Der Aktionskünstler Flatz zählt zu den außergewöhnlichsten Künstlerpersönlichkeiten der Gegenwart. Eine retrospektive Ausstellung in der Pinakothek der Moderne (bis 5. Mai) fokussiert das zentrale Thema seines Schaffens: den Körper.
Österreich und seine Aktions-künstler*innen: Nachdem wir 2022 Hermann Nitsch verloren haben, der mit seinem Orgien-Mysterien-Theater für Furore sorgte und am 10. Februar Günter Brus von uns gegangen ist, der 1970 wegen Herabwürdigung österreichischer Staatssymbole für sechs Monate ins Gefängnis kam, weil er im Audimax der Uni Wien die österreichische Hymne sang während er urinierte und defäkierte, müssen wir unseren hiesigen Skandal-Künstler noch mehr wertschätzen, als er es ohnehin verdient hat, denn: Auch die Performances, Skulpturen und multimedialen Rauminstallationen von Flatz (*1952 in Dornbirn, Vorarlberg) sind extrem und aufrüttelnd. Sein Name mag zwar so klingen wie das Geräusch einer Rinderhälfte, die aus 10 Metern Höhe auf den Asphalt trifft, es handelt sich dabei aber einfach um den Nachnamen des Künstlers.
Dennoch ist Nomen hier quasi Omen: Häufig kommt der eigene Körper des Künstlers zum Einsatz – insbesondere, um damit der menschlichen Verletzlichkeit Ausdruck zu verleihen und der Teilnahmslosigkeit des Publikums entgegenzuwirken. 1979 posierte der damals 27-jährige Flatz nackt als lebende Dartscheibe. Diese durfte von den Zuschauenden mit Pfeilen beworfen werden, für einen Treffer stand ein Preisgeld von 500 Mark in Aussicht. Der elfte Wurf aus dem Publikum traf und verwundete den Künstler, die Performance war zu Ende. In der Silvesternacht 1990/91 ließ sich FLATZ im georgischen Tiflis kopfüber zwischen zwei Stahlplatten aufhängen, um wie ein Glockenklöppel pendelnd lautstark gegen das Metall zu prallen – ganze fünf Minuten lang, bis er bewusstlos wurde. Im Anschluss erklang der doppelt so lange Walzer „An der schönen blauen Donau“ von Johann Strauß, zu dem ein festlich gekleidetes Paar tanzte. Einer internationalen Kunstöffentlichkeit bekannt wurde der gebürtige Österreicher 1992 mit seinem Beitrag „Bodycheck“ für die Documenta IX in Kassel. Das Werk bestand aus 90 schwarzen, von der Decke herabhängenden Boxsäcken, jeder einzelne dem Körpergewicht des Künstlers entsprechend. Das Documenta-Publikum musste sich, um den Raum zu durchqueren, mit einiger Anstrengung zwischen den Säcken durchkämpfen. Flatz bezeichnete diese wie viele andere seiner Arbeiten als „Physical Sculpture“.
Bei den „Physical Sculptures“ wird eine unmittelbare Interaktion zwischen Werk und Betrachtenden hervorgerufen – physisch oder psychisch. Recht physisch sollte es auch zu Beginn der aktuellen Ausstellung zugehen, wo der Künstler unter dem Titel „Die Haut zu Markte tragen“ seine Tattoos -aus der Haut geschnitten und hinter Glas verewigt- zur postumen Übergabe versteigern wollte. Kurz zuvor meldete sich aber ein Schweizer Sammler und kaufte die gesamte Arbeit als Werkgruppe. Business as usual also. Zusammengefasst: Mit ausgewählten Werken von den späten 1970er-Jahren bis heute widmet sich die Ausstellung dem bedingungslosen Körperbegriff von Flatz, der immer wie- der auf unverwechselbare Weise auch sensitive und fragile Ebenen anspricht. Auf diesen Aspekt nimmt ein 1997 entstandenes Selbstporträt explizit Bezug, dessen Titel „Something Wrong with Physical Sculpture“ gleichzeitig Name der gesamten Ausstellung ist.