Erinnern und Vergessen: Rainer Germann über den Dokumentarfilm „Riefenstahl“ von Andres Veiel in unserem Filmtipp des Monats. Ab 31. Oktober im Kino.
My mistakes?“, erwidert die Angesprochene ungläubig auf eine Frage, die sie oft gestellt bekommen hat nach 1945, in diesem Fall ca. zwanzig Jahre später von einem englischsprachigen Journalisten. Ob sie Fehler gemacht hatte, ob sie etwas bereute, ob sie von etwas gewusst hatte. Meist schüttelt sie, scheint’s angewidert, den Kopf, wirft das steiftoupierte Haar nach hinten und dreht sich zur Seite – Regisseur Andres Veiel lässt dann die Szene einfrieren; ein brillanter Schachzug, der das Frösteln des Zuschauers beim Anblick Leni Riefenstahls verstärkt, die gar nicht glauben kann, warum ihr, der Künstlerin, der Tänzerin, der Unpolitischen, so viel Unrecht angetan wird, immer und immer wieder. Andres Veiel (Beuys“) hat zusammen mit seiner Produzentin Sandra Maischberger, die die 2003 mit 101 Jahren verstorbene Riefenstahl selbst noch interviewte, in sechsjähriger Arbeit einen höchst eindrucksvollen Dokumentarfilm geschaffen. Ein Film, der anhand des Einblicks in 700 Kisten Nachlass mit privaten Film- und Tonaufnahmen, unveröffentlichten Szenen ihrer Filme und TV-Interview-Aufzeichnungen die Rolle der Regisseurin und Fotografin, die maßgeblich für die Ikonografie der Propaganda des Dritten Reiches verantwortlich war, noch einmal neu beleuchtet. Geschickt werden Lebenswerk und Verneinung jeglicher Verantwortung der Kunstschaffenden in einen Dialog gestellt.
Dass Riefenstahl auch heute noch durch ihre Schnitttechnik und Bildgestaltung zu faszinieren weiß, beweisen nicht nur die fliegenden Turmspringer im „Olympia“-Film, die auch in „Riefenstahl“ wieder zu sehen sind. Kein Wunder, dass ihre Bildsprache auch in die Popkultur von Bewunderern wie Andy Warhol, Mick Jagger, George Lucas, Quentin Tarantino, oder, wenig verwunderlich, Rammstein, Einzug hielt. Politik wäre das Gegenteil von Kunst, erklärt sie im Film, in letzterer wäre „kein Platz für reelle Dinge“. Auf einem Bild aus dem Nachlass reichen sich Hitler und Riefenstahl die Hände wie zwei tanzende Kinder; dass sie einerseits von Goebbels fast mehrfach vergewaltigt wurde, andererseits ihn nie privat getroffen hätte, ist nur einer der vielen Widersprüche, die neue Erkenntnisse über die Verdrängungs- und Verdrehungskünstlerin Riefenstahl zulassen. Alle ihre „Zigeuner“-Statisten aus „Tiefland“ hätte sie wohlbehalten nach dem Krieg wiedergesehen; Veiels Kamera zeigt die Namenslisten der in Ausschwitz ermordeten Sinti und Roma, die für die Verfilmung von Hitlers Lieblingsoper im Voralpenland vor ihrer Kamera standen.
Der Gedanke drängt sich auf, so zumindest eine Vermutung Veiels, dass viele der Nachlass-Kisten regelrecht von der Nachlassenden selbst „kuratiert“ wurden – „damit etwas erinnert werden kann, muss anderes vergessen werden“, lautet ein Kommentar am Anfang des Films. Ganz dunkel und auch aktuell wird es am Ende des Films, als einer der unzähligen Riefenstahl-Fan-Anrufer bereits vor Jahren meint, „es werde zwei Generationen dauern, bevor Deutschland wieder zu Anstand und Sitte zurückkehren wird.“ „Ja“, ergänzt Riefenstahl, „das deutsche Volk hat ja die Anlage dafür.“ 1952 wurde Leni Riefenstahl nach vier Spruchkammerverfahren „entnazifiziert“ – es wurde wirklich höchste Zeit, dass Veiel und Maischberger den Fall „Riefenstahl“ nochmal neu aufgerollt haben.