Sonntag, 29.12.2024
16:00 Uhr
MÜNCHNER KAMMERSPIELE, Maximilianstr. 26-28, 80539 München
Klassik
Sie kam aus Mariupol
Nach dem Roman von Natascha Wodin in einer Fassung von Pablo Arie. R: Stas Zhyrkov. Mit Johanna Eiworth, Annika Neugart, Konstantin Schumann u.a. Eine junge Frau entdeckt, dass sie ein Kind von Zwangsarbeitern ist. Die Erzählerin findet eine ganze Familie, Papiere, die Jahrzehnte von Säuberungen, Hungerkatastrophen und zwei Diktaturen überstanden haben – und am Ende sogar jemanden, den sie umarmen kann.
Die Besprechung unseres Bühnenschau-Autors Peter Eidenberger:
„Auf nach Woanders!” ist das Motto für die neue Spielzeit an den Kammerspielen, und in Sie kam aus Mariupol liegt dieses Woanders in der Ukraine. Hier hat die Schriftstellerin Natascha Wodin ihre Wurzeln, in ihrem preis- gekrönten Text begibt sie sich auf Spurensuche: die 1945 in Fürth geborene Tochter einer ukrainischen NS-Zwangsarbeiterin recherchiert die Geschichte ihrer Mutter Jewgenia.
Spielfläche im Schauspielhaus ist die Vorderbühne: ein Schreibtisch, eine transparente Hausecke, die höllenrot leuchtet, wenn das Kind Natascha in die Hölle Schule geht. Familienfotos, Kriegsbilder, Schriften verdeutlichen Umstände, Zusammenhänge. Biografisches Schicksal im Kontext sowjetischer, ukrainischer und deutscher Geschichte: nach und nach rückt der ukrainische Regisseur Stas Zhyrkov die Entdeckungen von Wodin an uns heran, formt sie zu emotionalen Sequenzen und Momenten. Der Erzählduktus der Vorlage bleibt, die aktuelle Situation in der Ukraine scheint selten durch: der Soldat, der das Haus der Familie ausräumt, trägt Kampfmontur von heute. Die Zeitebenen verschieben sich häufig, Natascha, von Johanna Eiworth zu manieriert angelegt, und Natascha als Kind sind zugleich auf der Bühne. Konstantin Schumann hilft im Internet, ist Vater und Großvater und auch Pianist Die Mutter: Michaela Steigers Jewgenia ist schwierig, verletzlich, wankelmütig. „Wenn du gesehen hättest, was ich gesehen habe”, das ist der Satz, hinter dem sie sich versteckt (und der Nataschas Recherche antreibt). Sie will ins Wasser, und würde problemlos die Kinder mitnehmen.
Das Freilegen dieser Familiengeschichte hält ein paar Überraschungen parat: irritierende, ein Verwandter ist Mörder, aber auch komische: ein Onkel war Opernsänger, köstlich parodiert das Annika Neugart. Der als Kind-Natascha auch der bewegende Höhepunkt gehört: die Erzählung vom Tod der Mutter. Großer Applaus nach zwei Stunden, trotz eines nicht unerheblichen Mankos: Masse und Tempo an historischem und familiärem Input lassen einen mehr als einmal den Überblick verlieren.
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Veranstaltungsort / Karte
MÜNCHNER KAMMERSPIELE
Adresse: Maximilianstr. 26-28,
80539 München