Münchens Museen im September: Vorsicht vor Gemütlichkeit

Im September starten diverse Ausstellungen, die neben der Schönheit auch eine Vision vermitteln wollen.

Beginnen wir mit etwas Nepotismus, wie er besser nicht sein könnte. Kennen Sie die Eltern des Kultautors Jörg Fauser? Nein? Den Sohn der Autorin Maria Razum Fauser und des Malers Arthur Fauser? Auch nicht? Wie rum man das ganze auch betrachten will, feststeht, dass die Fausers eine sehr kreative Familie waren und die anfangs getätigte Behauptung vom Nepotismus wahrscheinlich größtenteils eine Frechheit ist. Dem vielgestaltigen Werk der Fausers widmet sich vom 11. – 22.9. die Fachtagung, Bilderausstellung und Lesung Das Leben als Rohstoff. Familie Jörg Fauser – Eine Werkschau in der halle50 in den Domagkateliers, kuratiert von Bernhard Springer und Uwe Beutler. Für Fans von bildender Kunst und Literatur ein Muss.

Trotz Interimsquartier kehrt die Villa Stuck mit gleich drei neuen Ausstellungen aus dem Sommer zurück: Die kubanische Künstlerin und Aktivistin Tania Bruguera (geb. 1968 in Havanna, Kuba) konzipiert speziell für das Interimsquartier des Museums Villa Stuck ein Projekt zum Thema Zensur mit dem Titel „The Condition of No“ (5.9. – 24.11.). Vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen der Zensur und des Machtmissbrauchs in Kuba und in anderen Ländern nutzt Bruguera Kunst als ein Mittel, sozialen und politischen Wandel zu initiieren. International setzt sie sich in ihren Performances und Ausstellungen an der Schnittstelle von Kunst und Politik für freie Rede und gegen Zensur ein. Die Ausstellung in den Räumen der Goethestraße 54 stellt die Mechanismen von Propaganda, Zensur und Protest in den Mittelpunkt. Ausgangspunkt der Präsentation sind die Erfahrungen des kubanischen Kunstkollektivs INSTAR (Instituto de Artivismo Hannah Arendt), das von Tania Bruguera geleitet wird.

Was wäre, wenn Frauen die Welt regieren würden? Yael Bartana inszeniert diese Frage in ihrem performativen Stück Two Minutes To Midnight (5.9. – 20.10.): Die rein weibliche Regierung eines fiktiven Landes soll Stellung zu einer akuten nuklearen Bedrohung durch eine fremde Nation beziehen. Ein Gremium aus Schauspielerinnen und realen Expertinnen für Verteidigung, Recht, Politik und Psychologie befindet sich in einem demokratischen „Friedensraum“. Dieser spiegelt den toxisch männlichen „Kriegsraum“ in Stanley Kubricks klassischer Satire „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ über den Kalten Krieg wider. Die Frauen müssen entscheiden, wie sie der brisanten Situation begegnen wollen. Bartanas visionäres Werk ist die Synthese eines interdisziplinären vierjährigen Prozesses, der das geopolitische Machtspiel analysiert – und uns eine Alternative zum Macho-Machtdiskurs präsentiert.

Claudia de la Torre begann 2013 das fortlaufende Projekt The Questions Library (25.9. – 15.12.) (dt. Bibliothek der Fragen), für das sie Bücher sammelt, klassifiziert und ausstellt, deren Titel als Fragen formuliert sind. In dieser aktuell 530 Titel umfassenden Bibliothek befinden sich Veröffentlichungen aller denkbarer Genres und Gattungen – sei es fiktionale oder nichtfiktionale Literatur, darunter etwa Selbsthilfebücher, Bücher zu Religion oder Philosophie. Ein Blick auf die Rücken verrät, was diese Bücher gemeinsam haben: Ihre Titel sind als Fragen formuliert, die beispielsweise rhetorischer Natur sind oder die sich auf einen Ort oder eine bestimmte Zeit beziehen. Aber nicht alle diese Fragen können per se beantwortet werden, und einige stellen sich sogar selbst infrage. Die einzelnen Bücher sind Mittel des künstlerischen Ausdrucks und zugleich Readymade-Objekte.

Gerade erst vom Time Magazine zu den 100 einflussreichsten Personen im Arbeitsfeld der KI gewählt, zählt die chinesisch-kanadische Künstlerin und Forscherin Sougwen Chung zu einer der Pionierinnen auf dem Gebiet der Mensch-Maschine-Kollaboration. So ist ihre Arbeit „Memory“ das erste KI-Modell, das Teil der ständigen Sammlung des Victoria and Albert Museum in London ist und damit von einer großen Institution gesammelt wird. Bei ihrer künstlerischen Arbeit setzt sie den Fokus klar auf die Erforschung von händischen Zeichnungen im Gegensatz zu von Maschinen gemachten als Ansatz zum Verständnis der Dynamik von Menschen und Systemen. In der Muffathalle (30.8. – 5.9.) ist sie nun mit ihrer aktuellen Arbeit „Genesis“ zu sehen. Dabei taucht der Betrachter in eine nahtlose, virtuelle Performance ein, die über den Zusammenbruch der Grenzen von Architektur, Zeichnung und Tanz spekuliert. Ein virtueller Avatar von Sougwen Chung leitet die Entstehung jeder einzelnen Skulptur und führt zu einer fesselnden Darstellung einer im Raum schwebenden Serpentinenform, die wie flüssiges Quecksilber wirkt. Ihre Konturen spiegeln den komplizierten Prozess an den umliegenden Wänden wider und damit auch die Entstehungsgeschichte hinter der Installation.

Und zum Schluss noch ein Hinweis, auf die wohl bedeutendste Pop-Art-Ausstellung, die aktuell auf europäischem Boden zu sehen ist: Mit „Andy Warhol & Keith Haring. Party of Life“ (Bis 26.1.2025) präsentiert das Museum Brandhorst die weltweit erste umfassende institutionelle Ausstellung, die sich beiden Künstlern widmet. Der Titel der Schau ist dem Motto von Keith Harings Geburtstagsfeiern entlehnt: „Party of Life“ erzählt vom Kosmos der 1980er-Jahre, von MTV, Discos, Voguing, Hip-Hop, New Wave und Graffiti. In diesem Umfeld zeichnet die Ausstellung Warhols und Harings Künstlerfreundschaft nach. Mit über 130 Werken offenbart sie Parallelen in ihrem künstlerischen Selbstverständnis, ihrer Offenheit für Kooperation und gemeinschaftliche Projekte sowie eine gemeinsame Vision: Kunst sollte zugänglich sein und möglichst viele Menschen erreichen. Wer diese Vision ein Stück weit an sich selbst verwirklichen will, sollte an einem Sonntag kommen, da der Eintritt dann nur einen Euro kostet und man dann im Rahmen der „Offene Factory“-Workshops selbst kreativ werden kann. Viel Spaß dabei!