Ortsgespräch: Ruth Geiersberger

Spannende Kunst-Performance: Von RUTH GEIERSBERGER kann man viel lernen – vor allem Gelassenheit. Und Hoffnung: Die Dinge ändern sich

Frau Geiersberger, wenn Dinge sich plötzlich nicht mehr finden lassen, Lieblingslokale schließen, Menschen entschwinden oder vertraute Orte sich radikal verändern, reagieren viele Menschen verwirrt, traurig, ratlos. Was fasziniert Sie so sehr an solchen Veränderungs- und Verlusterlebnissen?

Eben diese Ratlosigkeit. Das ist ein Zustand, in dem man das Staunen wiederfindet.

Sie beschäftigen sich in Ihren Arbeiten schon länger mit Verlust-Phänomenen. Wie kam es nun zur Installation „Das Verschwinden“?

Ich durfte wegen performativer Verrichtungen vor zwei Jahren nach Australien. Dort bin ich auf den Botaniker Ludwig Leichhardt gestoßen, der im 19. Jahrhundert verschwunden ist. Da fing es an, dass ich dem Verschwinden als solchem auf die Spur kommen wollte. Und ja, selbst werde auch ich nicht jünger. Das eigene Verschwinden, das Aus-der-Welt-Gehen, wird mehr und mehr ein Thema. Und dass die Welt sich selbst ausradiert, ist nun einfach eine Tatsache, der wir uns alle stellen müssten.

Warum ist das Ägyptische Museum dafür ein guter Ort? Welche Aura hat es?

 Zum einen ist ein Museum überhaupt ein Ort, wo Dinge aufbewahrt werden, die eigentlich schon verschwunden sind. Und das SMAEK – unter der Erde gelegen mit diesem Sonderausstellungsraum, total leer, riesig, wie eine Grabkammer – scheint mir so was von passend. Ich verrichte dort – fast so, als ob ich in einer Grabkammer wäre.

Natürlich schmerzt es, wenn sich die Umgebung und das Gewohnte ändern. Trotzdem: Wie viel Freiheit steckt für Sie eigentlich im Verschwinden?

Ganz viel Freiheit! Denken wir an Kinder, die einfach die Hände vor die Augen halten und dadurch „verschwinden“. An Märchen mit Tarnkappen. „Jedem Verschwinden hängt auch ein Zauber inne.“ Vielleicht sieht man, wenn man wiederkehren sollte, dann wieder neu?

Der deutsche Botaniker, vermisst in Australien: Wie kommt man auf solche Typen? Was fesselt Sie an seiner Geschichte?

Vor zwei Jahren in Australien kam ich durch Gespräche mit dem Komponisten Axel Singer darauf, der dort seit gut 15 Jahren wohnt und mir davon berichtete. Bei vielen meiner Projekte sind es solche Zufallsentdeckungen – wobei man auch fragen kann, was eigentlich ein Zufall ist? – ausschlaggebend. Sie springen mich an, bleiben in meinem Kopf und breiten sich dann langsam in mir aus. Dann entsteht oft diese dringende Notwendigkeit, sich mehr und mehr damit zu beschäftigen, daraus etwas zu machen.

Ruth Geiersberger (c) Severin Vogl

Ihre Installation im SMAEK ist für die Museumsbesucher frei zugänglich: Was muss man wissen, wie muss man sich vor- bereiten, um sich dort zurechtzufinden?

 Nichts. Einfach da sein und sich diesem riesigen Raum stellen, dem eigenen Verschwinden darin nachspüren. Ganz bewusst soll ein Gefühl der Verlorenheit vorherrschen. Es wird unter anderem eine kleine Hörstation geben – mit einer Komposition von Evi Keglmaier und den Bemerkungen einer Dame, die im Hospiz arbeitet. Sie spricht über den Moment, in dem Mensch noch Mensch ist und dann nicht mehr. Es gibt Filmchen von kleinen Verlorenheiten, in Zusammenarbeit mit Severin Vogl. Man kann auch eigene Gedanken hinterlassen und ein paar Merkwürdigkeiten betrachten. Dinge kommen während der Ausstellungszeit dazu, etwa nach den Performances mit dem Live-Zeichner Christoph Lammers.

Was empfehlen Sie für einen Besuch im Museum?

Gut wäre es, zu einer der sechs Veranstaltungen – zwei Konzerte, zwei Vortragsgespräche und zwei Performance – zu kommen, um wirklich darin eintauchen zu können. Jede der Veranstaltungen ist einmalig und kann nicht wiederholt werden.

Werden Sie eigentlich selbst vor Ort sein oder genießen Sie da lieber ein persönliches „Verschwinden“?

Ich werde immer wieder da sein, beobachten, mit Leuten ins Gespräch gehen, wenn sie es wollen. Und außerdem werde ich umräumen. Nichts bleibt in dieser Zeit, wo es war. Es verändert sich ständig. Und bei jeder der sechs Performances bin ich Mitspielerin.

Sie arbeiten gerne mit anderen Künstlern, aber auch Experten, Zeitzeugen und Mit-Münchnern zusammen. Warum eigentlich?

Ich bin einfach ein neugieriger Mensch und so sehr an der Welt und an den Mechanismen der anderen Menschen und Lebewesen interessiert. Wie kommen die denn so durchs Leben? Ich liebe das Unbegreifliche – mehr und mehr und immer wieder.

Ohne zynisch klingen zu wollen: Viele Mitstreiter im Kulturbereich fürchten ganz konkret das „Verschwinden“. Wie bringt man eigentlich den Mut auf, sich in schwierigen Zeiten nicht ganz unterkriegen zu lassen?

Ich finde, man ist einfach nicht so wichtig. Wenn man das schmunzelnd erkannt hat, findet man immer wieder den Mut zu spielen. Denn mehr ist es doch nicht, oder?

Auch München verändert sich derzeit oft schneller, als man es gerne wahrhaben möchte. Welchen verschwundenen Ort vermissen Sie aktuell am meisten – oder welchen haben Sie zuletzt neu für sich entdeckt?

Das ein oder andere Café, ein Straßenzug, ein Baum, eine Ecke, eine Nische. Dies und das. Aber alles ändert sich und bekommt dann auch wieder Lebenspatina. Wir sollten geduldig sein.

Augenöffnerin: RUTH GEIERSBERGER ist aus der freien Kunst- und Theaterszene nicht wegzudenken – und das schon seit über 30 Jahren. Sie arbeitet als Autorin, Sprecherin, Performerin und Produzentin ihrer eigenen Werke und entwickelt besonders gern ortsspezifische und partizipative Arbeiten. Für ihre künstlerischen Projekte, die sie selbst „Verrichtungen“ nennt, verbündet sie sich stets mit anderen Künstlern, Musikern, Tänzern, Experten, Zeitzeugen und Münchner Mitbewohnern aller Altersstufen und Hintergründe. Ihre Installation „Das Verschwinden“ ist von 4. bis 16. Februar im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst (SMAEK) zu sehen.

Hier gibt es Infos zum Museum: https://www.in-muenchen.de/locations/agyptisches-museum.html