Im Heimkino: Harte Kost

Warum Serien wie Squid Game und American Primeval bestens in unsere gewalttätige Zeit passen

Gerade war wieder David Finchers düsterer Thriller „Sieben“ sogar im Kino zu sehen – und bei einer privaten Sichtung im Heimkino konnte der Autor feststellen, dass dieses Drama über einen Serienkiller, der Menschen auf bestialische Weise ermordet, die, zumindest nach seiner Ansicht, jeweils mindestens eine der sieben Todsünden begangen haben, nichts, aber schon rein gar nichts von seiner schrecklichen Faszination eingebüßt hat. Natürlich soll hier der nervenaufreibende Schluss, der die Vorstellung gängiger Gut-Krank-Böse-Moral der damaligen Zeit (1995) sprengte, nicht verraten werden. Was damals Menschen, die schon bei „Das Schweigen der Lämmer“ kreidebleich aus den Kinos taumelten, besonders schockierte, war die kranke Fantasie des Mörders, die Fincher in ikonografische, von Schmutz und Patina getränkte Bilder verwandelte. Die Zeiten haben sich gewandelt, und „Sieben“ ist heute mehr Klassiker als Schocker. Die Lust an einer abgründigen, in der Darstellung Grenzen überschreitenden Visualisierung von Gewalt ist geblieben. Warum?

„People they just ain’t no good”, singt Nick Cave, und ja, die Welt ist voll von schlechten Menschen, wohin man auch blickt. Augenscheinlich wurde diese Erkenntnis nicht erst bei der Inauguration des US-Präsidenten und seiner Anhängerschaft – in der mittlerweile sehr erfolgreichen Netflix-Serie American Primeval von Peter Berg gibt es praktisch (fast) keine „Guten“ mehr. Die Hauptprotagonisten Sara (Betty Gilpin) und Isaac (Taylor Kitsch) haben genug kriminelle Eigenenergie, um (zunächst) in dieser bildgewaltigen Hardcore-Frontier-Westernserie zu überleben.

Natives, Sekten, Siedler, Militär – hier kämpft jeder um sein Stück Land, und zwar mit ALLEN Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen. Gerne kann man unseren geschätzten freien Autor Fritz Göttler in seinem Beitrag in der SZ zi- tieren: Die Serie wäre „kein Western, sondern eine historische Studie über die amerikanische Grausamkeit“. Ob die Serie bald im Privatkino des nach eigener Aussage von Gott auserwählten Präsidenten läuft?

Die wohl erfolgreichste Netflix-Serie Squid Game von Hwang Dong-hyuk legte mit einer zweiten, nicht minder perfid-brutalen Staffel nach. Auch in Südostasien herrscht überwiegend das Prinzip von „Höher-Schneller-Weiter“ – dass der Kapitalismus hier schnell in einen ECHTEN Überlebenskampf abdriften kann, wurde in Filmen wie dem oscar-prämierten „Parasite“ von Bong Joon- ho hinlänglich bewiesen. Die tödlichen Kinderspiele (wie das „Squid Game“), die von einer von Macht und Langeweile trunkenen Elite veranstaltet werden, um verschuldete, oder einfach nur gierige Menschen zu motivieren, an den millionenschweren Jackpot zu kommen, faszinieren Millionen Zuschauer.

Die Serie nur als Kapitalismuskritik zu verstehen, greift zu kurz – dafür sind die Sujets zu absurd. Die zum Teil in faszinierende Pop-Art-Bilder gegossenen Blutbäder unter den Delinquent*innen sind auch der oft zitierte Autounfall – man MUSS einfach hinschauen. Früher war violence porn eine Nische – heute Mainstream an der Spitze der Charts. Es scheint, dass Serien mit übertriebener Gewaltdarstellung auch eine Kompensation auf reale Geschehnisse sind. Denn ganz ehrlich: Was sind diese mehr oder weniger gut gemachten Filmchen schon gegen die Beiträge über das Kriegstreiben aller- orts in den Nachrichten. Auch wenn das Blut, das Leid, die verstümmelten Leichen und gemarterten Körper (zum Glück für die Zuschauenden) zumindest bei den Öffentlich-Rechtlichen nicht im Detail zu sehen sind – im Kopf sind sie da. Bei den Serien kann man sich zumindest einreden: ist doch nur ein Film.

Was es für neue Streaming-Serien-Starts gibt: https://www.in-muenchen.de/kino/streaming-serien-aktuell.html

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