Unser Filmkritiker Marco Schmidt hat sich den neuen Film mit Sandra Hüller und Christian Friedel in den Hauptrollen bereits angesehen
Manchmal, sehr selten, kommt ein Film in die Kinos, der uns wirklich umhaut und nachhaltig verstört. Dem britischen Kultregisseur Jonathan Glazer („Under the Skin“) ist mit „The Zone of Interest“ ein solcher Film geglückt: Er wagt es, die Schrecken der Shoah ausschließlich aus Sicht der Täter zu schildern.
Von Martin Amis’ gleichnamiger Romanvorlage hat sich Glazer nur lose inspirieren lassen. Stattdessen hat er selbst jahrelang akribisch recherchiert und ist dabei auf Ungeheuerlichkeiten gestoßen, die er uns nun
in einem semi-dokumentarischen „Big Brother“-Stil serviert, gedreht an Originalschauplätzen in Auschwitz mit diversen versteckten Kameras.
So erleben wir Christian Friedel („Babylon Berlin“) als Rudolf Höß, einen tierlieben, fürsorglichen Familienvater, der Hunde herzt und seinen fünf Kindern abends mit sanfter Stimme Märchen vorliest. Weil er seinen Job möglichst gut machen möchte, verhandelt er beispielsweise mit den Vertretern einer Erfurter Firma. Die wollen ihm freilich keinen Staubsauger verkaufen, sondern ein neues, hypereffizientes Ringsystem aus Gaskammern und Krematorien.
Denn Höß ist der Kommandant des größten NS-Vernichtungslagers. Zu seinem Arbeitsplatz hat er es praktischerweise nicht weit: Nur einen Steinwurf entfernt vom KZ residiert er in einer Traumvilla mit einem Heer von Hausangestellten. Friedel verkörpert diesen bürokratischen Biedermann mit eisiger Präzision. An seiner Seite verwandelt sich die grandiose Sandra Hüller („Anatomie eines Falls“) mittels steifer Schultern und ungelenkem Gang in Hedwig Höß, eine zum Fremdschämen schamlose Spießerin, die ihr Luxusleben neben dem Lager genießt: „Der Rudi nennt mich die Königin von Auschwitz“, erzählt sie kichernd ihrer Mutter; eitel posiert sie in Pelzmänteln, die man den nebenan ermordeten Juden gestohlen hat; stolz präsentiert sie ihren prachtvollen Garten mit Gemüsebeet, Gewächshaus und Swimmingpool.
Als ihr Gatte nach Oranienburg versetzt werden soll, wehrt sie sich vehement gegen die Vertreibung aus dem Paradies – schließlich haben es doch alle so schön hier! Und so problemlos, wie sich der Verkehrslärm ausblenden lässt, wenn man an einer stark befahrenen Straße lebt, kann man auch die benachbarte Mordmaschinerie ignorieren, die permanent Asche in den Himmel bläst. Lästig ist allenfalls, dass man sich deshalb öfter die Haare waschen muss …
Immer wieder macht uns Glazers Film schaudern: Ohne eine einzige Gräueltat zu zeigen, vermittelt er das Grauen, das just jenseits des Gartens lauert – nur über die sagenhaft subtile Tonspur, an der das Sounddesigner-Genie Johnnie Burn mehr als ein Jahr gebastelt hat. Vordergründig ist da unter anderem Vogelgezwitscher zu hören, doch aus der Ferne vernimmt man grausige Geräuschfetzen: Befehlsgebrüll, Hundegebell, Schmerzensgeschrei – und das ständige bedrohliche Wummern der Verbrennungsöfen.
So führt uns dieses Meisterwerk eindringlich vor Augen, dass die Massenmörder der Nazis keine bestialischen Monster waren, sondern etwas viel Entsetzlicheres: Menschen wie wir. Meister der Verdrängung. Es ist schwer, diesen Film auszuhalten – und unmöglich, ihn zu vergessen. (Ab 29.2.)