verpluckerte und sacht elektrifizierte Soul-Interpretation bringt wiederum die Darmstädter Band Theodor am 6. März auf die Bühne der Milla. „Sweet Soul“ nennt das Quartett den luftig und elastisch dahingleitenden Sound, den es auf seinem zweiten Album „Holocene“ versammelt. Und das kommt in der Tat ziemlich gut hin, denn süßer und graziler als diese einst als reines Pandemie-Studioprojekt gestartete Truppe hat den Soul tatsächlich schon lange niemand mehr grooven lassen. 

Booka Shade im Strom

Etwas aus der Reihe im sonst so gitarrenmusikalisch orientierten Strom fällt am 12. März ein Duo, das seit seinem Debüt „Memento“ von 2004 gleichermaßen zu den erfolgreichsten wie zu den fleißigsten deutschen Elektronik-Acts zählt. Booka Shade aus Frankfurt sind mit ihrer atmosphärisch vom Synthie-Pop durchwirkten House Music längst auch in der Welt jenseits der Clubs angekommen. Nach Auftritten beim Glastonbury Festival oder Support-Gigs für Depeche Mode kann man da schon auch mal für ein Live-Set ins Strom kommen.

Pablo Bozzi im Blitz

Seine ganz eigene Nische hat auch der französische Produzent und DJ Pablo Bozzi gefunden. Zwischen Italo Disco, Electronic Body Music und nachtschwarzem Synthwave beamen einen die Tracks des Wahlberliners tief hinein in eine Zeit, in der die Clubs noch Discos hießen und Pop und Elektronik auf bezirzende Weise miteinander verschränkt waren. Wie sexy das klingt, lässt sich etwa in seinem Remix von Jeanne Mas‘ Eighties-Hit „Toute première fois“ nachhören, zu dem man am liebsten direkt eine Nebelmaschine anwerfen würde. Am 14. März wird Pablo Bozzi den Blitz Club gewiss erfolgreich in eine Blitz Disco verwandeln.

Chris Irmler im Import/Export

Dominik Eulberg im DNATags darauf, also am 15. März, könnte die Entscheidungsfindung indes etwas knifflig ausfallen. Lieber zum famosen Chris Imler, der als Szene-Urgestein, Drummer und Songwriter aus Berlin im Import/Export seine ebenso elektronische wie (digital-)kulturpessimistische neue Platte „The Internet Will Break My Heart“ vorstellt?

Dominik Eulberg im DNA

Oder doch besser zum studierten Ökologen und leidenschaftlichen Naturschützer Dominik Eulberg, der als DJ im DNA Club eines seiner dringend zu empfehlenden Minimal-Techno-Sets zum Besten gibt? Eine zeitlich tatsächlich gut umsetzbare Möglichkeit wäre etwa diese: einfach beides machen.

Temmis in der Milla

In der Woche darauf darf man am 22. März in der Milla wiederum Zeuge werden, wie sich nach jungen Acts wie Steintor Herrenchor aus Hannover oder Streichelt aus Nürnberg mit Temmis (kein Schreibfehler) eine weitere hochinteressante Band mit deutschen Lyrics anschickt, den new-wavigen Post-Punk zu revitalisieren. Langsam aber sicher wird da eine Art „Neue Neue Deutsche Welle“ draus, denn auch diese vier aus Tübingen pflegen in schmissig synthetisierten Songs wie „ICE 579“ oder „Arterien“ zwischen liebeswunder Romantik und weltschmerziger Realitätsflucht eine im besten Sinne retroselige Coming-of-Age-Düsternis. Es sind abgründige Lieder, die in abgründigen Zeiten gerade recht kommen.

Leblanc im Pacha

Dramatisch geht es auch in den Tracks eines weiteren französischen Produzenten und DJs namens Leblanc zu, wenn auch auf andere Weise. Die Verschmelzung von elektronischer und klassischer Musik war ja schon immer eine ambivalente Angelegenheit, in der ebenso viel Kreativ- wie Kitschpotenzial liegt. Monsieur Leblanc treibt das Ganze nun auf die Spitze, indem er sich weder scheut, Carl Orffs berühmten Chorsatz „O Fortuna“ aus der Carmina Burana, noch Mozarts ergreifendes „Lacrimosa“ aus dessen Requiem technoid zu verwursten. Das zeugt von einem Selbstbewusstsein, das man erst mal mitbringen muss, und ist auch durchaus interessant umgesetzt. Doch ob Mozart und Orff sich auch wirklich als Dancefloor-kompatibel erweisen? Nach Leblancs Set am 28. März im Pacha wird man dahingehend womöglich schlauer sein.