IN-München-Review: So wars bei … Andrea Berg

Vom Höhenflug in die Schwerelosigkeit: Zum Konzert der deutschen Schlagerkönigin Andrea Berg vom 15.3. in der fast ausverkauften Olympiahalle.

Vorher kurz zu meinem Hintergrund: Ich kenn mich mit dem Oeuvre von Frau Berg, bis auf zwei, drei Hits nicht aus und insgesamt fühl ich mich eher im undergroundigen Rock und Punk beheimatet. Aber man soll ja regelmäßig über den Tellerrand schauen und die eigene Filterblase verlassen… also verließ ich an diesem nasskalten Samstag um 18:45 Uhr wie immer mit Kopfhörern die Wohnung. Um vor meinem ersten Schlagerabend noch ein bisschen im Vertrauten zu weilen, hörte ich das neue Album der Art-Rock-Helden The Residents. So dann schließlich in die U3 und durch den Regen rüber zur Olympiahalle. Endlich angekommen…

In der Halle der Berg-Königin

20:07 Uhr, Konzertbeginn: In der zu ca. sieben Achteln vollen Olympiahalle ist eine sehr große Bühne mit Catwalk ins Publikum aufgebaut. Am hinteren Bühnenende prangen riesige Leinwände.
Showtime.
Die Halle verdunkelt sich. Auf den Screens: computergenerierte Science-Fiction Visuals, die sich als programmatisch für den Abend erweisen sollen. Dann die erste angenehme Überraschung: eine sechsköpfige Band legt los. Auch wenn manche elektronischen Spielereien vom Band kamen, klang die Musik ganz und gar nicht nach Plastikbeats aus der Konserve. Bei den groß angeschlagenen Pianoakkorden klang sogar ein Hauch der von mir sehr geliebten ABBA mit durch. Dazu tanzen acht Tänzer*innen unterschiedlich aufwändige Choreographien. Musikalisch steht Andrea Berg den ganzen Abend also ziemlich in der Mitte zwischen altem Schlager a la Vicky Leandros (die sie später noch covern wird) oder Marianne Rosenberg und neumodischem Electroschlager. Mit Schlagseite zu den Klassikern und denen kann ich durchaus was abgewinnen.

20:20 Uhr, Drei Songs sind gespielt. Der Neuheitsfaktor zum ersten Mal auf einem Schlagerkonzert zu sein, klingt langsam ab. Meine Blicke schweifen ins Publikum. Im Großen und Ganzen ganz normale Leute. Dabei altersmäßig überraschend durchmischt. Sogar auf Gruppen grölender Mittzwanziger Burschen, wie man sie eher in einem Pub erwartet, treffen meine Augen immer wieder. Was machen all diese Leute hier?, ertappe ich mich im Selbstgespräch. „Einfach ihren Samstagabend genießen, du prätentiöser Kulturschreiberling!“ lautet wohl die Antwort.

20:50 Uhr. Das Konzert läuft seit 45 Minuten. Vieles was mir vor dieser dreiviertel Stunde sicher schien, ist ins Wanken geraten. Das Mit- bzw. Dazu- bzw. Dagegenklatschen mancher Mitzuschauer*innen zeigt, dass Takt und Rhythmus nur Verhandlungsmasse sind. Diffuse Konzepte, die wahren Freigeistern nicht aufgezwungen werden können. Womit ich keineswegs sagen will, dass die Menschen auf den oh so coolen Konzerten, wo ich sonst immer bin, besser im Takthalten sind. Ein Musikgeschmack auf den man sich was einbildet, macht noch kein Rhythmusgefühl, meine Lieben!
Dennoch: Die Songs mit ihren Discobeats, ob sie nun „Das Knistern von damals“, „Für immer jung, verliebt und frei“ oder „Himmel auf Erden“ heißen, gehen schon gut rein, aber bei mir auch schnell wieder raus.

21:00 Uhr, Sie stellt die Band (die hießen praktisch alle Matthias) und die Tänzer*innen (die hießen unterschiedlicher) vor. Dann: Balladenzeit. Man schwelgt beim Song „Sternenträumer“ davon. So abgedroschen Botschaften von der Lust am Leben o.Ä. auch sein mögen, so zeitlos sind sie eben auch und sie geben den Münchner*innen in der Darbietung von La Divina an diesem Abend spürbar einiges mit. Die Maria Callas der linksrheinischen Arzthelferinnen verwandelt die Olympiahalle -Handy machts möglich- in ein Sternenmeer.

Kompass und Supernova

21:20 Uhr, In mir kommt es zum ersten Aufnahmestopp: In nahezu jedem Songtext werden Begriffe aus Luft- und Raumfahrt bemüht. Zwischen Höhenflug, Schwerelosigkeit, Supernova und diversen Arten von Flügeln erfassen mich Schwindel und Höhenkoller. Um mich zu erden, surf ich ein bisschen und bestelle mir vom Handy aus das eingangs erwähnte neue Residents-Album bei HHV auf Platte.

21:30 Uhr, Ein kleiner Block mit Songs über „Betrüger und Lügner“ wird gespielt, die Bühne und Tänzer*innen dazu in Moulin Rouge-Optik: „Geh doch, wenn du sie liebst“ und „Ich werde lächeln, wenn du gehst“ werden besonders von den Damen im Saal frenetisch bejubelt. Ja, das sind keine Fremdgehsongs vom Kaliber eines „I heard it through the grapevine“ oder „Jolene“ aber dafür eben Schlager-Empowerment für die, die halt nicht in der Jugend dröge daheim saßen und Musikexpress gelesen haben. Hat absolut seine Daseinsberechtigung und war für mich einer der überraschend vielen Highlights des Abends.

21:40 Uhr: Ein riesiger Kompass wird auf dem Catwalk und den drei Leinwänden eingeblendet, ist also insgesamt viermal fett auf der Bühne zu sehen. Der Mann, der neben mir sitzt, beugt sich zu seiner Frau, um ihr mitzuteilen: „Jetzt kommt das mit dem Kompass.“
Ich bin unterdessen voll dabei.

Ein geläuterter Schreiberling, fasst seine Konzertkritik in einer Geste zusammen. (c) In München / Franz Furtner

22:10 Uhr „Du hast mich tausend mal belogen… Du hast mich tausendmal verletzt.“ WAAAAS? WEEER? Andrea, sag mir wer! Ich fahr zu dem! Den falt ich zsamm! Den prügel ich windelweich!
„…ich bin mit dir so hoch geflogen, doch der Himmel war besetzt…“ Schon wieder diese Luftfahrt-Metaphorik, aber inzwischen bin ich voll drin! Ich will bei der Air Andrea anheuern. Pilotin Berg, lassen Sie mich bitte ihr Steward sein.

22:30 Uhr: Mit „Ich liebe das Leben“, einer Schlagerrockigeren Version des Leandros-Klassikers und „Ja ich will“ in Bandversion und intimem Piano-Outro geht mein erstes Schlagerkonzert zu Ende. Und wenn meine Gedanken manchmal auch Flügel bekamen und mich ganz woanders hin führten, hab ich das Konzert durchaus genossen. Vielen Dank dafür, Andrea.

22:45 Uhr: Ich fliege mit der U3 heim. Ok, eigentlich gibts mal wieder massive U-Bahnprobleme, aber fliegen ist eben als Ende dieser Kritik so viel schöner.