Gebrochene Träume: „Zwischen uns das Leben“ von Stéphane Brizé
Wer Stéphane Brizés letzte Filme kennt, reibt sich die Augen: Seine Polit-Trilogie „Der Wert des Menschen“, Streik“ und „Another World“ handelte von Menschen, die im gesellschaftlichen System der Gewinnmaximierung auf verschiedenen Positionen kämpfen, ob als gedemütigter Arbeitsloser, charismatischer Gewerkschafter oder Fabrikdirektor zwischen Arbeitnehmer-Vertretung und Konzern-Leitung.
Hier sind zwei, die nicht mehr kämpfen. Zwei, die sich geliebt haben und deren Wege sich fünfzehn Jahre nach der Trennung zufällig kreuzen. Der auf die 50 zugehende Leinwandstar Mathieu, der erstmals auf der Theaterbühne brillieren wollte, kurz vor der Premiere Muffensausen bekam und alles hinschmiss, sucht für sechs Nächte Ruhe in einem luxuriösen Wellness-Hotel an der bretonischen Küste außerhalb der Saison („Hors saison“, so lautet der Originaltitel). Die wenigen Gäste und beflissenen Angestellten ringen ihm für Selfies ein gequältes Lächeln ab, am Telefon nervt ständig seine ebenfalls erfolgreiche Frau mit neuen Projektideen und an der sensorischen Kaffeemaschine scheitert er grandios.
Und dann liegt da ganz altmodisch ein Brief für ihn an der Rezeption, von seiner einstigen großen Liebe Alice, in dem kleinen Badeort verheiratet, Mutter und Klavierlehrerin. Beim Tee in gediegenem Ambiente ist plötzlich die Vergangenheit wieder da, öffnen sich bei Spaziergängen, einem Mittagessen mit Meerblick oder auf einer Bootsfahrt Türen für Erinnerungen und Gefühle, entdecken die beiden die alte Vertrautheit, bleibt aber die unausgesprochene Frage, „was wäre, wenn…“ unbeantwortet. Was ist aus ihren Träumen geworden, ihren Hoffnungen?
Er genießt seine Turbo-Karriere, ein bewunderter Medien-Darling, der insgeheim unter innerer Leere und Midlife-Krise leidet. Sie hat wegen Mutterschaft und Ehe ihre Pläne als virtuose Musikerin aufgegeben, versteckt sich hinter dem perfekten kleinen Glück, langweilig und sicher. Die Einsamkeit zu zweit verbindet die beiden in diesem von Wehmut umwehten zärtlichem Melodram, jeder weint für sich allein. Ein Mann und eine Frau wie in Claude Lelouchs Klassiker, trotz zerbrochener Träume nicht gebrochen.
Der Film voller Sanftheit und Melancholie im verblassenden Leben streichelt die Seele, auch wenn Bedauern über verpasste Chancen und tiefer Schmerz über das Aufbrechen von längst verheilt geglaubten Wunden spürbar ist, vor allem bei Alice, die lange unter Mathieus nicht gerade elegantem Abschied litt. Sie schützt sich durch ein Lächeln, er durch Spott.
Die Autopsie einer zerrütteten Beziehung funktioniert nicht nur durch kluge Dialoge, sondern vor allem dank der intensiven Performance zweier wunderbarer Schauspieler. Guillaume Canet gefällt es richtig, männliche Schwäche zu offenbaren und in Selbstmitleid zu zerfließen, die scheinbar attraktive Welt des Ruhms zu zerfleddern. Doch es ist Alba Rohrwacher in ihrer Fragilität und Strahlkraft, die dieser Begegnung Flügel verleiht. Eine Frau, deren Blicke Trauer, Sehnsucht und Verlangen spiegeln, wie das nagende Wissen um die Notwendigkeit des Abschieds, die Rückkehr in das einmal gewählte Leben. Herzzerreißend schön. Da pfeift man gerne auf jedes banale Happy End. (Ab 1.5.)
Margret Köhler